Weidenau. Der Betriebsrat hat sich mit aller Kraft um die Arbeitsplätze im Werk in Weidenau bemüht – vergebens. Nun steht die endgültige Schließung bevor.

Die Zeit der letzten Male hat längst begonnen. Am 31. August werden Edgar Barkow und Dirk Euteneuer zu den letzten gehören, die abschließen. Das wird es dann gewesen sein mit Benteler in Weidenau. Die Werkshallen werden schon immer leerer, immer stiller. Viele Maschinen sind verlagert. Barkow und Euteneuer, Betriebsratsvorsitzender und Stellvertreter, und ihre Kollegen haben ein Jahr lang gekämpft wie die Löwen. Für ihre Kolleginnen und Kollegen, die jahrzehntelang fast schon wie eine Familie für sie waren, aber auch für den Arbeitgeber. Sie glaubten an Benteler in Weidenau, dass sie es mit diesem Team schaffen können. Der Konzern glaubte das nicht. Jetzt müssen sie abwickeln. „Ich wünsche keinem, das machen zu müssen“, sagt Dirk Euteneuer.

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Vor einigen Jahren hatte Benteler das Rohrwerk geschlossen, das war ein ähnliches Gefühl, erinnert sich Edgar Barkow. Sie erlebten, was das mit den Menschen macht. „Aber wir wussten, da kommt was Neues“, sagt er. „Das hier ist endgültig. Hier kommt nichts nach.“

Kritik von den eigenen frustrierten Kollegen schmerzt Weidenauer Betriebsrat sehr

Sie haben alles gegeben, um das abzuwenden. Das ungute Bauchgefühl, was den Fortbestand des Werks in Weidenau angeht – irgendwann gehörte es dazu. Schlechte Nachrichten kamen immer neue, egal auf wie viel Gehälter sie in Weidenau verzichteten, damit sie doch endlich wieder schwarze Zahlen schreiben. Aber es ging immer weiter. Sie könnten viel erzählen über aus ihrer Sicht unternehmerische Fehlentscheidungen, millionen- und milliardenschwere Investments im Ausland, die dann schiefgingen und die auch Weidenau mittrug. Dass ihnen wohl nie die ganzen Zahlen vorgelegt wurden, die über den Fortbestand ihres Werks entschieden. Über die Arbeitsgerichtsbarkeit, von der sie im Kampf um ihre Arbeitsplätze den Eindruck gewannen, dass sie kaum noch etwas ausrichten konnten, weil die Entscheidung schon zugunsten des Arbeitgebers tendierte.

Und über Kollegen, die sie verantwortlich machten für das vermeintlich schlechte Ergebnis der Verhandlungen, das sie immer und immer wieder zu erklären suchten und damit nicht zu jedem durchdrangen, der vor Verzweiflung um seinen Arbeitsplatzverlust seinen Frust bei Edgar Barkow und Dirk Euteneuer und ihren Betriebsratskollegen ablud. Auch vor versammelter Mannschaft. „Das tut weh“, sagt Barkow. „Sowas vergisst man nicht.“ An einem Tag legten sie noch alle zusammen binnen Minuten das Werk still, um die Streikbrecher des Konzerns am Streikbrechen zu hindern. Und wenig später wurde ihnen vorgeworfen, sie hätten sich kaufen lassen. In einer Familie knirscht es immer mal, aber das war neu. Sie versuchen zu helfen, werden aber genau dafür in den Arsch getreten, sagt Barkow – von manchen. Die meisten stärkten ihrem Betriebsrat den Rücken.

Extrem belastende Situation für den Weidenauer Betriebsrat

Diese emotionalen Kämpfe mit manchen nach dem Tarifabschluss, sagt auch Dirk Euteneuer, waren schlimmer als der Streik und der Kampf und die Hängepartie in den Monaten davor. „Das ging ins Persönliche.“ Bis dahin hätten sie alle an einem Strang gezogen, die Weidenauer Benteler-Familie. Jetzt scherten manche, wenige, aus. Messerstiche, wenige, aber lange noch spürbar, sagt Edgar Barkow. Bei einer Betriebsversammlung eskalierte es, ein Kollege, für den sie sich massiv eingesetzt hatten, beschimpfte den Betriebsrat. Dirk Euteneuer verließ die Versammlung, er ertrug das nicht. Ein anderes Mal, als er privat in der Stadt unterwegs war, wurde er angebrüllt: Ob sie sich nicht schämen würden, sie hätten nur an sich gedacht, sich die Rosinen rausgepickt. „Das hat mir extrem zugesetzt“, sagt Euteneuer. Er nahm sich eine Auszeit. Es ging nicht mehr. „Wir sind doch nicht nur der Betriebsrat“, sagt Edgar Barkow. „Wir sind Menschen. Und selbst genauso betroffen.“

