Siegen. . Mit Karstadt ist Siegens City nur ein klassisches Kaufhaus geblieben. Dabei war das Konzept mal der Hit. Wenn in den kommenden Tagen der Karstadt-Aufsichtsrat tagt, entscheidet sich, ob das letzte Stück Siegener Kaufhaus-Kultur erhalten bleibt.

Tausende stehen vor der Tür, dicht gedrängt, als am 4. Oktober 1928 die 43. Niederlassung der Kaufhauskette Leonhard Tietz am Markt eröffnet. Die Inhaber hatten per Zeitungsannonce zur Besichtigung eingeladen – „ohne Kaufzwang“ – und die Siegener kamen in Scharen. Wenn es heute Diskussionen darüber gibt, ob das Konzept „Kaufhaus“ möglicherweise überholt ist und ausgedient hat: Ende der 1920er Jahre hatte es noch Zugkraft. Und die sollte es für Jahrzehnte unangefochten behalten.

Als Kaufhausstandort war die Adresse bereits etabliert. Am 16. September 1899 hatten Arnold Plaut und Karl Daniel in Hausnummer 19 auf 500 Quadratmetern ihr „Waarenhaus“ (in der Tat: mit Doppel-A) eröffnet. Vorher hatten die jüdischen Geschäftsleute einen Laden für „Manufaktur- und Modewaaren, Damen-Konfektion, Aussteuer-Artikel und fertige Betten“ in der Marburger Straße 6 betrieben. Neben dem neuen Standort gab es ab 1902 zudem das „Rheinische Kaufhaus für Lebensmittel Stüßgen“.

„Zwangsarisierung“ 1933

1910 treten Julius Stern und Josef Häcker als neue Inhaber von „Plaut & Daniel“ auf. Der Firmenname bleibt, die Ausmaße nicht. Stern und Häcker wollen erweitern, lassen in den 20er Jahren die Häuser Nummer 21, 23 und 25 abreißen, um Platz für einen Erweiterungsbau zu haben. 1928 übernimmt das Unternehmen Leonhard Tietz den Rohbau, stellt das Projekt fertig und eröffnet seine 43. Dependance. Siegens Oberstadt hat mit dem Einkaufstempel – gekrönt von einer Glaskuppel, die sich über einen Lichthof wölbt, der sich vom dritten Ober- bis ins Erdgeschoss erstreckt – einen neuen Kundenmagneten, der großstädtisches Flair verleiht.

Mit der „Zwangsarisierung“ durch das Naziregime wird aus „Tietz“ 1933 der „Kaufhof“. Nach der Bombardierung Siegens am 16. Dezember 1944 steht vom schmucken Gebäude nur noch das Betongerippe. Relativ schnell laufen die Geschäfte mit einem Notverkauf auf wenig Raum weiter, bis 1953 nach schrittweisem Wiederaufbau erneut das ganze Gebäude zur Verfügung steht. 1956 folgt der fünfstöckige Anbau auf den Grundstücken 9 und 11. Der Kaufhof hat 4800 Quadratmeter Fläche, 10 900 Quadratmeter Nutzfläche und 530 Angestellte.

Potenzial für weiteres Kaufhaus

Trotz dieser Zahlen ist das Kaufhaus-Potenzial des Quartiers nicht ausgereizt. Die Nürnberger Gesellschaft für Konsum-, Markt- und Absatzforschung kommt Ende der 60er Jahre in einem Gutachten zu dem Schluss: „Soll die Oberstadt als zentraler Teil des Siegener Haupteinkaufszentrums erhalten bleiben, ist ein weiteres Warenhaus des gehobenen Bedarfs zu allererst unterzubringen.“

Konsumgüter für die Masse

Die Idee des Warenhauses entstand im 19. Jahrhundert. Als erstes Geschäft dieser Art wird oft das 1852 in Paris von Aristide Boucicaut eröffnete „Le Bon Marché“ genannt – auch wenn es in Frankreich Vorläufer gegeben haben soll, in deren Konzept die Entwicklung sich bereits abzeichnete.

