Siegen/Burbach. Um versuchten Totschlag ging es am Freitag vor Gericht in Siegen. Ein Mediziner bestätigt das außerordentliche Glück des Opfers beim Angriff.
„Ich bin völlig fertig. Ich hätte eigentlich schießen müssen“, hat die Tochter des Angeklagten am Donnerstag in Richtung ihres Vaters gesagt. Der erste Verhandlungstag um den versuchten Totschlag in Burbach ist außerordentlich emotional verlaufen. Am Freitag bleibt es in Siegen dagegen fast durchweg sachlich, werden Polizisten und Mediziner vernommen. Nur der fast 90-jährige Mann auf der Anklagebank sorgt hin und wieder dafür, dass es kleine Momente der Aufregung gibt.
Siegen: Im Mittelpunkt der Verhandlung steht die Tatwaffe
Im Mittelpunkt steht unter anderem die Tatwaffe, ein Kleinkalibergewehr der Marke LG Anschütz, das nach jedem Schuss neu geladen werden muss. „Davon gibt es viele. Die meisten sind sehr alt“, erklärt ein Polizeibeamter. Früher seien die Waffen frei verkäuflich gewesen, auf Höfen beliebt, „um Ratten zu schießen. Oder auch Hasen“. Zur Jagd auf größeres Wild eher nicht geeignet.
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Der Angeklagte W., der zugegeben hat, am 4. November 2021 damit auf den Lebensgefährten seiner Tochter geschossen zu haben, will das Gewehr Mitte der sechziger Jahre in seiner Zeit bei der Bundesbahn bekommen haben. Seither lag die Waffe nach seiner Einlassung auf dem Schlafzimmerschrank, geladen, aber nie benutzt. Nicht einmal zu Silvester sei damit geschossen worden, hatte er eine entsprechende Frage der Vorsitzenden verneint. Auch auf Vögel sei er damit nie gegangen: „Das wurde noch 1945 gemacht, später nicht.“ Die Munition vom Kaliber 22 habe er schon vorher besessen, „seit 1950“.
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Dazu kann der Polizist nichts Genaues sagen, aber die Schachtel und die Geschosse hätten alt gewirkt. Der Staatsanwalt fragt nach der Funktionsfähigkeit des Gewehrs, das nach Angaben des Angeklagten nie gewartet oder geputzt worden sei. Gewehre dieser Art könnten lang halten, solange sie trocken gelagert würden, antwortet der Zeuge. Dann bleibt die Waffe erst einmal vor der Richterin liegen. „Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht eingeschüchtert“, frotzelt Elfriede Dreisbach. Und macht noch klar: „Das war ein Scherz!“
Siegen: Angeklagter nimmt die Verhandlung regungslos hin
W. nimmt die Dinge still und regungslos auf. „Sind Sie noch bei uns?“, fragt die Vorsitzende. Er höre nichts, antwortet der Angeklagte und auch, dass er ohnehin eine andere Meinung habe. Über alles Mögliche werde gesprochen, aber nicht über seine Probleme. „Zwei Tage habe ich in der Kotze gelegen“, geht er wieder auf den Vorfall zwei Jahre vor der Tat ein, den er mit der angeblichen Vergiftung in Verbindung bringt, den er seiner Tochter und deren Partner vorwirft.
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Dieser habe sehr viel Glück gehabt, konstatiert ein Mediziner im Zeugenstand. Zwei Zentimeter weiter, und das Geschoss hätte wichtige Gefäße verletzt: „Dann wäre es vorbei gewesen. Er hätte es nicht lebend bis zu uns ins Krankenhaus geschafft!“ Ein weiterer halber Zentimeter hätte bis zur Wirbelsäule gefehlt. Nervenprobleme, Lähmungen, ein Schlaganfall, alles hätte als Folgen auftreten können, sagt der Arzt. All dies habe das Opfer direkt nach der Tat gar nicht realisiert.
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Ein Polizist, der vor der Not-Operation mit dem Verletzten sprach, beschreibt ihn als ruhig und sachlich. Er habe den Vater seiner Gefährtin nicht einmal verurteilt und ausdrücklich nicht im Gefängnis sehen wollen. Allerdings aus Angst wohl auch nicht mehr zu Hause. Das Verhalten des Seniors sei von ihm als störrisch und beratungsresistent beschrieben worden, wohl in Verbindung mit einer beginnenden Demenz. Das Geschoss war klein, ist aber dennoch nach dem Wiederaustritt im Nacken des Opfers noch „zwei bis drei Zentimeter“ in die Wand dahinter eingedrungen. Das zeige die Kraft, findet ein weiterer Polizist, der an diesem Morgen ausgesagt hat. Das Gutachten des Sachverständigen und wohl auch die Plädoyers sind für den 14. April geplant.
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