Trotzdem: Sie würden es jederzeit wieder machen. Kämpfen, für 280 Kolleginnen und Kollegen, für Weidenau, für die Region. Denn Benteler und jüngst Dometic, fürchten sie, sind nur die ersten Symptome eines Strukturwandels, der die alte Industrieregion Siegerland erfasst hat. So gut wie alle wären bis zur Rente bei Benteler geblieben, gar keine Frage. Väter und Söhne arbeiteten zusammen in Weidenau, auch viele Ehepaare. „Ich hänge mit Herz und Seele an diesem Unternehmen“, sagt Dirk Euteneuer. „Wir wussten immer, es wird schwer“, erinnert sich Edgar Barkow. „Wir waren immer zum Kämpfen verdonnert.“ Aber sie waren immer überzeugt, jahrzehntelang: Wenn wir einmal durchs Tal sind: Dann hat Benteler Weidenau eine Chance.

Für einen verstorbenen Kollegen verdoppelt Benteler die gesammelte Summe

Benteler Weidenau bekommt keine Chance mehr und irgendwie liegen damit auch 280 Lebenswerke in Trümmern. Das tut weh, der Betriebsrat bemüht sich, nach vorn zu blicken, das Negative nicht die Überhand gewinnen zu lassen. Sie gehen mit geradem Rücken. „Am Ende überwiegt das Positive“, sagt Dirk Euteneuer. Stinkstiefel gebe es halt immer.

Die meisten wissen, was ihr kleiner, überwiegend ehrenamtlicher Betriebsrat für sie rausgeholt hat, dass die Laien aus Weidenau dem Konzern und seinen Heeren von Juristen und Fachleuten die Stirn geboten haben. Dass sie sich reinknieten und jeden Stein umdrehten, für einen akzeptablen Tarifabschluss, Abfindung, Transfergesellschaft, Geld für Kinder, Schwerbehinderte und Rentennahe. Und schließlich, auch das wollen sie nicht verschweigen, verdoppelte Benteler die Summe, die die Belegschaft für einen Kollegen gesammelt hatte, der während der Verhandlungen gestorben war. Der Mann hinterließ Frau und zwei kleine Kinder. Da flammte die Familie im Weltkonzern noch einmal auf.

Andere Benteler-Standorte schreiben: „Wären froh über so eine tolle Truppe“

Jetzt müssen sie zuschauen, wie Benteler in Weidenau verglüht. Ein Tagegeld handelte der Betriebsrat auch noch raus – denn kaum stand der Abschluss, gingen die Krankenzahlen hoch. Die Moral war total im Keller. Inzwischen sind viele Kolleginnen und Kollegen untergekommen, haben neue Jobs oder sind in die Transfergesellschaft gewechselt, manche älteren auch in die Rente. „Wir sind froh, wenn sie in eine gute Zukunft gehen und nicht ins Bodenlose fallen“, sagt Edgar Barkow. Die meisten sind wenigstens irgendwie versorgt. Erstmal. Jetzt müssen auch die Betriebsratsmitglieder anfangen, mal an sich und ihre eigene Zukunft zu denken. Nach der Transfergesellschaft sei er 61, sagt Edgar Barkow. Und bekannt als streitbarer, aber immer respektvoller Betriebsrat, wie er betont. „Aber wer will mich denn dann noch?“

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Der Betriebsrat bekam Briefe von anderen Benteler-Standorten: Wie froh sie wären, wenn sie so eine tolle Truppe hätten wie die Weidenauer. „Und wir haben wirklich eine tolle Truppe gehabt“, sagt Dirk Euteneuer. Bis zum Ende zu bleiben und zu sehen wie das zerfällt: Vielleicht sei das das Schlimmste. Wenn ein altgedienter Kollege ihn zum Abschied in den Arm nimmt und „Danke für alles“ sagt – das will er in Erinnerung behalten. „So viel kann ich nicht verkehrt gemacht haben.“