Siegen. Schlosser Paul Neiner hatte ein gutes Auge für Technik und Fotografie. Mit der Kamera dokumentierte er den Bau der Siegtalbrücke in Siegen.

Zur Siegtalbrücke hat jeder eine Meinung. Ob gut oder schlecht, faszinierend oder abstoßend – kalt lässt das Bauwerk niemanden. Das war schon vor fast 60 Jahren so. Von 1964 bis 1969 wurde die damals höchste Autobahnbrücke Deutschlands errichtet.

Ein fast vergessener Chronist dieser Großtat der Ingenieurskunst wird nun, da Abriss und Neubau der Siegtalbrücke anstehen und sich wieder die Geister scheiden, in die Öffentlichkeit gerückt. Paul Neiner hieß dieser Chronist, der mit der Kamera begleitete, wie Siegen an die Autobahn angeschlossen wurde. Neiner, 1905 geboren, war selbstständiger Kunstschlosser, hatte seine Werkstatt in der Altstadt. Früh war er fasziniert von der Fotografie, sparte sich seine erste Kameraausrüstung mühsam an, blieb der Fotografie bis ins hohe Alter treu, berichtete seine Tochter Beatrix Neiner dem gemeinnützigen Verein „KuKu“, der den fast vergessenen Fotoschatz hob.

Mit der A45 und der Siegtalbrücke kommt für Siegen der wirtschaftliche Aufschwung

Anfangs wählte der Hobbyfotograf seine Heimatstadt als Motiv, schon 1928 veröffentlichte ein Fachmagazin seine Aufnahmen. Später widmete sich Neiner europäischer Kirchenarchitektur und den Plastiken Hermann Kuhmichels. Mit dem Siegener Künstler war der Kunstschlosser befreundet.

Individuelle Besichtigungen gern gesehen

Die Ausstellung „Bau der Siegtalbrücke“ wird Sonntag, 1. August, um 11 Uhr in der Produzentengalerie KuKu, Schlossblick 69 in Siegen, eröffnet. Bürgermeister Steffen Mues und Paul Neiners Tochter Beatrix Neiner werden Grußworte sprechen und in die Werke einführen. Die Bilder sind bis 22. August dort zu sehen.

Geöffnet ist die Galerie regulär samstags und sonntags von 15 bis 18 Uhr – und nach Vereinbarung, was Interessierte gern in Anspruch nehmen können, wie Maggie Suttner betont. Terminvereinbarung unter 0160/90336455.

Mitte der 60er Jahre jedenfalls wuchsen die Pfeiler der Siegtalbrücke. Vorher war der nächste Autobahnanschluss von Siegen aus bei Lüdenscheid. Das gewaltige Bauwerk steht wie kaum ein anderes für die A 45 im Siegerland und den damit verbundenen wirtschaftlichen Aufschwung der Region – plötzlich waren zum Beispiel internationale Flughäfen in kurzer Zeit erreichbar. „Besonders fasziniert hat Neiner die damals neue Vorschubtechnik“, sagt KuKu-Vorstandsmitglied Michael Schumann – noch heute werden Spannbetonbrücken mit diesem Verfahren errichtet. In seiner Freizeit war Neiner unterwegs rund um die Großbaustelle und auch mittendrin. Tagsüber und nachts.

Siegener Fotograf und Handwerker Paul Neiner: Interesse für Vorschubtechnik

Paul Neiner selbst schrieb: „Die gewaltige Siegtalbrücke war das interessanteste Bauwerk. Der Pfeilerbau mit dem Materialkran, welcher an dem jeweils fertigen Pfeilerstück montiert und immer erhöht wurde, war interessant. Doch etwas ganz Neues war für mich der Einsatz des Vorbauwagens mit den Schalgerüsten für den Bau der Fahrbahn.“

Blick von der Siegtalbrücke Richtung Siegen-Rinsenau: Faszinierende historische Details - wo damals viel Wiese war, ist heute alles bebaut. 
Blick von der Siegtalbrücke Richtung Siegen-Rinsenau: Faszinierende historische Details - wo damals viel Wiese war, ist heute alles bebaut.  © Paul Neiner/Repro Hendrik Schulz

Anhand der durchkomponierten Fotos lässt sich der Baufortschritt nachvollziehen. Interessant an Neiners Bildern ist die Mischung aus dokumentarisch-technischer und ästhetisch-künstlerischer Fotografie. Paul Neiner verstand etwas von guten Bildern, er verstand etwas von Bauwerken und Ingenieursleistungen, er war Handwerker und hatte den Blick für das Besondere.

Gewaltige Betonkonstruktion der Siegtalbrücke schiebt sich nach Siegen vor

Aus heutiger Sicht kommt die historische Dimension der Bilder hinzu. Es sind die kleinen Details jener Zeit, die faszinieren. Menschen, die auf Feldern arbeiteten, auf denen heute längst Häuser stehen. Die kleine Beatrix mit ihrer großen Schwester und einem Onkel in Mäntelchen und Mütze. Weite Wiesen, heute Industriegebiete und eine scheinbar fast unberührte Landschaft, in die sich die gewaltige Betonkonstruktion wie ein Vorbote des Siegener Aufschwungs schiebt.

Der Siegener Kunstschlosser begleitete den Baufortschritt der Siegtalbrücke jahrelang. 
Der Siegener Kunstschlosser begleitete den Baufortschritt der Siegtalbrücke jahrelang.  © Paul Neiner/Repro Hendrik Schulz

Wer die Gegend heute sieht, vermag sie auf Neiners Fotos mitunter kaum wiederzuerkennen – auch darauf hoffen die Macher der Ausstellung: Das Rätselraten, das Suchen und Entdecken in den Bildern. Zumal auch einige Aufnahmen der Talbrücken Rinsdorf und Landeskroner Weiher in der 50-teiligen Serie enthalten sind.

Verein KuKu hebt fast vergessenen Fotoschatz der Siegener Siegtalbrücke

Der KuKu-Vorstand um Maggie Suttner, Hartmut Traut und Michael Schumann war privat zu Gast bei Beatrix Neiner und ihrem Mann Herbert Irgang, irgendwann kam das Gespräch auf die Fotografie. Sie holte die geerbten Fotos ihres Vaters hervor, „wir fielen aus allen Wolken“, sagt Michael Schumann. Der Verein sichtete die Bilder, beschloss, sie der Öffentlichkeit zu zeigen. Gerhard Cimander unterstützte sie bei Gestaltung und Aufbau der neuen Ausstellung.

Über Siegtalbrücke und Autobahn wurde die manchmal fast unberührt wirkende Region um Siegen unter anderem an internationale Flughäfen und Ballungsgebiete angeschlossen. 
Über Siegtalbrücke und Autobahn wurde die manchmal fast unberührt wirkende Region um Siegen unter anderem an internationale Flughäfen und Ballungsgebiete angeschlossen.  © Paul Neiner/Repro Hendrik Schulz

Nach intensiver Suche fand Beatrix Neiner auch die Negative. So konnten großformatige, gestochen scharfe Abzüge neu gefertigt und den Originalen gegenübergestellt werden. „Wann immer wir die Bilder gezeigt haben, sind wir auf große Begeisterung oder große Skepsis gestoßen“, sagt Schumann. Die Siegtalbrücke lässt eben niemanden kalt.

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