Siegen. Der Neubau von Straßen hat in den Vorstellungen, die die Naturschutzverbände in Siegen zur Mobilität der Zukunft äußern, keinen Platz.

Es könnte das Fahrrad sein. Bus und Bahn. Car-Sharing. Der Bus „on demand“, also auf Anforderung. Oder eine Kombination aus allem, vernetzt über eine Mobilitäts-App. Ideen für nachhaltige Mobilität in Südwestfalen kommen bei der Tagung auf den Tisch, zu der die Umweltverbände auch Prof. Dr. Andreas Knie von der TU Berlin, einen gebürtigen Freudenberger, und NRW-Umwelt-Staatssekretär Viktor Haase aufs Podium gebeten haben. Viele Ideen – nur eine nicht: den Neubau von Straßen. „Wir können nicht so weitermachen wie bisher“, sagt Klaus Brunsmeier, Landesvorstand des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), „wir können keine neuen Straßenbauprojekte mehr in Angriff nehmen.“

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„Die Verkehrsmengen müssen runter“, fordert Wolfgang Weber-Barteit von der AG Rothaargebirge – das E-Auto sei da auch keine Lösung: „Je mehr elektrisch gefahren wird, desto mehr Windräder brauchen wir.“ „Wir brauchen eine klare Priorisierung von Radwegen“, fordert Klaus Brunsmeier, der auch keine Argumente dagegen stehen sieht: „Das ist eine Frage des politischen Willens.“

Stadtverkehr

Bärbel Gelling, BUND-Kreisvorsitzende in Siegen-Wittgenstein, wünscht sich klimaneutralen öffentlichen Nahverkehr – dadurch, dass der Kreis Siegen-Wittgenstein wieder selbst ein Verkehrsunternehmen betreibt, so wie ihm die VWS bis zur Privatisierung 2005 gehörten. „Wir werden ganz stark darauf drängen. Die VWS kriegen einfach zu wenig Geld.“ Der Schienenverkehr sei nur schwer auszubauen, immerhin bestehe die Aussicht auf die Reaktivierung von Haltepunkten wie Buschhütten oder Niederdielfen. „Schon einiges passiert“ sei in Siegen für den Radverkehr, „aber das reicht bei weitem noch nicht.“ Nächster großer Schritt werde die Umweltspur auf der Hauptverkehrsachse von Siegen bis Geisweid sein. Bärbel Gelling setzt nicht nur auf Rad- und öffentlichen Nahverkehr, sondern auch auf schonenderen Autoverkehr durch flächendeckendes Tempo 30: „Da lässt sich auch bei uns was machen.“

Zwei Fälle nehmen sich die Umweltverbände an diesem Abend besonders vor: die A 45 und die „Route 57“ genannte Ortsumgehungskette Kreuztal-Schameder.

A 45: „Unwesentliche“ Rahmedebrücke

Die Rahmedetalbrücke („Ich wohne fast darunter“) werde im Planungsrecht als „Fall unwesentlicher Bedeutung“ eingestuft, um ein Planfeststellungsverfahren zu vermeiden, erinnert Klaus Brunsmeier, „das zeigt die ganze Ohnmacht der Straßenbauverwaltung.“ Ohne Planfeststellung hätten die Betroffenen keine Stimme. Den Einwand, dass der Neubau der Brücke dadurch verzögert würde, lässt der BUND-Landesvorstand nicht gelten. „Es wäre eher schneller gegangen“ – weil alle Genehmigungen gebündelt erteilt würden und nicht einzeln verhandelt werden müssten. Dass die neuen Brücken breiter gebaut werden, um später dritte Fahrspuren markieren zu können, sei „kein rechtssicheres Vorgehen“: „Das ist der sechsspurige Ausbau durch die Hintertür.“

Wolfgang Weber-Barteit nennt Zahlen aus den Verkehrszählungen: Seit 2003 seien die kontinuierlich zurückgegangen, von 63.000 auf 56.000 im Jahr 2012 und 50.000 im Jahr 2020. Im nächsten Bundesverkehrswegeplan, der ab 2024 erarbeitet wird, müsse der sechsspurige Ausbau zurückgenommen werden. „Ich bin zuversichtlich, dass der nächste Bundesverkehrswegeplan ganz anders aussehen wird“, sagt Klaus Brunsmeier.

