Siegen. Wilfried Groos hat fast sein ganzes Berufsleben in die Sparkasse Siegen investiert. Seine Leidenschaft: Bauen. Nun geht er in den Ruhestand.

Die zwei Umzugskartons neben dem Schreibtisch sind noch leer. Ende August geht Wilfried Groos in den Ruhestand, eine Sitzung des Verwaltungsrates steht für den letzten Arbeitstag auf dem Programm. 30 Jahre wird der heute 66-Jährige dann Vorstand der Sparkasse Siegen gewesen sein, seit 2004 Vorsitzender des Vorstands. Wenn er aus dem Fenster seines Büros in der Morleystraße schaut, blickt er aufs Untere Schloss und auf das Krönchen. Und, Richtung Bahnhof, auf die Baustelle des Johann-Moritz-Quartiers. Wenn man sagt, dass Wilfried Groos keineswegs nur Zuschauer der Entwicklung Siegens ist, wird er vorsichtig. Sein Auftrag, wird er im Gespräch betonen, ist die Führung der Sparkasse. Wobei es auf der Hand liegt, dass eine prosperierende Stadt der Sparkasse gut tut, die die Konten von rund 140.000 Kunden verwaltet.

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Lernen: Musik, Fußball - und Sparkasse Siegen

Als er mit 15 die Realschule verließ, habe ihn die Berufswahl wenig interessiert, gibt der Netphener zu. Der junge Mann interessiert sich für Musik, spielt Lyra, Xylophon, Pauke im Feuerwehr-Musikzug, später auch „ein bisschen Klarinette“. Und dann ist da der Fußball. Mit 12 beim SV Netphen bis in die A-Jugend, als Senior im Tor bei den Sportfreunden Siegen. Das war von 1976 bis 1980. Mehr als 100 Pflichtspiele, „das war wirklich spannend.“

Sehr bald aber ist der Beruf schon nicht mehr ganz so egal. Die Eltern haben ihm zur Lehre geraten. Nach Ferienjobs als Friedhofsgärtner, Dachdecker und Stahlwerker („Danach wusste ich, was mir nicht lag“) mit guten Noten in Mathe und weniger guten in Fremdsprachen, wurde es die Ausbildung bei der Sparkasse Siegen. Am 1. August 1973 war das – das 50-jährige Dienstjubiläum liegt gerade ein paar Tage zurück. Auf die Lehre zum Bankkaufmann folgte die Fortbildung zum Sparkassen-Betriebswirt, darauf der Besuch des Lehrinstituts der Sparkassen in Bonn, das heute Management-Akademie heißt, und dank gutem Abschluss mit Stipendium mehrmonatiger Weiterbildung bei Banken in den USA. Mit 27 trifft Wilfried Groos die Entscheidung für die berufliche Karriere. „Da habe ich mit dem Fußball aufgehört.“ Und ein Angebot des Zweitligisten Rot-Weiß Lüdenscheid ausgeschlagen. „So gut war ich nun doch nicht.“

Sich einbringen: Vom Heidenberg über Karstadt bis Johann-Moritz-Quartier in Siegen

Nach viereinhalb Jahren bei der Sparkasse Iserlohn bewirbt Wilfried Groos sich auf eine in Siegen frei werdende Vorstandsposition, kehrt nach Siegen zurück und wird unter anderem für die Organisation zuständig. „Damals zählte das Bauen dazu“, berichtet er. Ja, sagt er auf Nachfrage, „das ist eine Leidenschaft geworden.“ Der Abriss des alten Sparkassengebäudes in der Morleystraße, erster und sehr solider Neubau im beim Weltkrieg zerbombten Siegen, wird sein erster Auftrag. Der junge Vorstand muss Grundstücke zusammenkaufen – wäre ihm das nicht gelungen, hätte die Sparkasse auf einen anderen Standort ausweichen müssen, womöglich an Reichwalds Ecke, wo jetzt der Cinestar steht. Wilfried Groos gelingt eine großflächige Grundstücksneuordnung. Die es ermöglicht, nicht nur am 6. Dezember 1995 den Neubau des Kundenzentrums zu eröffnen, sondern 2006 auch das Siegcarré gegenüber von Citygalerie und Hauptbahnhof.

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Die Sparkasse Siegen, 2022 auf Platz 96 der 361 Positionen langen Sparkasse-Rangliste in Deutschland, findet Partner bei den örtlichen Bauunternehmungen und engagiert sich in der Finanzierung wichtiger Stadtentwicklungsprojekte: Da ist, nach dem Abzug des belgischen Militärs 1999, das Gewerbegebiet auf dem Heidenberg mit dem Ikea-Möbelhaus – Wilfried Groos kann aus seiner Iserlohner Zeit Erfahrungen mit Konversionsflächen einbringen. Dann kommen Karstadt und das alte Stadtkrankenhaus – Sparkasse, Bauunternehmen und regionale Investoren kaufen die Gebäude von Karstadt und des ehemaligen Stadtkrankenhauses, bauen für die Universität um und errichten die neue Mensa; nach der Schließung von Karstadt 2023 werden der Uni außer dem Hörsaalzentrum im Obergeschoss auch weitere Etagen des bisherigen Kaufhauses zur Verfügung stehen. Und da ist das Johann-Moritz-Quartier, das neu entstehende Tor zur Bahnhofstraße. Um nur die sichtbarsten Beispiele zu nennen.

