Olpe. Zehntausend Schöffen werden in NRW gesucht. Markus Bröcher aus Olpe ist Laienrichter. Im Interview erklärt er, was das schwierige Amt ausmacht.

Er ist gelernter Kfz-Mechaniker, war zwölf Jahre bei der Bundeswehr, hatte mit Jura wenig zu tun – und dennoch spricht Markus Bröcher seit vielen Jahren Recht. Der 61-Jährige ist Schöffe, ein Laienrichter am Amtsgericht Olpe. Zusammen mit Berufsrichtern urteilt er im Namen des Volkes über jugendliche Angeklagte.

Bröcher, der für das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) arbeitet, findet die Aufgabe reizvoll, weiß aber auch, dass viele Mitbürger anderer Auffassung sind. Die Suche nach geeigneten Kandidaten für die anstehende Schöffenwahl gestaltet sich in vielen Kommunen schwierig. Im Interview spricht Markus Bröcher über das Amt als Schöffe.

Sie arbeiten Vollzeit, haben Familie, sind CDU-Kommunalpolitiker, Stellvertreter des Bürgermeisters, Kreisoberst der Schützen – und Schöffe. Haben Sie Langeweile, Herr Bröcher?

Nein, gar nicht. An den Schöffendienst bin ich vor zwölf Jahren gekommen, weil mein damaliger Chef im CJD das Schöffenamt innehatte. Er schied aus und meinte zu mir, er könne sich vorstellen, dass das etwas für mich wäre.

Jetzt sind Sie in Ihrer bereits dritten Amtszeit als Jugendschöffe, stellen sich nun noch einmal zur Wahl. Was reizt Sie so an diesem Amt, das viele andere nicht haben wollen?

Gerade im Jugendschöffenbereich geht es weniger um die Bestrafung eines Angeklagten als um die Erziehung. Das kommt meiner beruflichen Tätigkeit im CJD nahe. Wenn man einen Jugendlichen nicht erneut vor Gericht trifft, dann hat man doch was erreicht. Es ist interessant, sich mit Fällen zu befassen, die das tägliche Leben widerspiegeln, und zu erfahren, warum ein Jugendlicher eine Straftat begeht. Nicht nur die Opfer, auch die Täter haben einen Hintergrund. Das Menschliche sollte auch im Gerichtssaal eine Rolle spielen.

Seit 12 Jahren dabei: Markus Bröcher, Jugendschöffe am Amtsgericht Olpe, stellt sich erneut zur Wahl zum Laienrichter.
Seit 12 Jahren dabei: Markus Bröcher, Jugendschöffe am Amtsgericht Olpe, stellt sich erneut zur Wahl zum Laienrichter. © Jan Reinold

Viele Kommunen haben allerdings Schwierigkeiten, Schöffen zu finden. Was macht den Job so unattraktiv?

Ich verstehe, dass manch einer sagt, ich bin berufstätig und kann deshalb den Schöffendienst – der unter der Woche während der Arbeitszeit geleistet wird – nicht ausüben. Das ist ein Problem. Klar ist auch, dass der Arbeitgeber mitspielen muss. Trotzdem lassen sich Berufstätigkeit, Schöffenamt und Privatleben vereinbaren, weil die Termine als Schöffe mit viel Vorlauf vergeben werden. Wir Jugendschöffen erhalten am Amtsgericht Olpe zum Ende eines Jahres die Sitzungstermine für das komplette neue Jahr.

Und wie regeln Sie das mit Ihrem Arbeitgeber?

Der Arbeitgeber stellt einen Mitarbeiter für den Schöffendienst unentgeltlich frei. Der Schöffe bekommt dann den finanziellen Ausgleich über die Gerichtskasse.

Wie viele Tage im Jahr fehlen Sie Ihrem Arbeitgeber?

Ich muss mich in diesem Jahr für 14 Verhandlungstage bereithalten. Aber wenn davon die Hälfte über die Bühne geht, dann ist das schon viel. Nicht jeder angesetzte Schöffentermin findet auch statt.

Andererseits kann ein Gerichtsverfahren auch länger als geplant dauern.

Ja, stimmt. Dann muss man gucken, ob es mit den neuen Terminen passt. Grundsätzlich ist es so, dass das Amtsgericht einen Vertreter sucht, falls ich verhindert bin. Es ist mir noch nie passiert, dass das nicht geklappt hätte. Natürlich muss es sich um eine nachvollziehbare Absage handeln. Ich kann nicht absagen, weil ich keine Lust habe.

Viele Kommunen verschicken gerade Pressemitteilungen zur anstehenden Schöffenwahl. Da wird dann beispielsweise eine lange Liste mit Anforderungen an Schöffen genannt: Unparteilichkeit, Selbstständigkeit, Reife des Urteils, geistige Beweglichkeit, körperliche Eignung wegen des „anstrengenden Sitzungsdienstes“. Es werden Menschenkenntnis, Lebenserfahrung, Objektivität und Unvoreingenommenheit, ausgeprägter Gerechtigkeitssinn, Standfestigkeit, Kommunikations- und Dialogfähigkeit sowie Verantwortungsbewusstsein verlangt. Das klingt wenig verlockend, eher abschreckend, oder?

