Siegen. Marianne Feindler entscheidet als Schöffin in Siegen mit, ob der Mensch auf der Anklagebank schuldig ist oder nicht. Dabei achtet sie auf einiges

Schuldig oder nicht schuldig? Über diese Frage zu entscheiden, ist nicht immer so eindeutig, wie Außenstehende denken. Marianne Feindler ist Schöffin am Amtsgericht in Siegen und bei einigen Entscheidungsfindungen vor Gericht mit dabei. „Man muss sich bewusst sein, was man da macht“, sagt sie. „Ich frage auch immer den Vorsitzenden danach, welche Konsequenzen es hat, wenn man etwas beschließt.“ Sie möchte sich genau darüber klar sein, was das Urteil für den Menschen auf der Anklagebank bedeutet. Derzeit werden wieder Schöffinnen und Schöffen gesucht. Was die Tätigkeit auszeichnet, was Außenstehende nicht mitbekommen und warum sich Marianne Feindler immer wieder für dieses Ehrenamt entscheiden würde.

Schöffin oder Schöffe werden: Das muss man für das Amt können

Schöffinnen und Schöffen wirken gleichberechtigt an der Hauptverhandlung in Strafsachen mit. Sie haben damit eine enorme Verantwortung. „Man sollte gut zuhören und beobachten können und sehr sachlich sein“, unterstreicht Marianne Feindler. Ein gesunder Menschenverstand sei wichtig, außerdem sollte man sich „vorher kundig machen, was das Amt beinhaltet“. Da geht es nicht nur um die Rechte und Pflichten, man muss auch schauen, ob man das Schöffenamt mit Beruf und Familie vereinbaren kann. Die zwölf Verhandlungstage im Jahr, an denen Marianne Feindler teilnehmen soll, werden ihr am Ende des Vorjahres mitgeteilt. „Ob der Termin tatsächlich stattfindet, erfährt man ca. zwei Wochen vorher, indem man eine schriftliche Ladung oder Abladung bekommt“, erläutert sie. In Ausnahmefällen nimmt sie auch an mehr Verhandlungen teil, wenn Gerichtsverhandlungen zum Beispiel Fortsetzungstermine beinhalten.

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Vor jeder Verhandlung gibt es eine Vorbesprechung mit dem Richter oder der Richterin, wo kurz gesagt wird, worum es in der Sitzung gehen wird. So wird kurz mitgeteilt, wie die Polizei auf den Angeklagten aufmerksam wurde, was die Ermittlungen ergeben haben und welche weiteren wichtigen Zusammenhänge es gibt, schildert die 70-jährige Schöffin. Danach beginnt die Verhandlung, es folgen die Anklageverlesung und gegebenenfalls Zeugenaussagen. Die Schöffinnen und Schöffen können genauso wie der Richter oder die Richterin Fragen an die Beteiligten des Gerichtsprozesses stellen. Diese müssten „fundiert und sachlich sein“, so Marianne Feindler. „Wenn alle gehört wurden, sagt der Staatsanwalt, welche Strafe er fordert und der Verteidiger, was er davon hält.“

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Danach ziehen sich die Schöffinnen und Schöffen ins Richterzimmer zurück. „Man bespricht, was zu besprechen ist“, sagt Marianne Feindler. Die wichtigste Frage: Ist der von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafrahmen aus der Sicht der Urteilenden angemessen oder gibt es dort Anpassungsbedarf? Die beiden Laienrichter können den Richter bei der endgültigen Entscheidung auch überstimmen. Sie sind als vereidigte Amtsträger nur dem Gesetz unterworfen, nicht an Weisungen gebunden, und der Unparteilichkeit verpflichtet. Alles, was besprochen wird, bleibe auch im Richterzimmer, unterstreicht Marianne Feindler. Ansonsten könnte man beispielsweise Revisionen Vorschub leisten. Nach der Besprechung wird dann das Urteil verkündet.