Das Besondere lag vor allem in zwei Aspekten begründet: Die Waren hatten feste Preise – und die Kunden mussten sie bar bezahlen. Zuvor war es noch üblich, dass Kaufleute die Preise frei mit den Abnehmern verhandelten und dass Kunden anschreiben ließen. Die Inhaber von großen Kaufhäusern, erst Recht von Kaufhausketten, konnten ganz anders kalkulieren als die Betreiber kleiner Läden. Aufgrund der beträchtlichen Mengen, die sie bei Lieferanten und Herstellern orderten, konnten sie ihre eigenen Bezugspreise deutlich reduzieren. Dieses Modell machte es auch möglich, Luxusgüter für eine breitere Masse erschwinglich zu machen. Von daher trug das Prinzip Kaufhaus zu einer Demokratisierung des Konsums bei.

Anfänge in der Provinz

Deutsche Pioniere waren Abraham Wertheim (er eröffnete seinen ersten Laden 1873 in Stralsund), Leonhard Tietz (1879, ebenfalls Stralsund), Rudolph Karstadt (1881, Wismar), Oscar Tietz (Bruder von Leonhard, 1882, Gera; aus seiner Kette wurde später „Hertie“) und Theodor Althoff (1885, Dülmen). Anders als viele andere Innovationen trat das Kaufhaus seinen Siegeszug in Deutschland nicht von den Metropolen aus an, sondern hatte seine Anfänge eher in der Provinz.

Die Neckermann Versand KG folgt dem Ruf. Für etwa 20 Millionen Mark entsteht in rund einjähriger Bauzeit am Unteren Schloss ein Warenhaus mit vier Etagen und 7500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Eröffnung ist am 7. Oktober 1971. Heute schwer vorstellbar: Der für diese Zeit typische Betonklotz wurde damals als architektonisches Schmuckstück gelobt, als gelungene Verbindung von Tradition und Moderne, die sich ins Umfeld harmonisch einfügt. Selbst die Tatsache, dass die Grünfläche auf dem Schlosshof 170 Parkplätzen weichen musste, scheint nicht auf wirksamen Protest gestoßen zu sein.

Karstadt taucht in Siegen auf

Karstadt übernimmt 1977 – und hält die Stellung bis heute. Der Kaufhof übergab seine Siegener Filiale nach Umsatzeinbußen in den 80er Jahren zum 1. Januar 1993 an die Kerbergruppe, die zum selben Konzern gehörte – doch auch Kerber musste Ende 1999 die Segel streichen. Schon lange Geschichte war zu diesem Zeitpunkt ein anderes Projekt: Der Rat der Stadt hatte im Januar 1970 über einen Bebauungsplan zu entscheiden, der die Errichtung eines zweigeschossigen Gebäudes auf der Siegüberkragung zwischen Oberstadtbrücke und Weißmündung vorsah: Das City-Kaufhaus, das zeitweise noch einen Ableger in der Bahnhofstraße hatte. Beide sind ebenso verschwunden wie die Kaufhalle am ZOB und Quelle an der Ecke Bahnhofstraße/Koblenzerstraße.

Entscheidungen stehen noch aus

Die Aufsichtsratssitzung, nach der Karstadt die zu schließenden Filialen bekannt geben wollte, war für den 21. August geplant – wurde aber verschoben.

Nachgeholt werden soll sie am 11. September. Die Siegener Filiale wird in der Öffentlichkeit immer wieder als einer der gefährdeten Standorte genannt. Noch ist aber nichts spruchreif.

Nach der Übernahme von Karstadt durch den neuen Investor stellt sich aktuell auch die Frage nach der Zukunft des letzten großen Siegener Kaufhauses – die Filiale taucht auf den Listen der von Schließung bedrohten Standorte immer wieder auf.

Auch wenn die Anziehungskraft vielleicht nicht mehr so ausgeprägt ist, wie die Inhaber von Tietz es bei der Eröffnung am Markt 1928 erlebten: Ohne Kaufhaus würde der Siegener Oberstadt etwas fehlen.