Siegen. Mit breiter Mehrheit beschließt der Siegener Rat den Haushalt 2023: Das Gezanke des vergangenen Jahres sollte sich auf keinen Fall wiederholen.
Der Rat hat am Mittwoch, 22. Februar, mit der breiten Mehrheit von neun Fraktionen den Haushaltsplan für das Jahr 2023 beschlossen. Barbara Dylong (AfS) stimmt mit CDU, SPD, Grünen, UWG, GfS, FDP, Linke und Volt, die seit Einbringung des Entwurfs im vergangenen Dezember verhandelt hatten – und diese Bemühungen mit einem gewissen Stolz in den Haushaltsreden der Fraktionsspitzen betonen. Die AfD-Fraktion enthält sich der Stimme.
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Vor knapp einem Jahr hatte der Rat mit durcheinandergewirbelten Mehrheitsverhältnissen den Haushalt zunächst vor die Wand gefahren. Die seinerzeit noch neun Fraktionen – seinerzeit hatte sich die GfS frisch von der CDU getrennt, die AfS sich noch nicht gegründet – waren sich nicht einig geworden; CDU und SPD, ihrer Kooperationsmehrheit beraubt, standen nun sechs Fraktionen gegenüber, die die Machtprobe wagten. Am Ende wurde die Verabschiedung vertagt und unter dem Druck der Haushaltssicherung vollzogen.
Erneutes Zanken der Siegener Kommunalpolitik wäre kaum vermittelbar gewesen
Das sollte sich 2023 auf keinen Fall wiederholen, was im Vorfeld der Sitzung in den umfangreichen Änderungsanträgen der acht Fraktionen deutlich wurde. Der Bevölkerung wäre in der aktuellen Multi-Krisen-Situation auch eine erneut zankende Kommunalpolitik kaum vermittelbar gewesen.
Das so geschnürte Paket, inklusive Stellenplan, wird einhellig mindestens als gelungener Kompromiss bezeichnet, bei allen vereinzelten inhaltlichen Bedenken: „Es war nicht einfach, im politischen Spektrum von ‘ganz links’ bis ‘bürgerlich konservativ’ einen Konsens zu erarbeiten, den alle beteiligten Fraktionen mittragen können“, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Marc Klein. Gemeinsam habe man sich nicht auf den kleinsten, sondern den größten gemeinsamen Nenner verständigen können – „ein gutes Beispiel dafür, wie Kommunalpolitik im Sinne der Stadt handelt!“ Das Antragspaket sei nicht eins zu eins das, was sich seine Fraktion gewünscht hätte, so Ingmar Schiltz (SPD): Aber man könne damit gut leben, auch wenn man bei einzelnen Maßnahmen Bedenken haben. Er ruft dazu auf, diese vertrauensvolle Zusammenarbeit in Zukunft weiter fortzuführen.
So ganz ohne geht es nicht: Inhaltliche Spitzen gegen Parteien und Verwaltung
Einige inhaltliche Spitzen aus dem „Haushaltsbündnis“ der sechs Fraktionen, können das nicht nachhaltig trüben (hier gibt es die Haushaltsreden der Fraktionen zum Nachlesen).
Julia Shirley kritisiert für die Grünen neben mangelnder Zielstrebigkeit und nur schleichenden Fortschritten in Sachen Klimaschutz, dass die Verwaltung zu oft politische Entscheidungen nicht umsetze. „Das gefährdet im Ergebnis eine gute Zusammenarbeit zwischen Politik und Verwaltung“ – wobei sich das in den vergangenen Monaten gebessert habe. Mit dem Gesamtpaket seien die Grünen sehr zufrieden, trotz „schmerzhafter Kompromisse“.
