Werthenbach. Wasserstoff könnte bei der Energiewende eine wichtige Rolle spielen. Gräbener Maschinentechnik in Netphen arbeitet an einer entscheidenden Stelle
Filigran zieht sich das Reliefmuster über die hauchdünne Metallplatte. Perfekt geometrisch schlängeln sich die feinen, abgerundeten Furchen durch die schimmernde Oberfläche, es gibt keine Grate, keine Ausreißer, keine Abweichungen. In diesem Muster und der Präzision seiner Umsetzung liegt der Schlüssel für das Funktionieren einer Brennstoffzelle, die aus Wasserstoff und Sauerstoff Strom erzeugen kann. Die Firma Gräbener Maschinentechnik GmbH & Co. KG aus Werthenbach hat das Know-how, um diesen Ansatz der Energiewende voranzutreiben.
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„Wir möchten der Region vorstellen, was wir hier als Unternehmen machen“, begründet Geschäftsführer Fabian Kapp, wieso Gräbener einen Blick hinter die Kulissen gewährt. Das Unternehmen, das auf mehr als 100 Jahre Firmengeschichte zurückblicken kann, ist ein Sondermaschinenbauer mit verschiedenen Sparten. Eine heißt „Bipolar Plate Technologies“, doch Gräbener stellt nicht die sogenannten Bipolarplatten her, die in Brennstoffzellen zum Einsatz kommen, sondern die Maschinen und Fertigungslinien, mit denen andere Unternehmen sie gemäß ihren jeweiligen Anforderungen fertigen können. „Wir sind einer der am längsten am Markt aktiven Player in diesem Bereich“, betont der Geschäftsführer. Seit etwa 20 Jahren habe Gräbener dieses Segment im Portfolio, sei gut positioniert und wolle diese Stellung ausbauen, auch wenn mittlerweile andere, teilweise größere Firmen ins Thema eingestiegen seien. „Wir müssen als kleineres Familienunternehmen sehen, wie wir unseren Wissensvorsprung verteidigt kriegen.“
Gräbener Netphen: Brennstoffzellen könnten auch größere Flugzeuge antreiben
Die meisten Menschen denken beim Begriff „Brennstoffzelle“ sicherlich als erstes an die Verwendung in Autos. Das funktioniere, bestätigt Fabian Kapp, und es habe durchaus Potenzial. Doch den Bogen der Einsatzmöglichkeiten für Strom (und Wärme) aus Wasserstoff sieht er viel weiter gespannt: Züge, Busse, Schwerlastverkehr, Schiffe, die Energieversorgung von Gebäuden und Industrieanlagen und vor allem Flugverkehr. Elektroantriebe würden zumindest für größere Flugzeuge nicht in Betracht kommen, da die erforderlichen Batterien viel zu schwer würden, sagt der Geschäftsführer. Und die klassischen Antriebe würden irgendwann an Grenzen stoßen: „Kerosin ist nicht unendlich verfügbar.“ Zumindest in Maschinen mit zehn bis 200 Sitzplätzen könnten Brennstoffzellen und Wasserstoff eine Alternative sein. Ein großer Vorteil: das vergleichsweise geringe Gewicht. Airbus wolle 2035 ein solches Flugzeug an den Start bringen. „Flugzeugbauer kämpfen um jedes Gramm“, erklärt Fabian Kapp.
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Es seien „noch viele Probleme zu lösen“, räumt er ein. Fest stehe aber nun einmal, dass fossile Energieträger begrenzt seien, „und wir können Wasserstoff nutzen, um von Gas und Öl wegzukommen“. Ein Blick auf das, was im Automobilbereich bereits möglich ist, soll einen Vorgeschmack geben. Enrico Marrazzo vom Autohaus Keller ist an diesem Tag bei Gräbener. Er hat einen Toyota Mirai der zweiten Generation mitgebracht, eines von sehr wenigen Wasserstoffautos, die derzeit überhaupt auf dem Markt angeboten werden – bis zu 650 Kilometern Reichweite laut Hersteller, 182 PS, schickes Design, „Fahrverhalten ähnlich wie bei einem E-Auto, fast geräuschlos“, beschreibt Enrico Marrazzo.
