Weidenau. Harte Bandagen nach dem Bürgerentscheid zum Erhalt von Haupt- und Realschulen in Siegen: „Bevölkerung mit Halbwahrheiten instrumentalisiert“.
In der Bibliothek des Fürst-Johann-Moritz-Gymnasiums findet der Schulausschuss, für den im Rathaus an diesem Nachmittag kein Platz ist, einen der wenigen neutralen Orte, an denen er über dieses Thema sprechen kann. Denn von den Folgen des Bürgerentscheids sind die meisten Schulen der Stadt betroffen.
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Das Anmeldeverfahren für das nächste Schuljahr ist nun endgültig vorbei. Die 17 Kinder, die noch nirgendwo angemeldet sind, werden noch die Wahl zwischen der Gesamtschule Auf dem Schießberg und der Realschule Am Oberen Schloss haben. Alle anderen Schulen sind voll, auch die neue Gesamtschule Am Rosterberg nimmt keine weiteren Fünftklässler mehr auf. Aber jetzt, wo alle Entscheidungen gefallen sind, tobt der schulpolitische Streit fast heftiger als in den Monaten, als die Aufgabe des Peter-Paul-Rubens-Gymnasiums, der Haupt- und Realschulen und die Errichtung einer vierten Gesamtschule beschlossen wurden.
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Was der Bürgerentscheid lehrt
Eva Biawolons-Sting (GfS) beginnt mit der unverfänglichen Frage, wo die von Gymnasium oder Realschule „abgeschulten“ Kinder denn nun hingingen. Schuldezernent Andree Schmidt verweist auf die Gesamtschule („Da gibt es kein Abschulen“) oder als „Option“ auf die Hauptschule der Gemeinde Wilnsdorf. Kevin Lee Hörnberger (FDP) nennt die Präsentation der Anmeldezahlen „irgendwie gar nicht fair“ – sie spiegelten die Bewegungen nach dem Abschluss der Anmeldezeiten nicht. Ulrich Schloos (Linke) holt dann aus und wirft der FDP vor, „das berechtigte Anliegen der Schulen vor den eigenen Karren gespannt“ und IHK und Landeselternschaft der Gymnasien mobilisiert zu haben, „mit Erfolg für die Kampagne, zum Schaden für die Stadt Siegen“.
„Bevölkerung der Stadt Siegen instrumentalisiert“
„Wir waren nie gegen die Gesamtschule“, erwidert Kevin Lee Hörnberger (FDP). Den Kindern würden aber Alternativen genommen. Auf Schulen in Nachbarkommunen zu verweisen, „ist das unser Anspruch als Großstadt?“ Markus Rommel (Grüne) meint, „man könnte aus dem Zahlen auch sofort die Forderung nach einer fünften Gesamtschule ableiten“. Besser als der „Erhalt in meinen Augen gescheiterter Bildungsformate“ wäre das allemal. Angelika Floren (SPD) nimmt sich die Initiatoren und Unterstützer des – erfolgreichen – Bürgerbegehrens vor: „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass man mit so vielen Halbwahrheiten die Bevölkerung der Stadt instrumentalisieren kann.“ Für die CDU äußert sich Alexander Patt nur einmal mit einer Einschätzung des Bürgerentscheids: „Sie können nicht ernsthaft bestreiten, dass sich an den Gegebenheiten nichts geändert hat.“
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Von Eva Biawolons-Sting (GfS) erfährt der Ausschuss, dass sie fünf Ärzte kenne, die kurz vor dem Abitur von der Gesamtschule zum Gymnasium gewechselt seien, um ein Abiturzeugnis eines Gymnasiums in den Lebenslauf packen zu können. Und Kevin Lee Hörnberger (FDP) berichtet, dass sein Wilnsdorfer Parteifreund Dr. Andreas Weigel auch einmal als Hauptschüler angefangen habe. „Völlig irreal, was hier abgeht“, staunt Joachim Pfeifer (SPD): „Wenn Schulen nicht angewählt werden, haben sie keine Legitimation mehr.“
Realschule und Gymnasium auf der Morgenröthe: Unterricht auf dem Flur
Was Holger Engelbert, Rektor der Realschule Auf der Morgenröthe, nicht gelten lässt: Die von ihm geleitete Schule habe mehr Anmeldungen als die Realschule Am Oberen Schloss, die vierte Gesamtschule habe an den Zahlen nichts geändert. „Die Kinder wollten unseren Standort haben.“ Nur sieben der 46, die hier in eine 5. Klasse wollten, seien zum Oberen Schloss umgeschwenkt.
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Wenn im übernächsten Schuljahr die Realschule zwei und das Gymnasium drei 5. Klassen eröffne, „dann findet bei uns Unterricht auf dem Flur statt“, sagt Sven Berghäuser, Leiter des Gymnasiums Auf der Morgenröthe – und wird grundsätzlich: „Der Fehler vor 40 Jahren war, eine Gesamtschule neben ein dreigliedriges System zu setzen.“ Eingeleitet worden sei damit der Niedergang von Haupt- und Realschulen. „Diese Entwicklung wird Siegen nicht aufhalten können.“ Der Bürgerentscheid sei „,mit Nostalgie und halbgaren Argumenten“ befeuert worden. „So kriegen wir da keine Ruhe rein.“
Wie es nun weitergeht: Vorgezogenes Anmeldeverfahren
Schuldezernent Andree Schmidt kündigt an, dass die Stadt auch für das nächste Jahr bei der Bezirksregierung wieder ein vorgezogenes Anmeldeverfahren für die Gesamtschulen beantragen werde, weil weiterhin mit Abweisungen zu rechnen sei. Durch den Bürgerentscheid, Haupt- und Realschulen weiterhin an Anmeldeverfahren teilnehmen zu lassen, „werden wir auch in den Folgejahren chaotische Anmeldeverfahren haben.“ Dazu trügen auch die nicht kalkulierbaren Anmeldungen aus Nachbarkommunen bei – die sich nicht nur auf die Siegener Gesamtschulplätze verließen, sondern auch noch darauf, „dass ihre Schülerinnen und Schüler bei uns kostenlos schwimmen können“.
Wenn alle Schulen gleichzeitig aufnähmen, würden nicht nur die Abweisungen von den überfüllten Gesamtschulen Bertha und Eiserfeld, sondern auch von den Haupt- und Realschulen, die Mindestschülerzahlen verfehlen, „für Hunderte von Kindern“ unterwegs sei, sagt Andree Schmidt weiter. „Wenn man mit der Chaotisierung des Verfahrens Kinder und Eltern verunsichern will, muss man solche Anträge stellen.“ Der von FDP, UWG und GfS geforderte Verzicht auf das vorgezogene Anmeldeverfahren, um alle Schulen gleich zu behandeln, wurde mit 4 gegen 12 Stimmen abgelehnt.
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