Siegen. Seit einem halben Jahrhundert gibt es die Partnerschaft zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer. Die Feier im Apollo bot ergreifende Momente.
Die Geschichte hat eine Vorgeschichte. Ehe am 8. August 1973 die Partnerschaft zwischen den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer offiziell begründet wird, haben junge Menschen aus Deutschland mit Mut und mit dem Willen, nach dem Zivilisationsbruch des Holocausts ein versöhnliches Miteinander zu wagen, Kontakte zu jungen Menschen in Israel aufgenommen. Im Oktober 1966 reist eine erste Siegerländer Delegation nach Emek Hefer. Ein Anfang, der den Grundstein für ein Konzept legt, das bis heute trägt: Denn immer noch begegnen sich Jahr für Jahr israelische und deutsche Jugendliche, aber auch Erwachsene auf einer sehr persönlichen Ebene. Hier wie dort ist ein Rahmen geschaffen, in dem Begegnung ermöglicht wird, in dem aus Partnerschaft Freundschaft werden kann – und umgekehrt auch!
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Von alledem gab es zu erzählen in dem am Ende vierstündigen Festakt zum 50-jährigen Bestehen der kommunalen Liaison zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer. Im Mai schon war in Israel gefeiert worden, nun gab es am Freitagabend im Apollo-Theater Siegen das Jubiläums-Pendant auf deutscher Seite. Unter den vielen Gästen im voll besetzten Haus waren viele, die das Austauschprogramm aus eigener Erfahrung kennen und zu den Wegbereitern und Wegbegleitern zählen.
Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer: Austausch schafft Verständnis und Freundschaft
Mit Dankbarkeit und Stolz erfüllte die Veranstalter, dass auch eine hochpräsente israelische Gesandtschaft vor Ort war: die Jugendlichen aus dem Theaterprojekt „The way out“ ebenso wie Offizielle aus dem Landkreis, allen voran Yarona Politi, die Emek Hefers verhinderte, aber per Video grüßende Landrätin Galit Shaul vertrat. Die Partnerschaft sei eine Quelle gegenseitiger Inspiration, lautete die Botschaft aus dem Partnerkreis. Es gelte, gemeinsam wachsam zu sein, um „zerstörerische Phänomene zu stoppen“. Yarona Politi hatte für den Siegen-Wittgensteiner Landrat Andreas Müller natürlich Geschenke dabei: ein T-Shirt für den „geschätzten Freund“ und einen Gutschein über 5000 Euro für ein junges Demokratieprogramm in der Region.
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Mit einem klaren politischen Statement positionierte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in seinem Grußwort auf der Apollo-Bühne. Juden und Nichtjuden hätten „hier bei uns“ ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft. Für Antisemiten gelte das nicht. Jugendliche, die an Austauschprogrammen mit Israel teilnähmen, seien „nicht verführbar für Verhetzungen“, so Hendrik Wüst. Auch deshalb dankte er sowohl den Initiatoren von einst für ihre damals richtungsweisende Idee als auch denen, die diese am Leben erhalten. „Ich finde es beeindruckend, wie aktiv dieser rege Austausch ist.“
Siegen: Ministerpräsident Hendrik Wüst würdigt Partnerschaft mit Emek Hefer
Mit großem Respekt würdigte der Ministerpräsident gemeinsam mit Landrat Andreas Müller die frühe Initiative von Helmut Peter, der vor über 50 Jahren als Vertreter der Gewerkschaftsjugend und Mitglied im Kreisjugendring gemeinsam mit dem damaligen Kreisdirektor Herbert Krämer einen Anfang wagte. 1985 hatte Helmut Peter sich schon ins goldene Buch der Stadt Jerusalem eintragen dürfen, nun erhielt er das Ehrenwappen des Kreises Siegen-Wittgenstein und eine Einladung ins Steak-Restaurant. Der Geehrte staunt heute noch darüber, dass Überlebende des Holocausts zu Freunden werden konnten. Damals erfolgte die Korrespondenz durchweg auf Deutsch. „Ich sprach ja kein Englisch und auch kein Hebräisch“, sagt Helmut Peter. „Unbegreiflich“, sagt Helmut Peter. Amüsiert und gerührt zugleich.
