Siegerland/Kabul. Zohra Soori-Nurzad versucht, Schützlinge von Stitching for Life vor Taliban zu retten: Lehrerinnen droht Hinrichtung, weil sie Deutsch sprechen.

Straßengefechte, brennende Häuser, Explosionen. Die Milizen der Taliban haben die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen. Das Leben im Land wird nun von Gewalt, Terror und Angst bestimmt. „Die aktuellen Bilder aus Afghanistan sind erschreckend“, berichtet Zohra Soori-Nurzad. Die Lehrerin aus Wilnsdorf hilft bereits seit sieben Jahren Frauen in Afghanistan dabei, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – und fürchtet nun um deren Leben.

Zohra Soori-Nurzad kommt gebürtig aus Afghanistan. Als sie neun Jahre alt war, ist sie mit ihrer Familie vor dem Krieg aus Afghanistan geflohen. Seit 1995 lebt die 35-Jährige im Siegerland. Die Jahre in Deutschland haben sie geprägt, ihr Geburtsland hat sie aber nicht vergessen. Die Wilnsdorferin war 2010 das erste Mal in Kabul. Der Dreck und Staub von den Explosionen gemischt mit dem Geruch der Abgase haben sie damals schon entsetzt. „Vor allem Frauen und Kinder leiden unter der Gewalt der Taliban“, sagt Zohra Soori-Nurzad. Auch sie wurde trotz Burka schon auf den Straßen Kabuls von Männern belästigt und festgenommen. Unter anderem warf man ihr Prostitution vor.

Siegerländer Verein Stitching for Life vermittelt Patenschaften für afghanische Familien

2013 gründete Zohra Soori-Nurzad den Verein Stitching for School and Life (SSL). Witwen und Waisen sollen unterstützt werden, indem diese in Afghanistan Handarbeitswaren anfertigen, die dann zugunsten der Frauen und Kinder auf Märkten in Deutschland verkauft werden. Darüber hinaus vermittelt SSL auch Patenschaften, um afghanische Familien zu unterstützen. „Wir haben dabei stets das Wohl der gesamten Familie im Blick. Unser Anliegen war und ist es, Hilfe vor Ort zu leisten“, betont die Gründerin. Im Moment hilft der Verein 20 Kindern und zwölf Erwachsenen. Bis die Lage vor einigen Jahren zu gefährlich wurde, hat Soori-Nurzad die Familien und Frauen regelmäßig vor Ort besucht.

 Das Buch von Zohra Soori-Nurzad zeigt Frauen, die Angehörige wegen der Taliban verloren haben. 
 Das Buch von Zohra Soori-Nurzad zeigt Frauen, die Angehörige wegen der Taliban verloren haben.  © privat

Zohra Soori-Nurzad versteht sich selbst als Sprachrohr ihrer Unterstützerinnen. Denn alleine fehlen ihnen die Mittel ihr Anliegen an die deutsche Politik heranzutragen. Während ihrer Besuche in Afghanistan hat Zohra Soori-Nurzad viel fotografiert und gefilmt, um ihren kritischen Blick auf die reale sozialpolitische und kulturelle Situation der Frauen und Kinder in Afghanistan festzuhalten. Einige ihrer Fotos wurde vor zwei Jahren in Netphen ausgestellt. Damit wollte sie den Menschen verdeutlichen, dass für die Menschen dort vor diesem „sinnlosen Krieg“ ein Leben in Frieden möglich war.

Ohne deutschsprachige Ortskräfte hätte die Bundeswehr nicht arbeiten können

„Nach dem völlig überhasteten Abzug der westlichen Soldaten ist die Lage in Afghanistan katastrophal und unser Projekt insgesamt gefährdet“, berichtet Zohra Soori-Nurzad. „Viele der Kontaktpersonen vor Ort schweben in akuter Lebensgefahr.“ Aufgrund der sich aktuell dramatisch verschlechternden Situation in Kabul wenden sich einige Unterstützer von SSL mit einem Hilferuf an die Gründerin aus Wilsdorf. Darunter viele Lehrerinnen mit der Fachrichtung Deutsch.

