Allenbach. Jugendliche aus Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer führen das Stück „The way out“ auf. Die Vorlage „Brundibár“ hat eine sehr traurige Geschichte.

Sie wirken gefangen. Fremd einander und fremdeln mit sich selbst. Verständigung? Unmöglich! Aber dann verändert sich etwas. Da ist Licht. Und damit die Möglichkeit, der verstörend drängenden Enge zu entkommen. Aus Ohnmacht wächst Kraft, beflügelt von der Hoffnung, miteinander etwas zu bewirken – und sei es nur für den Augenblick. Das, was die Gruppe eint, ist eine Sprache, die alle verstehen: ist Musik, ist Gesang. Das ist bei Pepiček und Aninka so, den beiden Kindern, die mit vielen kleinen Leuten dem großen Bösewicht, dem Brundibár, den Schrecken nehmen. Das ist bei den Jugendlichen aus Israel und Deutschland so, die eine ähnliche, aber doch ganz eigene Geschichte erzählen: „The way out“, ein rund 30-minütiges, dichtes Stück Musiktheater, das am Donnerstag, 3. August, 19 Uhr, seine Premiere im Siegener Kulturhaus Lyz feiert. Geprobt wird bis dahin intensiv in der Aula des Gymnasiums Stift Keppel – an den Vormittagen, denn nachmittags und abends soll immer Zeit für Begegnungen auf anderen Ebenen sein. Sportlich, kulinarisch, kulturell, politisch-gesellschaftlich oder „einfach so“.

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Die 16 Jugendlichen aus den seit 50 Jahren miteinander verbundenen Partnerkreisen Emek Hefer und Siegen-Wittgenstein haben selbst erlebt, welches Potenzial das gemeinsame Tun hat. „Als wir auf der Bühne standen, sind wir so richtig als Gruppe zusammengewachsen“, sagt die 16-jährige Israelin Michal. Und Sophia (17) aus Deutschland pflichtet ihr bei: „Wir sind uns über die Musik tatsächlich nähergekommen.“ Die beiden und die anderen auch kennen die heilsame Wirkung von Musik. Die Welt da draußen kann plötzlich schön weit weg sein, wenn Melodie, Klänge oder Beats übers Ohr die Seele erreichen. „Music can help“, unterstreicht Roni, gleichfalls 17, und differenziert ihre grundsätzliche Aussage sehr fein. Auch wenn die Kinderoper „Brundibár“ bei ihrer Uraufführung am 23. September 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt von den Nazis zu Propagandazwecken missbraucht worden wäre, habe das gemeinsame Musizieren den Kindern dort eine Gelegenheit geboten, ihre bedrückende Situation zumindest für eine Weile auszublenden. „They could escape mentally.“

Das gemeinsame Projekt hat die deutsch-israelische Austauschgruppe geprägt und geformt – auf der Ebene der Jugendlichen, aber auch auf jener der „professionals“.
Das gemeinsame Projekt hat die deutsch-israelische Austauschgruppe geprägt und geformt – auf der Ebene der Jugendlichen, aber auch auf jener der „professionals“. © Claudia Irle-Utsch

Jugendliche aus Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer zeigen gemeinsam „The way out“

Intensiv haben sich die jungen Menschen aus Siegen-Wittgenstein und Emek Hefer mit „Brundibár“ befasst, haben bei einer ersten Begegnung in den Osterferien in Israel die Musik und auch die Geschichte der Kinderoper kennengelernt. Besonders beeindruckend war für sie die Begegnung mit dem Theresienstadt-Überlebenden Zvi Cohen, der selbst bei „Brundibár“ im Kinderchor gesungen hat. Der Komponist Hans Krása hatte das Stück im Juli 1941 eigentlich in Prag mit Kindern aus einem Waisenhaus aufführen wollen. Doch der Plan scheiterte. Ab November 1941 wurden die tschechischen Juden ins Ghetto Theresienstadt deportiert, auch Hans Krása. Es kam der Lagerleitung zupass, dass dieser dann hier seine Kinderoper einstudieren wollte – nach außen hin konnte sie so die Heile-Welt-Illusion einer „Musterstadt für Juden“ aufrechterhalten. Hans Krása wurde in Auschwitz ermordet, auch die meisten Kinder überlebten nicht.

Aufführung in Theresienstadt

Die Schlussszene von „The way out“ wird am Freitag, 4. August, im Rahmen der Festveranstaltung „50 Jahre Siegen-Wittgenstein – Emek Hefer“ im Apollo-Theater Siegen zu sehen sein. Einen Tag später fährt das Team nach Theresienstadt, um am Ort der Uraufführung der „Kinderoper Brundibár“ seine zeitgenössische Reflexion zu zeigen.

Bei diesem künstlerischen Jugendaustauschprojekt arbeiten Expertinnen und Experten des Apollo-Theaters und des Jungen Theater Siegen sowie der freien Theaterszene, der Musikpädagogik der Universität Siegen und des Aktiven Museums Südwestfalen zusammen mit erfahrenen Theater- und Musikfachleuten aus Emek Hefer.

Gefördert wird das Projekt durch den Kreis Siegen-Wittgenstein, den Landschaftsverband Westfalen-Lippe, den Kinder- und Jugendförderplan des Landes NRW und den Kinder- und Jugendförderplan des Bundes.

Bedrückend, erschütternd und zunächst absolut irritierend sei das für die Austauschgruppe gewesen, berichtet Barbara Friedrich vom koordinierenden Kreisjugendring Siegen-Wittgenstein. „Die Jugendlichen hatten Angst, dieser Geschichte nicht gerecht werden zu können.“ Vieles blieb anfangs im Vagen, im Ungefähren, bis eine tragfähige Idee entstand: das Motiv eines „Escape Rooms“, die Skizze eines Ortes, dem die dort Gefangenen nur im Verbund all ihrer Fähigkeiten entkommen können. „The way out“ entwickelte sich. In Emek Hefer und in Siegen-Wittgenstein, in gemeinsamen Zoom-Meetings und schließlich beim Probenendspurt im Siegerland.

Siegen: Karten für „The way out“ nur über einen Platz auf der Gästeliste

Die Jugendlichen haben neue Formen gefunden, ihre eigene Sprache und auch ihre eigene Musik. Angeleitet und begleitet von einem Team aus „professionals“, das selbst von diesem Austausch profitiert. Im Bereich Theater, im Bereich Musik, in der Koordination. „An amazing group“ nennt die Partnerschaftsbeauftragte des Kreises Emek Hefer, Efrat Simenhaus-Shafran, das Gesamt aus jugendlichen und erwachsenen Bühnenmenschen. Wer diese erstaunliche Gruppe kennenlernen möchte und ihr Schaffen damit auch wertschätzen, kann sich auf der Gästeliste der eintrittsfreien Premierenshow eintragen lassen – per Mail an b.friedrich@kreisjugendring.org.