Siegen. Ein Teil der Siegener Unternehmen will Haupt- und Realschulen erhalten. Die IHK bezweifelt die Fähigkeiten der Gesamtschulen. Die Stadt kontert.
86 Prozent der Siegener Unternehmen – zumindest die 211, die an der jüngsten IHK-Blitzumfrage teilgenommen haben – sprechen sich für den Erhalt der Haupt- und der beiden Realschulen aus. 13 Prozent sind demnach dagegen. 85 Prozent der Betriebe seien der Auffassung, dass gerade Haupt- und Realschulen ihre Schüler gezielt auf die betriebliche Ausbildung vorbereiten und diese Schulformen einen wichtigen Beitrag für die Fachkräftesicherung in der Region leisten.
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Die Stadtverwaltung widerspricht ziemlich deutlich: Diese Ergebnisse spiegelten nicht die Realität der Übergänge von Schule in Ausbildung wider. Und sie kritisiert die IHK für deren beengte Sichtweise.
Wirtschaft fürchtet laut IHK Siegen: Mehr Schüler wollen künftig Abitur machen
Die hohe Beteiligung an der Umfrage – 17,6 Prozent der befragten 1200 Unternehmen haben geantwortet – und die Fülle an differenzierten Kommentaren zeigen aus Sicht der IHK, wie sehr das Thema die Unternehmen bewegt.
Ein Schulsystem, das allen Begabungen gerecht werde, sollte beibehalten werden, die Sorge sei groß, dass es künftig noch schwieriger werde, Ausbildungsplätze mit geeigneten Schulabgängern zu besetzen, folgert die IHK aus der Befragung. „Die erwarteten Nachteile für die betriebliche Erstausbildung sind offenkundig. Wenn für alle Schüler der Weg zum Abitur geöffnet wird, werden auch immer mehr den Versuch unternehmen, diesen Abschluss zu erzielen. Es ist bis heute nicht erkennbar, dass diese jungen Menschen anschließend in nennenswertem Umfang in der betrieblichen Erstausbildung landen“, bilanziert IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener.
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78 Prozent der Betriebe befürchten, dass durch die Beschränkung auf die zwei Schultypen Gesamtschule und Gymnasium der Trend zur Akademisierung verstärkt werde. 77 Prozent sind der Meinung, dass dies die Vorbereitung auf den Berufseinstieg nicht verbessert.
Unternehmen bezweifeln, dass die Siegener Gesamtschulen das schaffen
„Selten erhielten wir bei einer von uns durchgeführten Umfrage derart viele begleitende Kommentare“, sagt Klaus Gräbener. Die Aussagen würden indes nicht bedeuten, dass die Wirtschaft pauschal gegen den Schultyp Gesamtschule sei: Vielmehr hegten sie Zweifel, dass die Gesamtschulen hinreichend ausgestattet seien, um das in der Praxis umzusetzen. „Eine Gesamtschule ist grundsätzlich eine gute Sache, allerdings wird das Konzept nur selten wirklich erfolgreich umgesetzt, da es nicht nur an Lehrkräften generell, sondern auch an Sonderpädagogen aller Art zur Unterrichtsbegleitung mangelt“, gibt ein Unternehmer zu bedenken. Ein weiterer Betrieb mahnt, dass eine Diskussion, die sich nur um die Schulform drehe, nicht zielführend sei. Vielmehr müsse mehr in Schülerbetreuung und vielfältige Angebote investiert werden. Um auf unterschiedliche Begabungen besser eingehen zu können, werde eine große Schulform-Vielfalt gewünscht, so IHK-Geschäftsführerin Sabine Bechheim. Bei einer Beschränkung auf Gesamtschulen und Gymnasien sähen 76 Prozent die Gefahr, dass Schüler nicht den individuellen Entwicklungsbedarfen entsprechend gefördert würden.
41 Prozent der befragten Unternehmen seien aber überzeugt, dass eine Leistungsverbesserung auch bei zwei Schultypen möglich ist, wenn es genügend differenzierte Angebote gebe. Erfahrungsgemäß sei das in der Praxis nicht so: Nur 19 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass sich die Kenntnisse durch eine Beschränkung auf zwei Schultypen mit der Möglichkeit eines Abiturabschlusses verbessern würden. 80 Prozent glauben dies nicht. Die Hoffnung der antwortenden Unternehmen sei groß, dass der Ratsbeschluss zurückgenommen wird, 78 Prozent erwarten, dass der Bürgerentscheid erfolgreich ist, die Schulen bestehen bleiben. Bechheim: „Klare Botschaft an die Politik: Sollte es künftig auf ein ‚Zwei-Säulen-Modell‘ hinauslaufen, müssen vor allem die Gesamtschulen sowohl finanziell als auch personell so ausgestattet werden, dass sie den Ansprüchen gerecht werden.“
Stadt Siegen: Mehrzahl der Auszubildenden kommt von einer Gesamtschule
Auswertungen der Siegener Schulverwaltung zeigen, dass weniger als die Hälfte des Gesamtschul-Jahrgangs 10 mit einem entsprechenden Qualifikationsvermerk in die Oberstufe wechseln: „Der größte Teil der Schülerinnen und Schüler, die nach dem Jahrgang 10 die Gesamtschule verlassen, startet eine Ausbildung, wechselt in die Berufsvorbereitung oder an die Berufskollegs“, so die Stadt in einer Reaktion auf die IHK-Blitzumfrage – darunter eben auch die mit mittlerem Schulabschluss mit Qualifikation für die Oberstufe. Der Anteil der Gesamtschüler, die in Ausbildung oder Berufsvorbereitung wechseln, sei relativ vergleichbar mit den Haupt- und Realschulen – und absolut betrachtet sogar größer.
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Dass durch eine weitere Gesamtschule, an der Haupt- und Realschulabschlüsse erreicht werden können, Nachteile für die betriebliche Ausbildung entstehen, „ist schlichtweg falsch. Schon jetzt müssten die IHK-Unternehmen erkennen, dass die Mehrzahl ihrer Auszubildenden eine Gesamtschule besucht haben“, so Schuldezernent Andree Schmidt. Auch der Besuch einer Realschule und insbesondere der Hauptschule garantierten nicht, dass die Schüler dann einen Ausbildungsvertrag abschließen – eine große Zahl verlasse die Hauptschule bereits nach Klasse 9, so dass hier vermutlich noch keine Ausbildungsreife vorliegt.
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Es verwundere auch, dass sich die IHK hier auf die Stadt Siegen als eine von vielen Kommunen in ihrem Zuständigkeitsbereich fokussiert, „statt regional und gesamtgesellschaftlich zu agieren“, so Schmidt: Im Kreis Olpe seien fast alle Hauptschulen und viele Realschulen aufgelöst worden – in Siegen-Wittgenstein wurden die Realschulen in Burbach, Freudenberg, Netphen und Neunkirchen sowie die Hauptschulen in Burbach, Erndtebrück, Freudenberg, Hilchenbach, Bad Laasphe, Netphen und Neunkirchen aufgelöst. „Alle diese Schulschließungen sind ohne Intervention der IHK erfolgt.“