Netphen: Gräbener Maschinentechnik hat Know-how für Fertigung von Bipolarplatten
Fabian Kapp war mit dem Mirai schon auf einer längeren Tour unterwegs und zeigt sich angetan. Das Tanken dauere maximal fünf Minuten. Wenn man denn eine Tankstelle findet, denn die sind noch rar gesät. In Siegen gibt es eine, im Gewerbegebiet Leimbachtal, die nächsten seien in Gießen oder Hagen. „Die Technik funktioniert, es liegt nur an der Infrastruktur“, erläutert Fabian Kapp, was der Verbreitung im Wege steht. Bei den Kundinnen und Kunden sei „das Interesse da“, bestätigt Enrico Marrazzo, doch der tatsächliche Wille zum Kauf sei an die Dichte des passenden Tankstellennetzes geknüpft. Außerdem natürlich an den Preis, denn Wasserstoffautos sind nicht gerade günstig zu haben. Der Mirai beginnt bei fast 66.000 Euro, ist dafür aber auch in der gehobenen Mittelklasse anzusiedeln. Doch wie bei den meisten Technologien wäre auch hier davon auszugehen, dass mit zunehmender Verbreitung und voranschreitender Entwicklung die Preise sinken.
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Brennstoffzellen sind (noch) teuer. Ein Brennstoffzellensystem für ein Auto bestehe aus mehr als 1400 Einzelteilen „und erfordert extreme Genauigkeit“, hebt Fabian Kapp hervor. 300 bis 500 dieser Einzelteile seien Bipolarplatten. Diese werden aus zwei einzelnen Platten zusammengeschweißt und dann zu einem „Stack“ gestapelt, wobei in jedem Zwischenraum eine Membran eingelegt wird. Die Plattenseite auf der einen Seite dieser Membran ist Kathode, die andere die Anode, und wenn in das System Wasserstoff und Sauerstoff eingebracht werden, entsteht bei der Reaktion elektrische Energie. Je mehr Platten im „Stack“ gestapelt seien, um so mehr Spannung entstehe.
Gräbener Maschinentechnik Netphen: Brennstoffzellen erfordern höchste Präzision
Das geometrische Muster, das in die Platten eingearbeitet ist, formt dabei Kanäle, die bestimmen, wie Wasserstoff und Sauerstoff sich im System verteilen. Das Design geben die Kunden vor, Gräbener helfe aber bei der Optimierung, sagt Fabian Kapp. Die Muster sind dabei so spezifisch, dass ein Fotografieren von Kundenplatten nicht gestattet ist. Die Details seien so unterschiedlich, weil die Vorgaben variieren: „Die Platten sind wie Fingerabdrücke, jede ist einzeln zu betrachten und einzeln zu behandeln.“ Es gehe dabei beispielsweise um die Frage, wo die Brennstoffzelle eingebaut werden soll: In einem Auto sieht dieser „Bauraum“ natürlich anders aus als in einer Fabrikhalle. Es gebe also viel Diskussionsbedarf mit den Auftraggebern, und „was bei einem Kunden funktioniert, muss deshalb noch lange nicht auch bei anderen funktionieren“.
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Um die Strukturen in die 50 bis 100 μm starken Metallplatten zu prägen – die Dicke der feinsten Platten entspricht vier übereinandergelegten Schichten glatter Alufolie – setzt Gräbener auf Hydroforming. Dabei wird nicht ein Stempel von oben ins Material gepresst, sondern das dünne Metall mittels einer Wasser-Öl-Emulsion und hohem Druck von unten in eine Form gedrückt. Das Verfahren sei schonend und ermögliche filigranste Strukturen bei hoher Präzision. Letztere ist im Hinblick auf das Endprodukt essenziell, auch beim Schweißen mit Laserscanner-Technolgie, bei der jeweils zwei Platten an feinsten Stellen, die auf das Akkurateste zusammenpassen müssen, verbunden werden. Außerdem gehören sogenanntes Schmelzlaserschneiden, Reinigung und das „Richten“ zum Herstellungsprozess einer Bipolarplatte: Das zusammengeschweißte Teil wölbt sich zunächst und wird beim „Richten“ planeben gemacht.
Gräbener Maschinentechnik Netphen: „Nachfrage nach Wasserstoff steigt“
Das Werthenbacher Unternehmer entwickelt die Maschinen, lässt die Bauteile dafür anfertigen und baut die Anlagen dann beim Kunden zusammen. Dass das Ergebnis die Anforderungen erfüllt, stellt Gräbener unter anderem über Tests sicher. „Wir nutzen dafür keine Simulationen“, erklärt Fabian Kapp. „Wir gehen in reale Versuche. Das bietet reale Ergebnisse.“
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Was die Zukunft in diesem Bereich bringt, ist sehr schwer einzuschätzen. „Es sind sehr dynamische Märkte, vieles ist noch in der Entwicklung“, unterstreicht Fabian Kapp. Die Nachfrage nach Bipolarplatten allerdings nehme zu, „weil die Nachfrage nach Wasserstoff steigt.“ Entscheidend sei, die richtige Perspektive einzunehmen. „Man muss sich überlegen: Wie muss das Energiesystem der Zukunft aussehen – und danach muss sich dann die Technologie richten.“
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