Siegen. Neun Frauen hat Zohra Soori-Nurzad bereits aus Kabul gerettet. Jetzt sucht der Siegener Verein Wohnungen für die Afghaninnen und sammelt Spenden.
Mit dem Wiedererstarken der islamistischen Terrorgruppe Taliban in Afghanistan stand die im Siegerland lebende Frauenrechtsaktivistin Zohra Soori-Nurzad plötzlich vor einer schwierigen Frage. Sollte sie alles, was sie seit 2013 mit ihrem humanitären Projekt Stitching for School and Life aufgebaut hatte, aufgeben und die Menschen in Afghanistan ihrem Schicksal überlassen? Oder sollte sie unter hohem Sicherheitsrisiko weiter für das Leben und die Freiheit der afghanischen Frauen kämpfen? Der Gedanke ans Aufhören sei natürlich da gewesen. Aber so viel Unterstützung sei bereits weggebrochen, sie hätte die Menschen nicht auch noch im Stich lassen können: „Unser Projekt hilft da, wo keiner mehr hilft.“
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Gestartet ist Stitching for School and Life, wie der Name bereits verrät, als Nähprojekt. Witwen, ledige Frauen und Waisenkinder hätten bereits vor dem Abzug der Nato-Truppen besonders unter der Armut und dem Terror im Land gelitten. Der Verein stellte diesen Frauen und Kindern nun Nähmaterialien zur Verfügung. Die fertigen Handarbeiten wurden dann von Afghanistan nach Deutschland geschickt und zu Gunsten der Betroffenen auf Märkten verkauft. Außerdem vermittelte das ehrenamtliche Projekt Patenschaften, um Waisenkindern in Afghanistan einen Schulabschluss zu ermöglichen.
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Die aktuelle Lage: Hass auf Frauen immer stärker
Mit der Rückkehr der Terrormiliz sei ein „Tsunami der Einsamkeit“ über Afghanistan hinweg gefegt, sagt Zohra Soori-Nurzad. Alle, die mit westlichen Regierungen und Unternehmen zusammengearbeitet hätten, befänden sich nun in akuter Lebensgefahr. Hinzu komme, dass die ehemaligen Ortskräfte nicht mehr arbeiten dürften und viele Familien jetzt Hunger leiden müssten. „Mehr als elf Millionen Kindern droht in Afghanistan der Hungertod“, sagt Zohra Soori-Nurzad.
Auch der Frauenhass habe einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die Afghaninnen dürften nur noch in Burka und in Begleitung eines männlichen Verwandten das Haus verlassen. Auch die Schulbildung ende für die Mädchen bereits nach der 6. Klasse. Mit Beginn der Menstruation drohe den Minderjährigen dann vielerorts die Zwangsverheiratung. Nur in Ausnahmefällen dürften die jungen Frauen noch studieren und arbeiten. Etwa im Gesundheitswesen, um die medizinische Grundversorgung der Taliban-Frauen sicherzustellen.
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Wird die Vorlesung von einem Mann geleitet, müssen die jungen Studentinnen allerdings von einem männlichen Vormund begleitet werden. Er diene als Vermittler, ein direktes Gespräch mit dem Professor sei untersagt. „Doch welcher afghanische Mann würde das schon für seine Frau tun?“, fragt Zohra Soori-Nurzad. Bereits mit etwa sechs Jahren würden die Jungen der Erziehung ihrer Mütter entzogen und stünden fortan unter der Indoktrination der männlichen Familienmitglieder. Grausames „Highlight“ sei nun, dass selbst Frauennamen und allgemein frauenbezogene Themen nicht mehr in der Berichterstattung auftauchen dürften.
Die Taliban würden in den Frauen die Verführung und das Böse sehen, sagt Zohra Soori-Nurzads . Für ihre Ideologie missbrauchten sie den Islam. Dabei seien die meisten Muslime friedvoll. „Ich bin in meinem Herzen selbst muslimisch“, betont die Menschenrechtlerin.
Rettungsaktion: Noch viele hängen in Afghanistan fest
Der bürokratische Aufwand sei enorm gewesen. „Ich weiß nicht, wie viele E-Mails ich geschrieben habe“, sagt Soori-Nurzad. „Gefühlt über 3.000“, sagt sie. Außenministerin Annalena Baerbock habe zwar in den Medien versprochen, „alle die mit Leib und Leben bedroht sind, zu evakuieren“, sagt Soori-Nurzad. Doch aktuell seien noch 80 Prozent der von dem Verein betreuten Ortskräfte unter Lebensgefahr in Afghanistan. Zohra Soori-Nurzad kämpft weiter für ihre Evakuierung.
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Ein erster Erfolg ihrer unermüdlichen Arbeit ist die Rettung von neun am Projekt beteiligten Frauen aus Kabul. Eine von ihnen ist Amina Basir, die seit Juni in Siegen lebt. Sie ist froh, endlich wieder „frei atmen“ zu können. Nachts würde sie nun nicht mehr von Bomben geweckt. Die studierte Informatikerin absolvierte 1972 eine dreimonatige Fortbildung in der DDR und arbeitete die letzten 20 Jahre für ausländische Nichtregierungsorganisationen. Gemessen an der derzeitigen Situation ist die Karriere von Amina Basir außerordentlich. Zohra Soori-Nurzad erklärt, dass in den 70er Jahren Deutschland und Afghanistan „etwa auf einem Level“ gestanden hätten, was die Wirtschaft und das Wertesystem betrifft.
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Unterstützung: Gebraucht werden Wohnung und Geld
Amina Basir und die acht weiteren Frauen suchen dringend eine Wohnung. Auch ihr Nähprojekt würden sie gerne im Siegerland fortsetzen. Wer also eine Wohnung zu vermieten hat oder eine Räumlichkeit für die Näharbeiten zur Verfügung stellen möchte, kann sich bei dem Projekt melden. Auch ein kleiner Kühlschrank wird gebraucht. Da die Näharbeiten zurzeit kaum stattfinden könnten, seien die hungerleidenden Menschen in Afghanistan vor allem auf finanzielle Hilfe angewiesen. Zohra Soori-Nurzad bittet um Geldspenden.
Konto: Sparkasse Siegen, Stitching for School and Life e.V., IBAN: DE66 4605 0001 0001 2672 85. Kontakt: info@ssl-project.org, 0271 / 33 888 590.
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