(schmunzelt) Ich drücke das mal anders aus… Nehmen wir die körperliche Eignung: Ja, es gibt schon mal Sitzungen, die sehr lange dauern. Aber im Normalfall ist das alles zu stemmen. Man sollte vonseiten der Kommunen und Gerichte vielleicht mehr verdeutlichen, dass das Schöffenamt zwar eine anspruchsvolle, aber auch eine interessante Aufgabe ist. Die Anforderungen werden sehr hoch gehangen, sie sollten auch hoch sein, aber man darf keine Angst vor dem Amt haben. Wenn man mit gesundem Menschenverstand unterwegs ist und ein kommunikatives Miteinander und eine Offenheit gegenüber anderen pflegt, dann sind das gute Voraussetzungen.

Wie sieht’s mit juristischen Kenntnissen aus?

Ich habe keine juristische Vorbildung.

Das war kein Problem?

Das Juristendeutsch ist schon speziell. Aber damit umzugehen, das kommt mit der Zeit als Schöffe. Es gibt auch Informationsveranstaltungen, etwa durch das Amtsgericht zu Beginn einer Amtsperiode. Und bei juristischen Details helfen die Berufsrichter. Wenn man etwas nicht versteht, muss man den Berufsrichter fragen. Das gilt übrigens auch für die Verhängung des Strafmaßes. Welche Spanne kommt für welchen Tatbestand infrage? Auch da muss schon mal der Berufsrichter helfen. Als Schöffe muss man den Mut haben zu fragen.

Hatten Sie den von Anfang an?

Am Anfang war ich schon unsicher. Da habe ich beispielsweise auf Fragen des Berufsrichters nach meiner Einschätzung mit einer Gegenfrage geantwortet, nach dem Motto: Liege ich da richtig? Oder ich war mir unsicher: Bist du in deinen Ansichten zu hart, bist du zu weich? Irgendwann aber entwickelt man ein Gespür dafür. Auch das Zusammenspiel zwischen Berufs- und Laienrichtern ist ganz entscheidend, dass man auf Augenhöhe spricht.

Ist das denn der Fall? Schöffen sollen die durchschnittliche Bevölkerung im Gerichtssaal repräsentieren, die Justiz erden.

Ich fühle mich gleichwertig. Als Schöffe hat man im Prozess das Recht, Fragen zu stellen – dem Angeklagten, Zeugen, Anwälten. Wenn mir die Fragen des Richters oder des Staatsanwalts nicht weit genug gehen, kann ich nachfragen. Davon muss man Gebrauch machen, wenn man unsicher ist.

Schöffen können den Berufsrichter überstimmen. Wie reagiert ein Profi, wenn er sich Laien beugen muss?

Das ist mir noch nicht untergekommen. Andererseits nicken wir Schöffen aber auch nicht das Urteil ab, das der Berufsrichter vorschlägt. Es ist ein Austausch. Natürlich kann es auch mal länger dauern, bis man sich auf ein Urteil verständigt hat.

Als Schöffe kann man das weitere Leben eines anderen Menschen erheblich beeinflussen, als Jugendschöffe allemal. Inwieweit kann das Schöffenamt auch Belastung sein?

Es gibt immer mal wieder Fälle, die einen beschäftigen, gerade dann, wenn es um Sexualdelikte im Jugendbereich geht. Die ganz schweren Fälle gehen zwar zum Landgericht, ähnlich ist es bei Kapitaldelikten. Aber auch Körperverletzungsdelikte etwa, was man da manchmal an Details mitbekommt, da muss man schon schlucken. Oft mache ich dann einen ausgedehnten Spaziergang durch die heimischen Wälder, um das zu verdauen.

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Zurzeit läuft bundesweit die Schöffensuche. Allein in NRW werden für die neue Amtszeit von 2024 bis 2028 rund 10.000 Laienrichter gebraucht. Für die Vorschlagslisten werden doppelt so viele Bewerber benötigt.

Die formalen Voraussetzungen für das Schöffen-Amt sind gering: Bewerber müssen zwischen 25 und 69 Jahre alt, deutsche Staatsangehörige und gesundheitlich ausreichend belastbar sein. Wo sich keine ausreichende Zahl an Bewerbern findet, werden nach dem Zufallsprinzip Bürger ausgewählt und auf die Vorschlagsliste gesetzt. Bei der Wahl 2018 seien etwa 20 Prozent der Kandidaten „zwangsverpflichtet“ worden. „Da besteht natürlich die Gefahr, dass auf der Richterbank Menschen sitzen, die demotiviert sind und keine Lust haben“, sagt der Landesvorsitzende der Schöffen-Vereinigung, Michael Haßdenteufel.

Wer zum Schöffen gewählt wird, hat nahezu keine Chance, das Amt abzulehnen. Umgekehrt besteht mancherorts die Sorge, dass sich beispielsweise Rechtsextreme ein Schöffenamt sichern könnten, um Urteile in ihrem Sinne zu beeinflussen. Jedes Urteil wird mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit der Mitglieder des Gerichts gefasst. (dpa)