Netphen/Siegen. Wer in Siegen und Umland die Ausbildung zum Fliesenleger macht, braucht Nerven: Zur Berufsschule dauert es wegen der gesperrten A 45 drei Stunden.

Lange Hin- und Rückfahrten gehören nicht erst seit Sperrung der A 45 bei Lüdenscheid für Auszubildende im Fließenhandwerk aus Siegen-Wittgenstein zum Alltag – denn die Berufsschule ist in Dortmund. Bei den Arbeitgebern löst es Unverständnis aus und Azubis sind genervt. „Wie sollen wir Lehrlinge finden, die diese ganzen Strapazen auf sich nehmen müssen, nur um zur Schule zu kommen?“, fragt Ralph Werthebach, Vorstandsmitglied der Kreishandwerkerschaft und Geschäftsführer der Werthebach GmbH für Bad- und Wohnraumkonzepte aus Netphen. Er sieht die Zukunft seiner Branche in Gefahr.

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Yahya Askari aus Eiserfeld muss aktuell bis zu drei Stunden Fahrzeit einplanen, um zu seiner Berufsschule in Dortmund zu kommen. Für den Auszubildenden im dritten Lehrjahr beginnt jeder Berufsschultag um 4.30 Uhr. Vom Bahnhof in Siegen geht es um 5.15 Uhr weiter mit dem Zug nach Dortmund. Die stundenlangen Fahrten seien auslaugend.

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Mit dem Auto zur Berufsschule zu fahren, sei aber keine Alternative für ihn, da er wegen der Brückensperrung zeitaufwendige Umwege mit hohem Verkehrsaufkommen erdulden müsste: Er müsste schon um 5 Uhr losfahren, um es pünktlich um 8 Uhr zur Schule zu schaffen. Außerdem gäbe es dann ein weiteres Problem: „Die Parkplatzsuche an der Schule ist die reinste Katastrophe.“ Mit dem Zug seien aber auch keine reibungslosen Abläufe garantiert: „Ständig gibt es Probleme mit den Anbindungen und die Züge fallen oft aus“, sagt Yahya Askari. Wenn er nach solch einer Tour endlich an der Schule ankomme, sei er immer „total erschöpft“. Sich auf den Unterricht zu konzentrieren, falle ihm dann sehr schwer.

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Nach einem Schultag mit fünf Stunden – wenn denn alle stattfinden – sei er immer erst um etwa 19 Uhr zu Hause, berichtet der junge Mann. Da bleibe nicht viel Zeit für Hobbys, Freizeit oder Freunde. „Nach solch einem auslaugenden Tag möchte ich eigentlich einfach nur ins Bett fallen und schlafen.“ Wenn er nach Hause kommt, muss er aber noch den Haushalt machen, einkaufen gehen und etwas kochen. Fürs Lernen bleibe da wenig Zeit.

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Nicht nur Auszubildende stellt die derzeit schlechte Verbindung ins Ruhrgebiet vor Herausforderungen. Auch ihre Arbeitgeber sind unzufrieden. „Die Situation ist zwar, wie sie ist, und wir können sie nicht ändern“, sagt Michael Bär, Fliesenlegermeister und Vorstandsmitglied der Bauinnung Westfalen-Süd. „Aber man ärgert sich, dass es überhaupt so weit gekommen ist – vor allem, was die Brücke der A 45 angeht.“

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Michael Bär schickt außer Yahya Askari drei weitere seiner Auszubildenden regelmäßig zur Berufsschule in Dortmund. Das ist für den Fliesenlegermeister aus Siegen eine teure Angelegenheit, wie er selbst sagt. Denn während der stundenlangen Fahrten stehen die Nachwuchskräfte nicht in seinem Betrieb zur Verfügung. Außerdem fallen aufgrund von Pandemielage und Lehrermangel an Berufsschulen momentan viele Unterrichtsstunden aus. „Die Auszubildenden sind am Tag bis zu fünf Stunden unterwegs und das alles nur für zwei Stunden Berufsschule“, sagt Ralph Werthebach. Das sei nicht ökonomisch.

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Michael Bär fragt sich, ob es unbedingt nötig sei, dass seine Lehrlinge bei so langen Anfahrtszeiten für die wenigen Schulstunden, die stattfinden, in Präsenz anwesend sein müssen. „Ginge das nicht vielleicht auch per Distanzunterricht?” Für seinen Lehrling Daniel Koch wäre das eine wirkliche Entlastung. „Homeschooling, das wäre ein Traum“, sagt der Auszubildende. „Dann könnte ich nach der Schule im Betrieb noch in der Praxis mithelfen.“

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Michael Bär beklagt, dass es in Dortmund drei Berufsschulklassen für Fliesenleger gibt und in Siegen keine einzige. „Das müssen wir ändern“, betont Ralph Werthebach. „Wenn die neue Brücke erst in fünf oder noch mehr Jahren kommt, könnten wir in diesem Zeitraum die Lehrlinge aus Siegen-Wittgenstein, Olpe und sogar aus dem südlichen Raum Lüdenscheids in Siegen wesentlich effektiver beschulen.“ Die Brücken-Sperrung sei ein weiteres Argument, regional eine Berufsschulklasse einzurichten.

Berufskolleg Technik Siegen darf angehende Fliesenleger (noch) nicht unterrichten

Ralph Werthebach befürchtet, dass das gesamte Berufsfeld aufgrund der problematischen Umstände in den kommenden Jahren leiden werde. „Es gibt zwar viele Leute, die Interesse daran zeigen, in unserer Branche Geselle zu werden. Aber die meisten würden lieber regional ausgebildet werden.“ Und: „Im Moment ist bei den Lehrlingen eine totale Unzufriedenheit zu spüren.“

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Am Berufskolleg Technik in Siegen ist die schwierige Lage der Fliesenleger bekannt. Allerdings dürfe die Schule die Lehrlinge aus rechtlichen Gründen nicht unterrichten. „Es gibt gesetzliche Richtlinien dafür, welche Schüler wir in welchen Fachklassen mit welcher Klassengröße beschulen dürfen“, erklärt Ralf Bruch, stellvertretender Schulleiter. Es brauche eine Klassengröße von mindestens 16 Schülern. „Wir müssen Auszubildende oftmals nach dem ersten Lehrjahr an andere Schulen abgeben, weil sie ab dann in ihren Fachrichtungen spezialisiert werden und bei uns keine ausreichenden Klassengrößen mehr zustande kommen.“ Deswegen können unter andrem Fliesenleger grundsätzlich nicht in Siegen unterrichtet werden. „Leider liegt das nicht in unserer Macht. Wir würden die Lehrlinge gerne regional vor Ort unterrichten.“

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