Siegerland. Bei der Aktion „Check das Handwerk!“ können jungen Leuten mit dem lokalen Handwerk in Berührung kommen. Sie gestalten Badezimmer und vieles mehr

Viele handwerkliche Betriebe sind auf der Suche nach Nachwuchs. Das Handwerk leidet unter großem Fachkräftemangel. Mit der Aktion „Ausbildung 2023 – Check das Handwerk!“, die zum ersten Mal im Berufsinformationszentrum (BiZ) der Arbeitsagentur in Siegen stattfindet, sollen möglichst viele Schülerinnen und Schüler aus der Region für einen handwerklichen Beruf begeistert werden. Die Jugendlichen haben die Möglichkeit, in Kontakt mit den lokalen Betrieben zu treten, selbst anzupacken und erste praktische Erfahrungen zu sammeln.

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Das Angebot richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen. „Es ist noch nicht zu spät, die Bewerbungsfrist für dieses Jahr läuft noch und im Handwerk wird dringend gesucht“, betont Verena Kurth von der Handwerkskammer Südwestfalen. Nach einem Bericht der Agentur für Arbeit gibt es im Bezirk Siegen 2023 noch circa 2500 offene Ausbildungsstellen. Den Aktionstag „Check das Handwerk!“ hat die Handwerkskammer Südwestfalen zusammen mit der Agentur für Arbeit und der Kommunalen Koordinierung des Kreises Siegen-Wittgenstein ins Leben gerufen.

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Von dieser Zusammenarbeit sollen gleichermaßen Betriebe und Schülerinnen und Schüler profitieren: „Die Kommunale Koordinierung steht im engen Kontakt zu den Schulen. Die Arbeitsagentur wird beratend tätig und wir als Handwerkskammer stehen im regelmäßigen Austausch mit lokalen Unternehmen“, erzählt Verena Kurth. So seien alle wesentlichen Akteure des Ausbildungsgeschehens eingebunden. „Es geht uns darum, noch für dieses Jahr junge Erwachsene in die Ausbildung zu bringen.“

Check das Handwerk!: Das vielfältige Angebot für die Jugendliche

Insgesamt sechs handwerkliche Unternehmen aus der Region stellen sich am Aktionstag den Schülerinnen und Schülern an sieben Stationen vor, an denen Aktivitäten mit Bezug auf den jeweiligen Berufen angeboten werden. Um den Jugendlichen zu vermitteln, wie vielseitig das Handwerk ist, sind ganz unterschiedliche Bereiche vertreten; darunter das technische Handwerk wie auch das Gesundheitshandwerk und Bauhandwerk. „Wir wollen so all die jungen Menschen mit ihren verschiedenen Interessen abholen“, erklärt Christopher Becher von der Agentur für Arbeit.

Die „Becker Konzept GmbH“ aus Siegen ist gleich mit zwei Stationen vertreten und bietet den Schülerinnen und Schülern Übungen im Elektro- und Sanitäranlagenbereich an. „Wir erhoffen uns mit solchen Aktionen, den Kampf gegen den Fachkräftemangel zu gewinnen. Es ist in den letzten Jahren für uns immer schwieriger geworden, neues Personal zu finden“, sagt Hennig Höft von Becker-Elektro. Sein Kollege Reinhard Hoffmann von Becker-Sanitär zeigt den Jugendlichen, wie ein Badezimmer zusammengestellt wird und worauf man bei der Badplanung achten sollte.

Becker-Elektro lässt die Schülerinnen und Schüler einen Lichtschalter verkabeln.
Becker-Elektro lässt die Schülerinnen und Schüler einen Lichtschalter verkabeln. © Verena SchlüteR

Die „Hundhausen GmbH“ aus Siegen stellt an ihrer Station verschiedene Bauberufe vor. „Wir möchten Vorurteile abbauen und auch mehr Frauen für die Berufe auf dem Bau begeistern“, sagt Daniel With, Leiter Personalgewinnung. Bei der Station der Schornsteinfeger aus der Region wird den Jugendlichen gezeigt, wie man mithilfe einer Druckmessung und Schornsteinkamera ein Rohr auf seine Dichtigkeit prüft. „Wir suchen gerade dringend neue Lehrlinge und wollen so Interesse für den Beruf wecken“, erzählt Schornsteinfeger Oliver Schrick. „Vielleicht können wir so auch noch mehr Frauen für unsere Arbeit begeistern.“