Mit der Siegener Politik verhandeln und darüber schweigen

„Ich habe mich bemüht, mich einzubringen“, sagt Wilfried Groos. Für ein Institut, das eine Vielzahl von Immobilien in der Stadt finanziert, liegt es auf der Hand, die Bonität seiner Kunden zu pflegen. Der Unternehmen. Und der Privatleute, die als Arbeitnehmer eben jener Unternehmen existenziell von deren Wohlergehen abhängig sind. „Es ergibt sich, dass man überlegt, was gut ist für die Stadt“, sagt Wilfried Groos. Etwas gut zu machen, das verantwortbar ist. Dass die Vorstellungen darüber zwischen den Finanziers und der Politik auseinandergehen können, ist kein Geheimnis.

Wilfried Groos könnte erzählen, wie um Investitionen und Grundstücke gerungen wird, wie verärgert Politik sein kann, wenn der Geldgeber ihren Ideen nicht folgen mag. Weil die Interessen – hier Popularität und Wahlerfolg, dort der wirtschaftliche Erfolg des Geldinstituts – manchmal auseinandergehen. Obwohl doch die Kommunen, die in Zweckverbandsversammlung und Verwaltungsrat das Sagen haben, Träger ihrer Sparkasse sind. Wilfried Groos könnte erzählen. Wenn da nicht die Pflicht zur Verschwiegenheit wäre, wegen der manche richtig spannende Geschichte dann doch unerzählt bleibt. Sitzungen der Sparkassengremien sind so geheim, dass hinterher sogar die schriftlichen Vorlagen wieder eingesammelt werden. „Bei mir sind auch schon Emotionen dabei“, verrät Wilfried Groos, „ich werde in solchen Situationen eher ruhig. Und suche Lösungen.“

Groß werden: Bilanzsumme der Sparkasse Siegen hat sich seit 1973 verfünfzehnfacht

Seit 1973 hat sich die Bilanzsumme der Sparkasse auf nun 4,8 Milliarden Euro verfünfzehnfacht, das Eigenkapital auf 500 Millionen Euro vervierzigfacht. Die Sparkasse Siegen, im Laufe der Jahre fusioniert mit den Stadtsparkassen Kreuztal, Freudenberg und Hilchenbach fusioniert, ist ein großer Player geworden. Und, neben der Volksbank, der einzige, der in Siegen verankert ist, während die Privatbanken ihre Präsenz in Filialen zurückfahren. „Früher hätten Großunternehmen nie mit der Sparkasse gesprochen.“ Heute hat das Institut Erträge und Liquidität auch für größere Engagements. „Die Kunden haben uns groß gemacht.“ Wobei das Interesse auch immer der Region gilt. „Wir wollen ein stabiler Partner sein“, sagt Wilfried Groos. Und das sei die Sparkasse Siegen auch für Unternehmen gewesen, die schwierige Zeiten durchzustehen hatten.

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Und die kleinen Kunden? Wilfried Groos beginnt die Antwort mit dem Blick auf die eigene Belegschaft. Rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte die Sparkasse Siegen 1973, dazu kamen 75 Azubis, „einer davon war ich.“ Davon haben rund 100 an der Kasse gestanden, weitere 100 Kontoauszüge sortiert und ausgegeben, weitere 50 Belege bearbeitet. „Eine Verwaltung mit angehängtem Bürgerbüro.“ Heute arbeiten rund 700 Frauen und Männer bei der Sparkasse, deren Arbeit völlig anders aussieht. Kein Kunde kommt heute mehr an einen Schalter, um den Kontoauszug abzuholen und sich Bargeld auszahlen zu lassen. Wer kommt, hat einen Beratungswunsch – alles andere wird online oder am Automaten erledigt. So will es die Kundschaft. „Wenn wir diesen Service nicht bieten, haben wir verloren.“ Die Mitarbeitenden, die ihrem Arbeitgeber sehr lange verbunden bleiben, haben ihren Beruf inzwischen bestimmt ein paar Mal neu gelernt. „Wir müssen immer wieder dafür begeistern, diese neuen Wege mitzugehen.“

In die Zukunft der Sparkasse Siegen schauen

Wilfried Groos wagt keine Prognose, wie die Sparkasse Siegen in 50 Jahren aussieht – dazu kann die Welt zu sehr überraschen. Bleiben werde die Verpflichtung für die Region und die Nähe zu den Menschen. „Es ist wichtig, auf Herausforderungen Antworten in der Schublade zu haben.“ So wie damals um 2008/09, als die Finanzkrise die Bankenwelt erschütterte. Deren Ergebnis auch der Zusammenbruch der Westdeutschen Landesbank war, für deren Abwicklungsanstalt Wilfried Groos auch im Ruhestand weiter arbeiten wird. Überhaupt: Der um viele Verpflichtungen auch in überörtlichen Gremien geleerte Terminkalender wird zwar mehr Spielraum fürs Reisen lassen – zwischen Allgäu und Patagonien sind für die Eheleute Groos viele Ziele spannend.

Aber ganz verabschieden wird der Netphener sich von Siegen nicht: In einem eigenen Büro wird er sich in der Bürgerstiftung und in den Beiräten der Immobiliengesellschaften engagieren. Auf die Sparkasse selbst wird er dann entspannt blicken: Der Vorstand wurde seit 2018 verjüngt, Nadine Uebe-Emden wird den Vorsitz zum 1. September übernehmen. „Ich übergebe ein gut bestelltes Haus an eine gut aufgestellte und vorbereitete Mannschaft.“ Das Loslassen hat Wilfried Groos geübt. Aber der Blick aus dem Fenster, den er nicht in einen Karton packen kann, könnte ihm fehlen. Irgendwie ist Siegen ja doch seine Stadt geworden.

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