Kaan-Marienborn. In Siegen stellt Dometic die Produktion ein, mehr als 200 Menschen verlieren ihre Jobs. Den letzten Kühlschrank beerdigte jetzt die Belegschaft.

Der Trauerzug setzt sich in Bewegung. Aus den Boxen ertönt „Time to say Goodbye“ von Sarah Brightman und Andrea Bocelli. Die vier Männer mit den versteinerten Mienen tragen aber keinen Sarg, sondern einen Kühlschrank. Es ist das letzte Exemplar, das bei Dometic im Käner Industriegebiet gefertigt wurde. Das Unternehmen schließt die Produktionsstätte, 244 Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze.

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Sie haben um ihre Jobs gekämpft, sie haben Zugeständnisse gemacht, sie wollten zum Erhalt des Standorts ihren Beitrag leisten, betonen die Menschen, die sich vor dem Tor versammelt haben. Die Schließung solle nun „eben genau nicht lautlos erfolgen“, hatte der Betriebsrat vorab mitgeteilt. Dometic stellte in Siegen Kühlschränke für Wohnmobile, Caravans und Hotelzimmer her, in der „weltweit modernsten Produktionsstätte für Absorber-Kühlschränke“, wie die ehemalige Betriebsratsvorsitzende Anke Maritsch sagt. Sie trägt Trauerkleidung, so wie die meisten, die erschienen sind.

Betriebsrat und Belegschaft der Dometic GmbH in Siegen wollen die Schließung der Produktion am Standort nicht still und leise hinnehmen. Mit einer symbolischen Beisetzung des letzten vom Band gelaufenen Kühlschranks nehmen sie öffentlichkeitswirksam Abschied.
Betriebsrat und Belegschaft der Dometic GmbH in Siegen wollen die Schließung der Produktion am Standort nicht still und leise hinnehmen. Mit einer symbolischen Beisetzung des letzten vom Band gelaufenen Kühlschranks nehmen sie öffentlichkeitswirksam Abschied. © WP | Florian Adam

Siegen: Belegschaft von Dometic nimmt mit deutlichem Zeichen Abschied

Die Stimmung ist ernst, aber nicht angespannt. Menschen umarmen einander, es wird auch mal gelacht. „Wir haben uns ein Jahr darauf vorbereitet“, sagt Anke Maritsch. Nach Phasen der Unsicherheit, des Hoffens und Bangens hatte das Unternehmen die Belegschaft am 6. Juli vergangenen Jahres über das Aus informiert. Die Produktion würde nach Ungarn verlagert; in Ungarn kostet es weniger. „Natürlich hat man ein flaues Gefühl“, ergänzt Anke Maritsch. „Aber wir brauchen einen Abschluss, und den kriegen wir heute.“

Weitere Abteilungen

Von der Dometic-Schließung betroffen ist die gesamte Produktion mit ihren angeschlossenen Abteilungen am Standort Siegen.

Die Verwaltung mit den Abteilungen Vertrieb, Service, Entwicklung und Produktmanagement sowie die Dometic-Holding mit den Abteilungen Personal, Buchhaltung und Controlling bleiben unberührt, ebenso das Dometic Service-Center. Darauf weist der Betriebsrat in einer Mitteilung hin.

Der Trauerzug bewegt sich durch das Industriegebiet, ein paar hundert Meter bis zu einem großen Parkplatz, an dessen Ende ein mit grünem Teppich verkleidetes Podest für die symbolische Beisetzung des letzten Kühlschranks aufgebaut ist. Die „Sargträger“ stellen ihn zunächst ab, die schwarze Flagge, die ihn abdeckt, wird feierlich gefaltet.

Der Trauerzug für den letzten bei Dometic in Siegen gefertigten Kühlschrank bewegt sich durch das Industriegebiet in Kaan-Marienborn. Mehr als 200 Menschen verlieren ihre Jobs.
Der Trauerzug für den letzten bei Dometic in Siegen gefertigten Kühlschrank bewegt sich durch das Industriegebiet in Kaan-Marienborn. Mehr als 200 Menschen verlieren ihre Jobs. © WP | Florian Adam

Dometic Siegen: Bis zu 380.000 Kühlschränke pro Jahr liefen vom Band

Anke Maritsch hält die „Grabrede“. Sie erinnert daran, wie ab 1950 unter dem Namen Siegas erste Absorber-Kühlschränke in Siegen produziert wurden, wie 1973 Electrolux die Firma übernahm, wie die ausgegliederte Sparte 2001 zu Dometic wurde. 2011 lief hier der zehnmillionste Kühlschrank vom Band, mit 380.000 Kühlschränken in einem Jahr wurde 2000 die höchste Auslastung erreicht. 700 Menschen arbeiteten zu Spitzenzeiten am Standort, „es gab Zeiten, da reichten unsere Parkplätze für die Anzahl der Mitarbeiter nicht aus“, sagt Anke Maritsch.

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Sie erinnert aber auch an das andere, an das Menschliche, das einen Betrieb ausmacht: An Freundschaften, an ein familiäres Miteinander; an den Stolz auf die eigene Leistung, an die Verbundenheit mit den Kolleginnen und Kollegen und mit den Produkten. „Selbst nach der Verkündung, dass wir alle unsere Arbeitsplätze verlieren werden, waren wir pflichtbewusst und haben bis zum heutigen Tag unsere Arbeit verrichtet. Das macht uns aus – denn das sind wir.“

Die Belegschaft nimmt am offenen „Grab“ des letzten bei Dometic in Siegen produzierten Kühlschranks Abschied. Im Hintergrund steigen schwarze Luftballons in den Himmel.
Die Belegschaft nimmt am offenen „Grab“ des letzten bei Dometic in Siegen produzierten Kühlschranks Abschied. Im Hintergrund steigen schwarze Luftballons in den Himmel. © WP | Florian Adam

Siegen: Beschäftigte von Dometic tragen den letzten Kühlschrank symbolisch zu Grabe

Sie unterstreicht ihre Überzeugung, dass das Siegener Werk profitabel geblieben wäre, wenn nicht schrittweise Produkte abgezogen worden wären, ohne dass neue nachkamen. „Man hat uns ganz langsam aushungern und verdursten lassen. Ein ganz bewusst und langsam herbeigeführtes Aus.“

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Die Sargträger lassen den Kühlschrank langsam ins Podest herab. „My Way“ von Frank Sinatra kommt aus den Boxen. Getragenen Schrittes gehen die Kolleginnen und Kollegen zum offenen Grab, lassen eine Handvoll Erde oder Rosenblüten heruntergleiten. Dieser Kühlschrank ist eben viel mehr als ein Kühlschrank.

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