Kreuztal. Typisch deutsches Problem auf dem Land besonders drastisch: Immer mehr Firmen können freie Stellen nicht besetzen. Was ein Kreuztaler Experte rät

Der Fachkräftemangel wird immer deutlicher in der Region. Fast vierzig Prozent der heimischen Unternehmen können nach Angaben der Kreuztaler Personalberatung Ochel Consulting derzeit offene Stellen längerfristig nicht besetzen. Das Team stehe derzeit stark unter Strom, berichtet Geschäftsführer Detlef Ochel: Zwar sei aufgrund Inflation und steigender Energiepreise die wirtschaftliche Entwicklung derzeit gebremst – aber weitsichtige Unternehmen würden gerade jetzt nach Wechselwilligen suchen, um schnellstmöglich wieder einen Gang hochzuschalten zu können, wenn die Weltkonjunktur anzieht.

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Regelmäßig erhalte Ochel derzeit neue Anfragen von Unternehmen, die Hilfe bei der Besetzung von Schlüsselpositionen benötigen. Das betreffe nicht nur Führungskräfte, auch Fach- und sogar Hilfskräfte würden gesucht, um die Prozesse im Unternehmen am Laufen zu halten. Was oft fehle, sei allerdings eine regionale, nationale und internationale Strategie bei der Bewerbersuche. „Unser Problem“, so Detlef Ochel, „liegt unter anderem an der zu geringen internationalen Vernetzung. Ein typisch deutsches Problem, was sich aber im ländlichen Bereich noch einmal potenziert.“ Deutschland sei weit davon entfernt, ein Zuwanderungsland zu werden. „Ohne Zuwanderung werden wir die klaffende Lücke des Arbeitskräftemangels voraussichtlich nicht schließen können.“

Zahl der Auszubildenden deutlich gesunken – und das wird eher nicht so schnell besser

Die Zahl der Auszubildenden ist in den vergangenen zehn Jahren um fast 25 Prozent gesunken, so der Experte – und das werde auf Sicht nicht besser. Auch Ochel hofft auf eine spürbare Liberalisierung der Einwanderungspolitik – etwa durch den SPD-Gesetzesentwurf zum sogenannte „Chancen-Aufenthaltsrecht“, das geduldeten Migranten einen festen Aufenthaltstitel ermöglichen soll sowie das von der FDP geforderte Einwanderungsgesetz, das ähnlich wie in Kanada eine Punktebewertung der Bewerber vorsieht und eine qualifizierte, leistungsorientierte Zuwanderung ermöglichen soll.

Mit Blick auf die praktische Erfahrung findet der Personalberater dabei drei Aspekte besonders wichtig: Die Vermittlung und Prüfung von Sprachkompetenzen bereits im Heimatland, die Prüfung bereits erlangter Kompetenzen und die Vermittlung fehlender Fachkenntnisse über verkürzte Ausbildungen sowie die Gewährleistung für Zuwanderer und Unternehmen, dass der Aufenthaltstitel bei nachgewiesener unbefristeter Festanstellung dauerhaft gilt. Es bewege sich ja auch etwas, der Wettbewerb mit den anderen europäischen Ländern und ihren überalternden Gesellschaft sei erkannt. Viele dieser Länder hätten sich dem internationalen Arbeitsmarkt bereits geöffnet.

An der Gastronomie sieht man die Auswirkungen des Personalmangels

Ohne Zuwanderung, so Ochels Prognose, könnten viele dringend notwendige Tätigkeiten nicht mehr erbracht werden – oder spürbar teurer werden: In der Pflege etwa, aber auch in der Produktion oder im Dienstleistungssektor. In der Gastronomie lasse sich das schon beobachten: Viele Lokale, Restaurants und Hotels können mangels Personal nicht mehr die ganze Woche öffnen. Nach einer aktuellen Prognose der Arbeitsagentur fehlen schon jetzt 1,2 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland, zudem blieben 60.000 Ausbildungsstellen im vergangenen Jahr unbesetzt.

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Besonderes Problem in Südwestfalen: Schon jetzt dauere es im Schnitt 132 Tage, eine Stelle neu zu besetzen – Landesrekord in NRW. Wesentliche Gründe sind nach Einschätzung des Experten einerseits der starke Mittelstand und auf der anderen Seite eine Region, die mit Landflucht und daher Fachkräftemangel zu kämpfen hat. „Die gesamte deutsche Gesellschaft sollte lernen, ‘Vielfalt’ als Chance zu sehen“, eine Entwicklung, die für Zugewanderte und Einheimische gleichermaßen vorteilhaft sei. „Vielfalt“ bedeute zudem auch Wissenstransfer zwischen den Generationen, damit die Erfahrung der älteren an die jüngeren weitergegeben werde.