Schornsteinfeger aus der Region zeigen den Schülerinnen und Schülern wie sie die Dichtigkeit eines Rohr überprüfen können.
Schornsteinfeger aus der Region zeigen den Schülerinnen und Schülern wie sie die Dichtigkeit eines Rohr überprüfen können. © Verena SchlüteR

An der Station der Familienbäckerei „Hafer-Back“ haben die Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit, verschiedene Flechtmuster für Hefezöpfe und Brezeln auszuprobieren. Außerdem können sie Schoko-Muffins mit verschiedenfarbigen Cremes dekorieren, bei der Gestaltung haben sie freie Hand. „Schön wäre es, wenn wir die jungen Menschen so für das Backhandwerk begeistern können und sie Lust bekommen, bei uns ins Backhandwerk einzusteigen“, erklärt Inhaberin Hanna Hafer.

Hanna Hafer erklärt der Schülerin Lara Immel wie sie die Muffin-Dekoration am besten anbringt.
Hanna Hafer erklärt der Schülerin Lara Immel wie sie die Muffin-Dekoration am besten anbringt. © Verena SchlüteR

Der Optiker „Brillen Fuchs“ aus Siegen möchte den Jugendlichen an seiner Station den praktischen Teil des Optikerberufs vorstellen. „Viele sehen in dem Beruf des Optikers nur einen Brillenverkäufer. Aber der Beruf ist mit viel Handwerk verbunden und sehr viel breiter aufgestellt“, berichtet Inhaber Heinjochen Fuchs. Wenn man nicht selbst Brillenträger ist, gebe es kaum Berührungspunkte zu dem Berufsfeld. „Wir wollen daher den jungen Leuten, die noch nicht genau wissen, was sie machen möchten, den Beruf als Optiker näherbringen.“ Dieses Jahr habe Brillen Fuchs noch eine Ausbildungsstelle zu besetzen.

Heinjochen Fuchs von Brillen Fuchs erklärt den Schülern und Schülerinnen wie Optiker Brillen selbst fertigen und worauf dabei zu achten ist.
Heinjochen Fuchs von Brillen Fuchs erklärt den Schülern und Schülerinnen wie Optiker Brillen selbst fertigen und worauf dabei zu achten ist. © Verena SchlüteR

„Ran an die Haare“ heißt es an der Station der Friseur-Innung Westfalen-Süd. Hier können die Schülerinnen und Schüler an echten Haaren oder Friseurköpfen üben. „So möchten wir den Jugendlichen die Bandbreite der Aufgaben in unserem Beruf aufzeigen“, berichtet Simone Menne von der Friseur-Innung. „Im Friseur- und Kosmetikbereich werden momentan überall Auszubildende gesucht.“ Das alles seien reale Übungen, die sich an dem Alltag des Handwerks orientieren. „Das sind alles Dinge, die in einem handwerklichen Beruf jeden Tag gemacht werden“, sagt Verena Kurth. Denn lebensnäher als die Arbeitgeber selbst kann den Jugendlichen die Berufsfelder wohl niemand erklären.

Friseur-Übungen am lebenden Model. Die Schülerinnen und Schüler haben die Gelegenheit mit Werkzeugen wie Kamm, Schere oder Föhn aktiv zu werden. 
Friseur-Übungen am lebenden Model. Die Schülerinnen und Schüler haben die Gelegenheit mit Werkzeugen wie Kamm, Schere oder Föhn aktiv zu werden.  © Verena SchlüteR

Check das Handwerk!: Das halten die Jugendlichen von der Aktion

Die Schülerinnen und Schüler sind begeistert. „Ich finde das Angebot wirklich toll und die Vertreter der Betriebe sind sehr sympathisch“, sagt Yasin Genc (16) aus der 10. Klasse der Pestalozzischule in Siegen. Am Stand der Friseur-Innung mal selbst Hand anlegen zu können, habe ihm besonders gut gefallen. „Ich bin aktuell noch am Überlegen, ob ich eine Ausbildung als Fliesenleger oder doch lieber als Friseur anfangen möchte.“ Auch Geatano Wilhelm aus der 10. Klasse der Carl-Kreamer Realschule in Hilchenbach ist glücklich über das Beratungsangebot: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass sowas für junge Menschen wie mich angeboten wird, und schätze die Chance, heute einen tieferen Einblick in die unterschiedlichen Handwerksberufe bekommen können.“

Der Schüler Yasin Genc probiert sich als Friseur und hat Spaß daran.
Der Schüler Yasin Genc probiert sich als Friseur und hat Spaß daran. © Verena SchlüteR

