Siegen. Gefährliche Körperverletzung, sexueller Missbrauch Minderjähriger, Vergewaltigung, Bedrohung. Richterin: „Fehlt jede Form von Allgemeinbildung“.

Die Liste ist lang: Gefährliche Körperverletzung, sexueller Missbrauch einer Minderjährigen in zwei Fällen in Tateinheit mit Vergewaltigung, Bedrohung. Im Oktober 2020 stach der heute 19-jährige Angeklagte nach Überzeugung der Jugendkammer am Landgericht Siegen einem Freudenberger grundlos mit einem Messer in die Brust, nicht lange danach fiel er über ein junges Mädchen her.

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Der Staatsanwalt hatte am 4. März ein Jahr und acht Monate gegen den Mann gefordert. Das Gericht legt aber deutlich nach in der Strafzumessung: Zwei Jahre und sechs Monate Jugendhaft. „Sie haben heute eine Chance bekommen. Auch wenn Sie es vielleicht nicht so sehen“, sagt die Vorsitzende Richterin Sabine Metz-Horst zum Angeklagten. Sie hat ihm vorher gut 50 Minuten um die Ohren gehauen, dass er eine dissoziale Persönlichkeit habe, ihm jede Form von Allgemeinbildung fehle – und damit auch die Möglichkeit, „über den Tellerrand zu schauen“, für Menschen Empathie zu empfinden, die nicht zu seinem Umfeld oder seiner Familie gehörten.

Angeklagter behandelt eigene Mutter extrem schlecht, während Polizei Siegen dabei ist

Wobei es dabei wohl auch Abstufungen gibt. Während der Angeklagte nachweislich seine Großmutter unterstützt und auch Nachbarn hilft, hat er seine Mutter, auch in Gegenwart von Polizei und Sachverständigen, extrem abwertend behandelt. Typisches Verhalten für einen, der auch in der Hauptverhandlung überwiegend respektloses Verhalten gezeigt habe, findet die Vorsitzende, die „noch nie einen derart aufmüpfigen Angeklagten erlebt“ haben will. Der auch vor fünf Richtern der Kammer überhaupt keinen Respekt gezeigt habe, „weil er es nie gelernt hat“, sagt die Richterin. Der Schock wirkt offenbar immer noch nach.

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Das betreffende Verhalten hatte der junge Mann gleich am ersten Verhandlungstag gezeigt. „Sie können es ja versuchen“, hatte er auf den Hinweis reagiert, dass er auch in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden könnte. Dazu kommt es aber nicht – das Gericht hat keine Hinweise auf Schuldunfähigkeit oder eine so tiefgreifende Störung. Alle Taten deuteten auf klares Bewusstsein, gezieltes Vorgehen hin.

Angeklagter leuchtet in Fenster – Bewohner beschwert sich, bekommt Messerstich

Den Messerangriff hatte der Beschuldigte begonnen, weil das spätere Opfer sich darüber geärgert hatte, dass der Angeklagte nachts vor seinem Fenster stand und ins Wohnzimmer leuchtete. Er stellte ihn zur Rede – der weigerte sich aber nicht nur, ein paar Meter weiter zu gehen, sondern stach urplötzlich auf sein Opfer ein. „Völlig nachvollziehbar“ beschreibt Sabine Metz-Horst die Reaktion des Verletzten, der sich in seinem Zuhause gestört und auch bedroht gefühlt hätte. Der Angeklagte dagegen habe einmal mehr versucht, sein Minderwertigkeitsgefühl mit Protzerei und Provokation zu kompensieren. Durch die Ansprache des Opfers sei er garantiert nicht in eine Notwehrlage gekommen.

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Bereits vorher am Abend sei er durch aggressives Verhalten negativ aufgefallen. Der Angeklagte habe sich wie so oft im Recht gefühlt, sich bedenkenlos und ohne Mitgefühl über die Interessen eines anderen hinweggesetzt und dann noch festgestellt, „ihn abgestochen“ zu haben. Er könne von Glück sagen, dass es keine Anklage wegen versuchten Totschlags gegeben hätte.

Bedenkenlos und menschenverachtend: minderjährige Bekannte vergewaltigt

Ebenso bedenkenlos und menschenverachtend sei das Verhalten gegenüber der minderjährigen Bekannten gewesen – ein Verhalten, in dem sich für die Richterin ein erschreckendes Frauenbild manifestiere. Das Mädchens wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit befragt, auf nähere Details geht die Richterin nicht ein. Sie stellt lediglich fest, dass die Zeugin sehr detailreich und sehr überzeugend ausgesagt habe.

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Die Bedrohung bezieht sich indirekt auf den Messerstich. Kurz nach dem Vorfall hat der nunmehr Verurteilte einem Bekannten einen Online-Artikel über die Messer-Attacke geschickt und dazu geschrieben: „Du bist der Nächste!“ Der andere habe sehr wohl gewusst, dass der junge Mann immer ein Messer bei sich hatte – er nahm die Drohung ernst.

Landgericht Siegen bestätigt Schwere der Schuld und schädliche Neigungen

Wie Staatsanwalt und beide Nebenklagevertreter bejaht das Gericht die Schwere der Schuld und die schädlichen Neigungen des Angeklagten. Der habe in seiner Familie viele Freiheiten gehabt, keinerlei ernsthafte Ansprachen genossen. „Ich kann ihn doch nicht mehr schlagen“, sei vom Vater gekommen, als gäbe es keine anderen Möglichkeiten.

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Das Gericht sehe Möglichkeiten, die Einstellung des Probanden noch zu ändern. Dafür bedürfe es aber einer längeren Einwirkung – mindestens der zweieinhalb Jahre, die nun verhängt worden seien. „Wir machen es selten, aber wir haben diesmal die Staatsanwaltschaft überhauen“, stellt Sabine Metz-Horst fest. Weil es nötig gewesen sei. Auch die Anwälte der Nebenkläger hatten dies schon getan.