Der neue FDP-Fraktionschef Markus Nüchtern greift „die Euphorie einiger Ratskollegen, immer neue Dinge zu beschließen, die mal wenig, mal viel Geld kosten, aber eher auf die Galerie gemünzt sind“ an. Bei der Hallenbad-Frage zum Beispiel, wo der „Bausachverständigensenat der CDU-Fraktion“ mit seiner „kompletten Kompetenz das Eiserfelder Hallenbad zwischen Mittagsschlaf und Abendbrot untersucht hat“. Die Verwaltung sei strukturell noch lange nicht so weit, wie man zu suggerieren versuche: Im Digitalen habe man „noch unendliche Weiten vor sich“. Würden Unternehmen so wirtschaften wie der öffentliche Sektor, „dann läge unsere Gewerbesteuer knapp über Null.“
Wohl aller Siegenerinnen und Siegener im Blick behalten – nicht nur „eigene Klientel“
Christian Sondermann (GfS) zeigt sich erfreut, dass sich die „Farce“ des vergangenen Jahres nicht wiederholt, dass man sich frühzeitig zusammengesetzt und Themen beraten habe: „Ein tolles Signal nach außen, wir können gemeinsam ganz schön was auf die Beine stellen.“ Nach den wichtigen Beschlüssen müsse man „nun auch endlich in die Umsetzungsphase gelangen“.
Auch UWG-Fraktionsvorsitzender Hans Günter Bertelmann begrüßt „friedfertige Diskussionen und das gemeinsame Ringen“ und mahnt, bei anstehenden Maßnahmen weniger auf das „eigene Klientel“ zu achten, sondern alle Bürgerinnen und Bürger im Blick zu haben.
Silke Schneider (Linke) betont die Bedeutung des sozialen Bereichs, etwa im Wohnungsbau, bei Integrations- und Beratungsangeboten, Mobilität. Der Radverkehr müsse weiter gefördert werden, die Bevölkerung stärker dabei mitgenommen werden, auch Vorgaben seien nötig – in den Parkhäusern „belegen fette SUVs rotzfrech zwei Plätze“, zahlten aber nur für einen.
Auch AfD-Fraktionschef will „mit bestimmten Leuten nichts zu tun haben“
Samuel Wittenburg (Volt) mahnt zur Vorsicht: Bei der Höhe der Gewerbesteuereinnahmen, bei der Dauer des Ukraine-Kriegs, bei den Folgen der Inflation. „Wir können uns im Kleinen darum kümmern, dass die Weichen in dieser Stadt auf Zukunft gestellt werden.“ Zukunftsweisende Maßnahmen müssten, etwa im Fall der Umweltspur, gar nicht viel kosten. „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass wir keine große oder kleine Kooperation brauchen“, stellt Wittenburg fest – konstruktive Gespräche und fähige Verhandlungsführung genügten. Ein Wettbewerb der Ideen, nicht der Parteien sei der Weg einer Kommunalpolitik für die Bevölkerung.
Auch Michael Schwarzer (AfD) schimpft auf „ideologisch motivierte Anträge; mahnt Haushaltsdisziplin an – und beklagt, dass mit seiner Fraktion nicht gesprochen werde: „Weil einige wenige hier im Rat im Brustton der Überzeugung und moralischen Erhabenheit postulieren, mit Vertretern der AfD dürfe man nicht reden, nicht verhandeln, sie am besten einfach nur hassen.“ Auch er wolle mit bestimmten Leuten nichts zu tun haben – aber nicht pauschal. Auch aus der AfD gebe es Töne, „die mehr als ‘drüber’ sind“ – er sei einer der ersten, der zweifelhafte oder untragbare Leute bekämpfe. Die AfS nehme die AfD nicht in Sippenhaft, sondern werfe ihnen konkret etwas vor.
Bürgermeister Steffen Mues fast schon überrascht – und voll des Lobes
Mit dem Haushalt ist der Rat an einigen Stellen durchaus weit gesprungen: Kitas sollen die Eltern bald gar nichts mehr kosten, Parken dafür auch auf städtischen Flächen teurer werden, ebenso der Zweitwohnsitz in der Universitätsstadt. Statt Geld für Coronaviren-Luftfilter auszugeben, sollen alle Schulen Trinkwasserspender bekommen. Die Verwaltung bekommt mehr Stellen, um die Wohngeldanträge zu bearbeiten und die neuen Homepage online zu schalten.
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Am Ende spricht der Bürgermeister, fast überrascht, ein großes Lob aus: In so konstruktiver Form und mit so einer breiten Mehrheit – das habe er auch noch nicht erlebt, so Steffen Mues. „Wenn man miteinander redet, ist vieles möglich“, sagt Kämmerer Wolfgang Cavelius.