Lenya Horn (15) ist Schülerin an der Carl-Kraemer Realschule in Hilchenbach. Die Neuntklässlerin ist froh darüber, dass ihre Schule ihr die Möglichkeit bietet, in verschiedene Berufe reinzuschnuppern und selbst mit den handwerklichen Unternehmen in Kontakt zu treten. Ihre Mitschülerin Lara Immel (15) stimmt ihr zu: „Mir hat vor allem die Übung von Becker-Sanitär, bei der wir selbst ein Badezimmer gestalten konnten, gut gefallen. Aber auch der Stand von Hafer-Back, wo wir die Muffins selbst gestalten durften, hat mir sehr viel Spaß gemacht, weil ich da meiner Kreativität freien Lauf lassen konnte.“ Beide können sich gut vorstellen, später mal im handwerklichen Bereich tätig zu werden.

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Insgesamt 38 Schülerinnen und Schüler von elf regionalen Schulen nehmen an der Aktion teil. „Es ist gut durchmischt. Die Schülerinnen und Schüler kommen sowohl von den Gymnasien als auch den Berufs-, Gesamt-, Real-, Haupt- und Förderschulen“, so Sandra Thiemt, Leiterin der Kommunalen Koordinierung. An der Aktion durften sich nur Unternehmen beteiligen, die für 2023 noch freie Stellen zur Verfügung haben. Check das Handwerk soll am BiZ ein regelmäßiges Angebot für Schülerinnen und Schüler aus dem Siegerland werden.

Check das Handwerk: Berufsorientierung verändert sich

Der Arbeitsmarkt ist im Wandel. Es gibt mittlerweile mehr offene Stellen, als Bewerber vorhanden sind. Das hat zur Folge, dass eine frühzeitige Berufsorientierung in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle spielen. „Berufsfelder wurden Schülern über viele Jahre eher theoretisch in Unterrichtsformaten vermittelt“, weiß Christopher Becher.

Der direkte Kontakt zwischen Arbeitgebern und möglichen Lehrlingen wird immer relevanter. „Wir erleben, dass die persönlichen Begegnungen mit Fachkräften aus den verscheiden Berufsgruppen für die jungen Menschen sehr wertvoll sind“, berichtet Christopher Becher. Denn das ermögliche es ihnen, ihre Fragen zu stellen, reinzuschnuppern und einfach mal auszuprobieren, um eine möglichst genaue Vorstellung des beruflichen Alltags zu bekommen.

Und auch für die Ausbildungsbetriebe sei das eine Chance, mit möglichen Lehrlingen in Kontakt treten und sich zu präsentieren. „Die Haltung der Arbeitgeber gegenüber dem, was die Auszubildenden mitbringen sollen, habe sich über die letzten Jahre verändert“, sagt Christopher Becher. Es komme zu immer wieder zu interessanten Ausbildungsverträgen, die so vor einigen Jahren wahrscheinlich noch nicht zustande gekommen wären. Schulische Aspekte spielten zwar nach wie vor eine Rolle, aber die Not der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sei durch den anhaltenden Fachkräftemangel groß: „Die Auftragsbücher sind voll, es kann gar nicht genug Bauunternehmen für weiteren Wohnungsbau geben und auch die Klimawende wird nur mit vernünftig ausgebildeten Mechanikern und Elektronikern möglich sein“, betont Verena Kurth. Das Problem ziehe sich durch alle Bereiche: „Wir wollen alle weiterhin zum Friseur gehen, Brötchen einkaufen und bei Sehbeeinträchtigungen eine Brille bekommen können.“

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Vielen Jugendlichen fehle es heute allerdings an handwerkliches Wissen. „Junge Menschen basteln, werkeln und schrauben einfach weniger als es früher noch der Fall war“, sagt Verena Kurth. „Die haben mit dem Handwerk kaum noch Berührungspunkte. Viele junge Menschen habe keine Ahnung, wie vielfältig diese Berufsgruppe ist.“ Check das Handwerk! möchte genau da ansetzen. Die Aktion bietet den Schülerinnen und Schüler die Chance, möglichst viele unterschiedliche Handwerksbetriebe kennenzulernen und mit Berufsgruppen in Kontakt zu kommen, die sie sonst für sich selbst vielleicht nie in Erwägung gezogen hätten. „Das ist ein wichtiger Meilenstein für die frühzeitige Berufsorientierung“, sagt Verena Kurth. Ihrer Erfahrung nach seien meistens alle, die Kontakt mit handwerklichen Berufen hatten, direkt begeistert gewesen. Aber auf diese berufliche Möglichkeit müsste sie erst einmal aufmerksam gemacht werden.