Siegen. Der Angeklagte soll in Siegen Autofahrer mit einer Waffe bedroht haben. Vor Gericht spricht seine Lebensgefährtin - und zeigt sich entsetzt.

Drei Zeugen und drei Wahrnehmungen. Selten ist der individuelle Aspekt von Aussagen derart deutlich geworden, wie am Donnerstagmorgen im Siegener Landgericht.

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Da sagen die Mitglieder einer Familie aus, wie sie vom Angeklagten G. am 23. Januar 2021 mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden sind, ihm ihr Auto zu überlassen. Alle drei haben einen entscheidenden Aspekt sehr unterschiedlich erlebt. Der Fahrer erinnert sich, dass ihm G, mit der Waffe in der Hand bedeutet hat, ihm sein Auto zu überlassen. Er sei „in Panik gewesen“, lässt der Mann aus Rumänien per Dolmetscher erklären. Ganz bewusst will er nicht gebremst haben, „sonst hätte ich ihn noch fahren lassen müssen“, habe „den Mädchen“ zugerufen, bei Schrittgeschwindigkeit aus dem Auto zu springen, sei dann selbst auch raus aus dem Fahrzeug.

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G. stieg ein, fuhr weiter und landete kurze Zeit später in einem Zaun. Der Angeklagte hätte die Waffe durch das Fenster geschoben, alle Fenster seien unten gewesen, sagt der Zeuge weiter. Bei der Polizei wurde aufgenommen, dass G. die Beifahrertür öffnete, sich auf den Sitz stützte und die Waffe vorhielt, liest die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach aus den Akten vor. Das könne stimmen, meint der Zeuge. Damals sei seine Erinnerung besser gewesen.

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Die „Mädchen“, das sind seine Schwiegertochter und Tochter, 20 und 26. Beide sind aus dem Wagen gesprungen und haben sich leichte Blessuren zugezogen. Die Schwiegertochter sah G. zunächst direkt neben dem Auto an ihrem Fenster, dann soll er sich durch jenes der Beifahrertür gebeugt und ihrem Schwiegervater die Waffe vorgehalten haben. Der solle sofort auszusteigen, „oder ich erschieße Dich“, habe der Angeklagte wörtlich auf Deutsch gesagt, ist sie sich sicher. Im Polizeiprotokoll stehe das aber nicht, wundert sich die Richterin. „Ich bin mir heute sicherer als damals“, betont die junge Frau. G. habe gesagt, „sonst knall ich Dich ab“.

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Ihre Schwägerin ist hingegen ebenso sicher, eine solche direkte Drohung nicht gehört zu haben. Beide Frauen sprechen leidlich deutsch. Sie haben ansonsten keine größeren Folgen erlitten. Ängste seien nach etwa einem Monat abgeklungen. G. ist erneut bemüht, sich bei allen zu entschuldigen. Der Vater akzeptiert, die Frauen bleiben zurückhaltend.

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„Was soll aus ihm werden? Was sollen wir mit ihm machen?“ Bei der Beantwortung dieser Fragen hätte sie gern die Hilfe der Lebensgefährtin des G., erklärt Elfriede Dreisbach dieser, die mit dem gemeinsamen Sohn in den Saal kommt. Die beiden kennen sich seit der Schulzeit, haben seit 2012 eine wechselhafte Beziehung und eben diesen 2016 geborenen Sohn.

Siegen: Lebensgefährtin beschreibt Angeklagten als guten Vater – wenn er da war

G. sei immer ein guter Vater gewesen, unterstreicht die 31-jährige Zeugin, nie gewalttätig. Sie beschreibt ihn als Familienmenschen, der in ihrer Gegenwart und der beider Söhne, es gibt noch ein weiteres Kind, nie betrunken oder unter Drogen gewesen wäre. Allerdings habe es auch immer wieder Phasen gegeben, „da war er einfach verschwunden“.

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G. rede nicht über Probleme, laufe dann einfach weg, gerate unter schlechten Einfluss. Einerseits ist es ihr recht, dass die Kinder diese Seite des Vaters nicht kennen. Andererseits wisse sie, dass es nicht funktionieren könne, solange G. keine Hilfe annehme. Jetzt sei das aber offenbar so. „Wir sind auf einem guten Weg. Ich will ihm noch eine Chance geben“, erklärt die Zeugin, die „aus einer christlichen Familie“ kommt, in der nicht geraucht oder getrunken werde: „Das hat er immer akzeptiert.“

Überfall in Siegen: Angeklagter berichtet von Schlägen und Missbrauch in der Kindheit

Zur Tatzeit hatte sie keinen Kontakt zu ihm, war entsetzt über das, was sie dann las und hörte. Das betont auch der Angeklagte selbst. „Der Wahnsinn, wie weit ich gegangen bin“, sagt er und schüttelt den Kopf. Es tue ihm leid, derart viel Angst verursacht zu haben. Er könne sich gut vorstellen, wie ihm selbst mit der Familie zumute gewesen wäre in einer ähnlichen Lage.

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Mit zwölf hatte er die erste Begegnung mit Drogen durch einen Onkel, geriet mit 16 an Hasch und Amphetamine, war mit 18 heroinabhängig. Er sei zuhause geschlagen und auch missbraucht worden. Die Drogen hätten geholfen, letzteres zu vergessen. Er will weg davon, möchte eine Therapie durchstehen. Seit seiner Jugend hat er diverse Male in Haft gesessen.

Überfall in der Fluderbach: Gutachter hält Angeklagten für eingeschränkt schuldfähig

Nervenarzt Dr. Bernd Roggenwallner diagnostiziert eine eingeschränkte Schuldfähigkeit durch die Mischintoxikation mit immerhin fünf Substanzen. Maßgeblich seien Alkohol und Benzodiazepine gewesen, Beruhigungsmittel. Mindestens zwei Jahre Therapie müssten es schon sein, sagt der Sachverständige und sieht ansonsten die Gefahr weiterer Straftaten, aber auch gute Erfolgsaussichten. Am 9. Mai soll plädiert werden.

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Vorher möchte die Kammer noch eine Möglichkeit finden, die Schreckschusswaffe mit einer der Patronen zu beschießen, um die Funktionsfähigkeit zu überprüfen. Das soll direkt bei der Polizei geschehen, nicht beim LKA. Warum nicht direkt im Gericht oder auf dem Parkplatz, fragt Anwalt Andreas Trode. Der fachkundige Oberstaatsanwalt Patrick Baron von Grotthuss ist im Urlaub. Sie wisse von einem Kollegen, der „einfach mal geschossen“ habe, erzählt Elfriede Dreisbach. Der dann aber auch eine Anzeige bekommen habe. Auch die Aussicht eines Gerichtssaals voller Pfefferspray sorgt für Bedenken. „Die Waffe funktioniert doch nicht“, lacht der Verteidiger. Es soll telefoniert werden.

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