Siegen. Immer mehr Nicht-Mitglieder wollen von Gewerkschaft profitieren. IG Metall Siegen sieht Trend zu Ich-Bezogenheit mit Sorge. Aufregung um Benteler
Nicht nur die IG Metall beobachtet einen Rückgang der Solidarität im Arbeitsleben. In steigendem Maße hat die Industriegewerkschaft mit Arbeitnehmern zu tun, die zwar nicht Mitglied sind, aber dennoch profitieren möchten. Dass sich das womöglich rächen kann, zeigt sich aktuell am Beispiel Benteler.
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In der Belegschaft kursierte ein Papier aus den laufenden Verhandlungen zum Sozialplan zwischen Betriebsrat und Arbeitgeberseite. Der Sozialtarifvertrag besteht zwischen Benteler und der Gewerkschaft und gilt entsprechend für IG-Metall-Mitglieder. Die ausgehandelten Konditionen des Sozialtarifvertrags, etwa zu Abfindungen, gelten demnach für Gewerkschaftsmitglieder – ein gängiger Vorgang. Der Sozialplan, an dem die IG Metall nicht mehr unmittelbar beteiligt ist, gilt dann für alle Beschäftigten – auch Nicht-Gewerkschaftsmitglieder. Von denen hatten sich einige empört, als ihnen klar wurde, dass die Abfindungen für Gewerkschaftsmitglieder höher ausfallen dürften als ihre eigenen.
IG Metall hat bei Benteler Siegen „alle angesprochen, jeder wusste, worum es geht“
Dabei sei es im Grunde unmöglich gewesen, in den vergangenen Monaten nichts von den Entwicklungen im Weidenauer Werk mitzubekommen – und auch nicht von den möglichen Konsequenzen. Betriebsrat und IG Metall warben demnach im ohnehin hoch organisierten Werk intensiv für die Gewerkschaft, beide zeigten gemeinsame Präsenz, organisierten den anstehenden Arbeitskampf über Monate, verhandelten. 43 Beschäftigte traten angesichts der drohenden Schließung noch ein, so die Arbeitnehmervertreter. „Wir haben alle angesprochen, jeder wusste, worum es geht“, bekräftigt Andree Jorgella, 1. Bevollmächtigter der Siegener IG Metall.
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Dass es Arbeitnehmer gibt, die „mitschwimmen“, sich den Mitgliedsbeitrag sparen, dafür aber erwarten, im Ernstfall die gleichen Vorteile wie Gewerkschafter zu bekommen, sei leider keine Seltenheit mehr, sagt Jorgella. Eine allgemeine gesellschaftliche Entwicklung der Ich-Bezogenheit, die sich auch in der Auseinandersetzung um Löhne und Tarifverträge zeige und die Corona sehr wahrscheinlich noch verstärkt habe: Immer mehr Menschen würden zuerst auf sich selbst schauen, das Bewusstsein für ein gemeinsames Erstreiten von Arbeitsbedingungen schwinde. „Das nimmt zu und das schmerzt uns“, sagt Andree Jorgella, auch und gerade mit Blick auf die im Herbst anstehende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie. „Die Arbeitgeber wissen sehr genau, wie stark ihre Belegschaften organisiert sind.“
Profitieren ohne Mitgliedschaft? IG Metall-Mitglieder drohen mit Austritten
Die Kfz-Branche zum Beispiel: Seit 2007, als er bei der IG Metall in Siegen anfing, gebe es dort keinen Flächentarif mehr, erinnert sich Jorgella. Der Organisationsgrad in den Betrieben war immer weiter gesunken – und das hatten die Arbeitgeber genau registriert. Irgendwann war die Gewerkschaft raus als Ansprechpartner der Arbeitgeber für Löhne und Gehälter, für Überstundenvergütung und Urlaubsansprüche. Die Beschäftigten mussten für sich selber kämpfen – die heutige Bezahlung in vielen Autowerkstätten spricht im Vergleich zu Industrieunternehmen mit hohem Organisationsgrad für sich. „Wir kommen da nicht mehr ran“, sagt Jorgella. Mit einer solchen Haltung hätten die Leute dafür gesorgt, dass sie „sturmreif geschossen“ werden konnten. Denn Einzelne haben nun einmal erheblich weniger Druckmittel als eine Gewerkschaft mit breitem Rückhalt in den Belegschaften.
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Die IG Metall trete an für ihre Mitglieder – und die forderten das auch ein. Denn andersherum fragten die sich zu Recht: Wozu soll ich Mitgliedsbeiträge zahlen, wenn die, die sich das lieber gespart haben, genauso profitieren? Im Falle „kostenloser Lieferung“ werde durchaus auch großflächiger mit Austritten gedroht. Solidarität sei keine Einbahnstraße, bekräftigt der Gewerkschafter. „Es tut mir um die Menschen leid“, sagt Jorgella. Aber die in zähen Verhandlungen mit Benteler errungenen Summen habe man für die Gewerkschafter erkämpft – und das sei auch jedem klargemacht worden. Dennoch: „Die anderen sollen nicht ins Bodenlose fallen“, auch um die bemühe sich die IG Metall. „Es wird eine Differenz geben, aber wir wollen darauf achten, dass es nicht zu krass wird.“ Benteler und der Betriebsrat äußern sich unter Verweis auf die finale Abstimmung des Sozialplans noch nicht.
Benteler und IG Metall einigen sich auf 0,75 Jahresgehälter – für Gewerkschafter
Auch die Nicht-Organisierten hätten den Arbeitskampf mitgetragen, hätten ohne Streikgeld genauso die Arbeit niedergelegt, sagt etwa Nehat Karamehmetoglu, der nicht in der IG Metall ist und der fürchtet, eine beachtliche fünfstellige Summe weniger als Abfindung zu bekommen als die Gewerkschafter. Dass der Arbeitgeber nun an dieser Stelle Geld sparen wolle, obwohl Benteler immer von Beschäftigen gesprochen habe und nicht von Gewerkschaftsmitgliedern, sei „eine fiese Tour“.
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Kurz vor Ende der Verhandlungen hatte der Vorsitzende der Einigungsstelle signalisiert, 0,3 Gehälter pro Beschäftigungsjahr für eine angemessene Abfindung zu halten – der Nachteil für die Beschäftigten bestehe in der Differenz zwischen dem Arbeitslosengeld und dem, was die Person bei Benteler verdient hätte. Die Arbeitnehmerseite forderte den Faktor 1,0 – am Ende stand die Einigung auf 0,75.