Jede Unterstützung ist willkommen

Eine Hilfs- und Spendenaktion für die Lehrerinnen und ihre Familien wurde ins Leben gerufen, der Verein SSL will das durch die Taliban drohende Schicksal für die Frauen und ihre Familien abwenden. Jede Hilfe, ob zum notwendigen Verfahrensgang, bei der praktischen Umsetzung oder in Form einer Spende ist willkommen.

Kontakt zu Zohra Soori-Nurzad per E-Mail an

Spendenkonto bei der Sparkasse Siegen: Inhaber Stitching for School and Life e.V., IBAN: DE66 4605 0001 0001 2672 85, BIC: WELADED1SIE, Verwendungszweck: Humanitäre Hilfe für Afghanistan.

Nafissa Alizadeh (25), Deutschlehrerin aus Kabul, berichtet: „Mehrere Male bin ich einem Anschlag knapp entkommen und oft werde ich unterwegs zur Arbeit verfolgt und belästigt. Ich habe Angst, dass sie mich umbringen, weil ich die Sprache der ‘Ungläubigen’ spreche und es anderen beibringe.“ Eine weitere Lehrerin aus Kabul schreibt: „Bitte holt mich hier raus, helft mir, denn ich habe keinen männlichen Schutz in Afghanistan.“ Die 43-Jährige Deutschlehrerin Leyla Rahimi fragt verzweifelt: „Wofür haben wir uns all die Jahre so für die Deutschen und die deutsche Sprache in unserem Land eingesetzt, wenn nun, wo wir in Lebensgefahr sind, die Deutschen uns nicht retten?“

Das Leben dieser Menschen ist in Gefahr, weil sie Deutsch unterrichten und den Verein unterstützt haben – in den Augen der Taliban Verbrechen. Ohne deutschsprachige Ortskräfte wäre die humanitäre Arbeit von SSL wie auch de Mission der Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren nicht möglich gewesen. „Die hilfesuchenden Deutschlehrerinnen haben hierfür einen entscheidenden Beitrag geliefert“, betont Zohra Soori-Nurzad. „Es geht um Leben und Tod. Wenn die Regierung nichts unternimmt, werden diese Frauen hingerichtet, weil sie unsere Sprache sprechen können und es gelehrt haben.“

Soori-Nurzad: Nur Deutschland kann die Frauen vor den Taliban retten

Für die Deutschlehrerinnen sieht Soori-Nurzad nur eine Möglichkeit zur Rettung vor den Taliban: Sie sollten zusammen mit ihren Familien nach Deutschland kommen dürfen, um im Land derjenigen, die sie durch ihre Tätigkeit in Afghanistan unterstützt haben, friedlich leben zu können. Die Lehrerin aus Wilnsdorf steht aktuell in Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und versucht zu vermitteln, damit die Lehrerinnen schnellstmöglich nach Deutschland ausreisen dürfen.

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In Afghanistan existieren keine Ämter, an die sich die Frauen selbst wenden könnten. Die Aktivistin hofft, dass ihr Vorhaben klappt, noch sei die Ausreise allerdings ungewiss. Der Verein SSL betrachtet es als Pflicht der deutschen Regierung, diejenigen, deren Unterstützung sie in den letzten 20 Jahren erhalten haben, nicht im Stich zu lassen, argumentiert Zohra Soori-Nurzad. Abseits des Kriegs habe die Regierung nach wie vor eine große Verantwortung gegenüber dem Land und der Bevölkerung vor Ort. „Ich befinde mich gerade sowohl als Vorsitzende und Gründerin des Vereins wie auch als Privatperson in großer Sorge. Zum einen möchte ich meine Kontaktpersonen vor Ort in Kabul sicher wissen. Zum anderen bereiten mir natürlich auch die Schicksale der Familien und Kinder des Patenschaftsprojekts Sorge.“ Der Verein will weiterhin versuchen, seine Partnerfamilien vor den Milizen der Taliban zu schützen und mit dem Notwendigsten zu versorgen.

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