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Klage gegen Talbrücke Büschergrund

Die Talbrücke Büschergrund ist auch so ein Fall: keine Planfeststellung, weil von „unwesentlicher Bedeutung“, erste Genehmigungen nicht durch das Fernstraßen-Bundesamt, sondern durch den Kreis Siegen-Wittgenstein. „Dagegen klagen wir“, sagt Prof. Dr. Klaudia Witte, Vorsitzende des Naturschutzbundes Siegen-Wittgenstein, zu dem beim Oberverwaltungsgericht anhängigen Prozess. Auch hier die „überdimensionalen Seitenstreifen“: „Das wird eine sechsspurige Brücke“, stellt Klaudia Witte fest. Den Naturschutzbund betrifft die Verrohrung des Wendinger Bachs auf einer Länge von 90 Metern, die Aufschüttung eines drei Meter hohen Fallbetts für die gesprengte Brücke im Naturschutzgebiet Wending- und Peimbachtal und die Zerstörung eines Erlenwaldes. Beispielhaft nennt Klaudia Witte die unterlassene Planung einer Berme im verrohrten Bach: „Das wäre die einzige nicht tödliche Möglichkeit für Amphibien zu wandern. So entstehen über 90 Meter totes Gewässer.“ Eine Planfeststellung mit Umweltverträglichkeitsprüfung wäre ein Weg, „den ökologischen Schaden zu minimieren“.

Route 57: Für Ausbau, gegen Umgehungen

Es seien nicht die Naturschutzverbände, die dem Ausbau der B 62 zwischen Kronprinzeneiche und Altenteich im Wege stünden, betont Wolfgang Weber-Barteit. „Wir haben immer konstruktiv mitgearbeitet.“ Die Verzögerung habe „ganz andere Gründe“, könne an der personellen Ausstattung des Landesbetriebs Straßen NRW liegen, „vielleicht auch an der Finanzierung“. Widerstand leisten die Verbände gegen die Ortsumgehungen Ferndorf, Hilchenbach und Erndtebrück und eigentlich auch immer noch gegen die Kreuztaler Südumgehung. Ob der vom Oberverwaltungsgericht beanstandete Planfeststellungsbeschluss noch einmal rechtskräftig werde, „wird man sehen“.

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Wolfgang Weber-Barteit verweist auf Zahlen: Der Verkehr auf der B 508 durchs Ferndorftal, die gerade mit neuen Radwegen ausgebaut wird, sei rückläufig, ebenso auf der B 62 in Lützel. Auch nach dem Bau der Kreuztaler Südumgehung würde nach den Prognosen viel Verkehr auf der B 508 bleiben, für die Verbindung Richtung B 517 nach Eichen werde sogar eine Steigerung vorausgesagt. „Wir befürchten deutlich mehr Verkehr in Kreuztal.“

Geschichten vom Biber und der Haselmaus

Im Streit um die Straße wird mit harten Bandagen gekämpft. Den unter Artenschutz stehenden europäischen Biber hätten die Naturschutzverbände nicht an der Ferndorf ausgesetzt, beteuert Wolfgang Weber-Barteit, „der ist von selbst gekommen.“ Und zwar erst 2020, drei Jahre nach dem Planfeststellungsbeschluss. „Das kann man im Nachhinein gar nicht mehr anbringen.“ Und, bei der Gelegenheit: „Für die Haselmaus können wir auch nichts.“ Zudem habe aber auch „noch nie eine Haselmaus irgendein Projekt verhindert“. Fakt seien allerdings die im Plangebiet der Ortsumgehung Ferndorf festgestellten 90 Vogelarten, darunter 36 als selten geschützte, und die 14 Fledermausarten: „Für Nordrhein-Westfalen eine enorm hohe Zahl.“

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