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Auf seine Weise – und auf Hebräisch und Deutsch, weil in beiden Sprachen zu Hause – gratulierte der Musiker Daniel Donskoy. Zweimal 30 Minuten gehörte ihm die Bühne, und die füllte er aus als entertainender Performer, als Sänger mit ganz großer Stimme und lässig-androgynem Charme. Gemeinsam mit seiner Band schenkte er dem Publikum ein Bündel an Songs zum Feiern. Unter die Haut ging seine Hommage an die israelischen Gäste. Denn sein Cover von Arik Einsteins „Ani Ve’ata“ war einer der besonders emotionalen Momente des Abends. Dessen Botschaft („Ich und du werden die Welt verändern“) schlug einen Bogen zum Finale der Jubiläumsshow.
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Die Jugendlichen des „Brundibár“-Projekts formulierten noch einmal die Kernaussage ihres am Donnerstag im Lyz-Schauplatz so intensiv präsentierten Stücks „The way out“: „Ihr müsst auf Freundschaft baun, den Weg gemeinsam gehn, auf eure Kraft vertraun und zueinanderstehn.“ Scheinbar Unmögliches wird möglich, Gerechtigkeit hat eine Chance.
Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer: Aus dem Austausch entstanden sogar Ehen
Fünf Menschen standen bei der Feier des Partnerschaftsjubiläums exemplarisch für all die persönlichen Beziehungen, die seit 1966 zwischen Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer gewachsen sind. Sie berichteten im Gespräch mit Moderatorin Anne Willmes von ihrer Liebe zueinander und zu Israel und auch über ihr Engagement für eine friedlichere Welt.
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In den Austauschjahren 1999/2000 lernten Sarah und Assaf einander kennen. Sie aus Kreuztal, er aus Emek Hefer und beide bald ziemlich verliebt. Endlose Telefonate, lange, lange Briefe festigten die Beziehung. 2001 heiratete das Paar. Zwei der drei Kinder kamen in Jerusalem zur Welt, eines wurde in Siegen geboren. Heute arbeitet Assaf Zeevi (unter anderem auch Autor und Referent) als Reiseleiter für Reisen nach Israel.
Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer: Verbindungen, die über Freundschaft hinausgehen
Die in Hainchen aufgewachsene Maike Diehl nahm 1991 am Austausch teil. In Deutschland. Beim Gegenbesuch musste sie passen – das Abi ging vor. Sie reiste dann auf eigene Faust und mit dem Rucksack durch Israel. Die Faszination blieb. Anne Willmes: „Sie müssen schockverliebt gewesen sein!“ Heute berät Maike Diehl Unternehmen in Deutschland und Israel; die PR-Expertin bringt innovative Projekte und Konzepte zueinander.
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Heinz Röcher flog schon 1970 mit einem Jugendaustausch nach Emek Hefer. Zwei Jahre später folgte mit zwei Freunden ein Israel-Trip auf eigene Faust. Dort lernte er seine spätere Ehefrau Ruth kennen. Er blieb in Israel, fand Arbeit zunächst in einem Kibbuz. Eine deutsch-israelische Hochzeit war damals in Israel unmöglich. 1976 heiratete das Paar in Deutschland. Sehr bewusst zogen Heinz und Dr. Ruth Röcher 1994 nach Chemnitz. Die Pädagogin hat in Sachsen den jüdischen Religionsunterricht an Schulen etabliert. Sie ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde ihrer Stadt. Dass Chemnitz seit 2022 mit dem israelischen Kiryat Bialik verpartnert ist, geht auch auf ihre Initiative zurück.
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