Siegen. Angeklagter soll in der Fludersbach in Siegen mehrere Menschen mit einer Waffe bedroht haben. Die Opfer erzählen von den schrecklichen Momenten.

Wie angekündigt, entschuldigt sich der Angeklagte G. am zweiten Verhandlungstag einzeln und persönlich bei allen Zeugen, denen er im Januar 2021 bei seiner Flucht nach einem Diebstahl im Kaufland in der Fludersbach mit gezogener Waffe Angst oder gar mehr eingejagt hat.

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Bei einer jungen Frau hat der Vorfall durchaus längerfristige Folgen gezeitigt. Sie kommt relativ gefasst in den Saal, aber schon bei den ersten Worten zum Tatgeschehen bricht ihr die Stimme. Auch mehr als ein Jahr später ist sie in Therapie und überaus ängstlich. „Darf ich eine Gegenfrage stellen? Warum macht man so etwas überhaupt, jemanden mit einer Waffe bedrohen“, kann sie dann doch relativ entschlossen auf die Entschuldigung des 35-Jährigen reagieren. Der lässt verzweifelt den Kopf hängen. „Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht“, sagt der Mann, der sich darauf berufen hat, nach Einnahme diverser Medikamente und Alkohol einen ziemlich heftigen Blackout gehabt zu haben.

Siegen: Flucht nach Diebstahl – Angeklagter reagierte nicht einmal auf Warnschuss

Nach den Angaben der Zeugin (20) war er mit der Waffe in der Hand auf den Wagen zugekommen, in dem sie und ihr Freund am Nachmittag des 23. Januar saßen. Sie hätten vorher schon die Rufe der Polizei gehört, auch den Warnschuss, den einer der Beamten abfeuerte, um den Angeklagten zu stoppen. G. sei danach erst aus einem Seitenweg sichtbar geworden, unbeeindruckt von allen Warnungen und den Polizisten weiter auf sie zugekommen, mit der Waffe Richtung Fahrzeug zielend. Ihr Freund habe dann plötzlich Gas gegeben und sei an G. vorbeigefahren. „Ich habe nur geweint. Aus Angst“, erklärt die Zeugin weiter, nicht mit dem Freund gesprochen zu haben. Das sei ihr gar nicht möglich gewesen.

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Nachdem diverse Videos vom Tatgeschehen gezeigt worden sind, stellt Verteidiger Andreas Trode die Aussage in Frage. Die Zeugin habe gesagt, sein Mandant sei neben dem Fahrzeug gewesen, dann mit der erhobenen Waffe in der Hand direkt darauf zugelaufen. Tatsächlich sei aber doch zu sehen, dass die Hand mit der Schreckschusspistole herunterhänge. Erst beim nächsten Wagen, dessen Fahrer den G. kurzerhand umfuhr, sei klar erkennbar, dass er mit der Waffe drohe. Entsprechend soll unbedingt der Freund der Zeugin noch gehört werden, der am Dienstag nach positivem Corona-Test zu Hause geblieben war, während sie mit negativem Testergebnis kommen durfte. Was der Anwalt auch bereits gewagt befunden hatte.

Siegen: Auto fuhr Angeklagten an – „Als er durch die Luft flog, flog auch die Waffe“

G. hat sich auch bei dem Mann und dessen Freundin entschuldigt, der ihn mit dem Auto gestreift und die Gefahrenlage damit weitgehend beendet hatte. „Als er durch die Luft flog, flog auch die Waffe“, sagt ein Polizist später. Danach entschieden die Beamten, den benommen am Boden liegenden Angeklagten festzunehmen, weil sie die Gefahr von schwereren Verletzungen für sic

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Der Zeuge, der G. umfuhr, ist nicht wegen Körperverletzung belangt worden. Er sei bewusst nicht frontal auf den Mann mit der Waffe zugefahren, habe aber Sorge um sich und vor allem seine Lebensgefährtin gehabt. Die habe den Vorfall auch deutlich schlechter verkraftet, als er selbst. Die Entschuldigung des G. nimmt er gelassen an: „Ist ja vorbei!“ Die Frau bricht im Anschluss auch zeitweise in Tränen aus, hatte am Tattag versucht, sich im Auto wegzuducken, als der Lauf der Pistole auf den Wagen gerichtet gewesen sei. „Ich wusste nicht, was ich machen sollte in einem solchen Fall“, sagt sie. Sie hat sich nicht behandeln oder krankschreiben lassen. Unter Menschen könne sie besser verarbeiten, als allein zu Hause.

Überfall Fludersbach Siegen: Schreckschusswaffe von echter nicht zu unterscheiden

Die Schreckschusswaffe habe praktisch „wie eine von uns“ ausgesehen, erklärt eine Polizistin, auf den ersten Blick sei da ein Unterschied nicht erkennbar. Was sie und ein Kollege nicht wissen, ob die Pistole überhaupt funktionsfähig war. Nach einigen Hin und Her zeichnet sich ab, dass kein Geschoss im Lauf war und die beiden im Magazin bereits einmal abgefeuert waren, ohne gezündet zu haben. Das ist wichtig für den Verteidiger, weil möglicherweise gar keine Tat mit einer Waffe vorliegt, wenn diese nicht funktionsfähig war.

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Richtig ärgerlich und „stinkesauer“ zeigt sich Andreas Trode aber gleich bei der ersten Zeugin des Tages, auch einer Polizistin. Die hatte den „Torkelzettel“ ausgefüllt und abgezeichnet, sogar zunächst einige Angaben zum Verhalten des G. gemacht, muss dann aber zugeben, sich an nichts zu erinnern und den Bogen möglicherweise mit Angaben anderer angekreuzt zu haben. Da gehe es um persönliche Eindrücke, die für ein Urteil sehr wichtig seien, erregt sich der Anwalt aus Iserlohn. Tatsächlich sei jetzt nicht klar, „ob wir den überhaupt verwerten können“, stimmt die Vorsitzende zu.

Siegen: Polizist vermutet „eine aggressive Grundtendenz“ beim Angeklagten

Aufgefallen war schon vorher, dass es da erheblich abweichende Angaben gegeben hatte. Immerhin sei die junge Beamtin ehrlich und versuche nicht, die Dinge schönzureden, tröstet der Verteidiger die sichtlich angeschlagene Zeugin. Aber es sei nun einmal sehr wichtig für seinen Mandanten. Der wird ansonsten von den Polizisten als ruhig und bedacht beschrieben. G. habe die Waffe die meiste Zeit eher schlendernd an der Seite gehabt, nicht im Anschlag. Allerdings reicht einem Kollegen das Gesamtverhalten des Probanden an jenem Tag, um ihm „eine aggressive Grundtendenz“ zu bescheinigen. Immerhin habe G. auf keine Warnung reagiert, nicht einmal auf den sehr lauten Schuss, und zugleich Menschen in Gefahr gebracht. Am Donnerstag geht es weiter.

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