Siegener Schöffin: „Man muss alles nur an diesem Tag betrachten“

Bei der 70-Jährigen weiß kaum jemand aus dem Bekanntenkreis, dass sie überhaupt Schöffin ist. „Ich habe mich nie für was gerechtfertigt und nehme auch keine Stellung dazu“, sagt sie über Urteile, an denen sie beteiligt war. In zwei Amtsperioden war sie schon bei ganz verschiedenen Verhandlungen dabei, dabei ging es etwa um Raub, Drogenhandel, Vergewaltigungen, Brandstiftungen oder Unterschlagung. Unvoreingenommen über diese Vergehen zu urteilen, ist gar nicht so leicht – jeder Mensch bringt seine eigene Geschichte mit. Doch diese darf für den Menschen auf der Anklagebank keine Folgen haben. „Man muss sich lösen von dem, was man selbst erlebt hat“, unterstreicht Marianne Feindler ausdrücklich. Eigene negative Erfahrungen dürften sich auf kein Urteil auswirken. „Man muss alles nur an diesem Tag betrachten.“

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Vor einer Gerichtsverhandlung wüssten Schöffinnen und Schöffen nicht, worum es in der entsprechenden Sitzung gehen wird. „Das sehe ich erst auf dem Aushang im Gericht“, so Marianne Feindler. Wenn die Laienrichter dann feststellen, dass sie befangen sein könnten, müssten sie das vor der Verhandlung deutlich machen, damit sie rechtzeitig ausgetauscht werden können. Bei jeder Verhandlung, an der die Siegerländerin teilgenommen hat, waren immer eine Schöffin und ein Schöffe beteiligt – Frauen und Männer haben einen unterschiedlichen Blick auf manche Sachverhalte.

Siegen: Schöffen erleben Weg von der Gerichtsverhandlung bis zur Urteilsfindung mit

Marianne Feindler hat bereits zweimal das Amt der Schöffin ausgeübt, 2016 bis 2023 ist ihre zweite Amtsperiode. 2024 ist für die 70-Jährige Schluss, denn in diesem Alter überschreitet sie die zulässige Altersgrenze bei Amtseintritt von 25 bis 69 Jahren. Dass es überhaupt eine Altersgrenze gibt, hält sie für richtig, auch wenn ein Alter ab 70 nicht unbedingt heißen müsse, dass man dieses Amt nicht mehr ausüben kann – viele Menschen in diesem Alter seien noch fit. Außer dem Alter gibt es auch noch andere Kriterien, die man erfüllen muss, um Schöffin oder Schöffe werden zu können.

Wissenswertes rund um das Schöffenamt

Die formalen Voraussetzungen für das Amt: Bewerber müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt, deutsche Staatsangehörige und gesundheitlich ausreichend belastbar sein. Erwünscht sind zudem „Soft-Skills“ wie Menschenkenntnis, Verantwortungsbewusstsein, Objektivität und Gerechtigkeitssinn. Denn Schöffen müssen am Ende tief in das Leben anderer Menschen eingreifen.

Deshalb hofft nicht nur die Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen, dass sich überall eine ausreichende Zahl an Bewerbern findet. Wo das nicht der Fall ist, werden nach dem Zufallsprinzip Bürgerinnen und Bürger ausgewählt und auf die Vorschlagsliste gesetzt.

Bei der vorigen Wahl 2018 seien etwa 20 Prozent der Kandidaten „zwangsverpflichtet“ worden. „Da besteht natürlich die Gefahr, dass auf der Richterbank Menschen sitzen, die demotiviert sind und keine Lust haben“, sagt der NRW-Landesvorsitzende der Vereinigung, Michael Haßdenteufel. Wer zum Schöffen gewählt wird, hat nahezu keine Chance, das Amt abzulehnen.

Alle Infos zum Amt, dem Wahlprozess und allem Weiteren gibt’s unter www.schoeffenwahl.de. Allein in Nordrhein-Westfalen werden für die neue Amtszeit von 2024 bis 2028 rund 10.000 Laienrichter gebraucht. Für die Vorschlagslisten werden allerdings doppelt so viele Bewerber benötigt.

Generell dürfe man sich nicht schnell langweilen – im Gericht gehöre das Warten auf Beteiligte, Formalitäten und so weiter mit dazu. Eine Schöffin oder Schöffe können für Zeitversäumnis, Aufwand und Nachteile bei der Haushaltsführung beziehungsweise für Verdienstausfall entschädigt werden sowie Ersatz der Fahrtkosten und sonstiger Aufwendungen erhalten. „Da gibt es nur einen bestimmten Satz“, sagt Marianne Feindler. Wer das Schöffenamt übernimmt, macht das nicht aus finanziellen Gründen.

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Marianne Feindler ist froh, dass sie sich unabhängig davon dafür entschieden hat: „Ich habe für mich viel gelernt“, sagt sie. Allein den Weg von der Gerichtsverhandlung bis zur Urteilsfindung mitzubekommen, sei aufschlussreich. „Ich kann es jedem empfehlen, Schöffin oder Schöffe zu werden.“ Auch aus demokratischen Gründen sei es wichtig, dass sich weiter Menschen dafür melden. „Man kann froh sein, dass es so ein Amt gibt.“

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