Siegen-Wittgenstein. Der Ton wird rauer – in sozialen Medien, und allgemein in der Gesellschaft, sagt ein Polizist aus Siegen: „Hinter jeder Uniform steht ein Mensch“
Die Angriffe auf Einsatzkräfte nehmen zu. Das betrifft nicht nur Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte, sondern auch immer häufiger Beschäftigte im öffentlichen Nahverkehr, von Ordnungsämtern, Entsorgungsunternehmen.
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Im Jahr 2019 wurden noch 84 Widerstandshandlungen gegen Einsatzkräfte der Polizei und ähnlicher Berufsgruppen sowie 33 tätliche Angriffe verzeichnet. 2020 waren es 91 Widerstände und 42 tätliche Angriffe. „Eine weitere Steigerung ist 2021 erkennbar“, sagt Stefan Pusch, Erster Polizeihauptkommissar und Pressesprecher der Kreispolizeibehörde, „insbesondere bei den Angriffen“.
DGB Siegen-Wittgenstein und VWS rücken Gewalt in den Fokus
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) macht nun auch in Südwestfalen mit einer Kampagne auf das Thema Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen und privatisierten Sektor aufmerksam. „2019 erreichte die Zahl von Angriffen auf Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte einen neuen Negativrekord. Übergriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn haben sich in wenigen Jahren fast verdreifacht und auch viele Beschäftigte im Dienst der Gesellschaft fühlen sich im Berufsalltag nicht mehr sicher“, so die beiden DGB-Kreisverbandsvorsitzenden aus Olpe und Siegen-Wittgenstein, André Arenz und Ingo Degenhardt.
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Als Werbeträger für dieses Anliegen dient ein Bus der Verkehrsbetriebe Westfalen-Süd (VWS). Neben der Unterstützung durch die Wern-Group hat der DGB in beiden Kreisen an markanten Stellen Kampagnen-Banner aufgehängt. Die Initiatoren wollen mit ihrer Kampagne sensibilisieren. Verbale Entgleisungen, psychische und physische Gewalt seien für Beschäftigte im öffentlichen Sektor längst keine Seltenheit mehr, bedauern die Gewerkschafter. Sie beobachten, dass das Miteinander im öffentlichen Raum rauer geworden ist. Den Anstieg der Übergriffe nehmen nicht nur der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften seit geraumer Zeit mit wachsender Sorge zur Kenntnis. „Es hat sich für uns gezeigt, dass es noch mehr und stetiger öffentlicher Aufmerksamkeit und Sensibilisierung bedarf.“
Polizistin aus Kreuztal: Gewalt oft dort, wo man sie nicht erwartet
Nicht nur aber besonders häufig müssen Beschäftigte von Polizei oder Justizvollzugsdienst auf Übergriffe reagieren. Sie vertreten das Gewaltmonopol des Staates und sind entsprechend trainiert und vorbereitet. Es komme regelmäßig vor, dass vor allem im Zusammenhang mit Alkohol polizeiliche Maßnahmen gestört, Beamtinnen und Beamte belästigt und mitunter auch angegriffen werden, sagt ein Polizist aus Siegen. Auch, wo man es gerade nicht erwarte, sagt eine Polizistin der Wache in Kreuztal: Sie war bei einem Einsatz, als ein Mädchen von ihrem Freund verprügelt worden war, „wir wollten ihr helfen“, sagt die Frau. Ihre Kollegen fixierten den Mann, sie wandte sich an das Opfer, frage, ob es ihr gut gehe, die schlug der Polizistin unvermittelt ins Gesicht.
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Es komme auch durchaus häufiger vor, dass die Polizei vom Rettungsdienst zur Unterstützung gerufen werde, wenn eine verletzte Person im Rettungswagen aggressiv werde. „Wir wollen ja in erster Linie helfen, aber wenn manche Leute sehen, dass die Polizei kommt, geht in deren Köpfen irgendeine Veränderung vor“, sagt ihr Siegener Kollege. „Sie denken dann vielleicht, dass sie bestraft würden.“ Mitunter gelinge es, die Leute durch gutes Zureden wieder zu beruhigen.
Polizistinnen und Polizisten sind ausgebildet für heikle Situationen
Der Polizist ist seit zehn Jahren im Wach- und Wechseldienst, wurde nie schwer verletzt. „Zuletzt wurde ich von einer Frau gebissen“, erzählt er. Fleischwunde, es tat zwar weh, aber das konnte er abhaken. „Blöd ist, dass man nicht weiß, ob sie mich mit irgendeiner Krankheit infiziert haben könnte“, sagt der Beamte. „Man macht sich natürlich hinterher Gedanken, wenn man selbst oder Kollegen im Einsatz verletzt wurden“, sagt die Polizistin aus Kreuztal. Was hätten sie besser, anders machen können? Der Austausch in der Truppe helfe dabei.
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Polizistinnen und Polizisten werden dazu ausgebildet, auf körperliche Angriffe zu reagieren, um nicht selbst verletzt zu werden – und Situationen einzuschätzen. Konkret im Einsatz kann das aber auch oft eine Gratwanderung sein, sagt Stefan Pusch – niemand werde beispielsweise gezwungen, sich behandeln zu lassen – „aber kann die Person das für sich adäquat entscheiden?“ Da gehe es für die Polizei auch um Haftungsfragen.
Beleidigungen gehören für Beamte in Siegen-Wittgenstein zum Tagesgeschäft
„Wir wissen, was uns erwarten kann, dafür sind wir ausgebildet und ausgerüstet“, betont der Siegener Polizist. In den allermeisten Fälle gelinge es, brenzlige Situationen kommunikativ zu lösen – ihrer Erfahrung nach gelinge das gegenüber Betrunkenen als Frau sogar oft leichter, berichtet die Polizistin. Aber irgendwann sei eben ein Punkt erreicht, an dem die Staatsmacht ihren Auftrag durchsetzen muss, sagt ihr Kollege: „Grundsätzlich ist die Polizei dazu da, komplizierte und auch gewalttätige Situationen zu lösen.“
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Während Widerstände und Angriffe in Siegen-Wittgenstein trotz Anstiegs zum Glück nach wie vor nicht die häufigsten Einsatzanlässe sind, gehören Beleidigungen zum täglichen Geschäft der Polizistinnen und Polizisten. „Die allgemeine Hemmschwelle in der Gesellschaft ist gesunken“, hat auch der Beamte aus Siegen beobachtet, „ich würde mich das nicht trauen.“ Einsatzkräfte brauchen ein dickes Fell – man wisse: „Die beleidigen nicht mich als Person, sondern die Uniform. „Man lernt mit der Zeit, drüber zu stehen“, sagt die Polizistin aus Kreuztal. Was nicht bedeutet, dass die Polizei darüber hinwegsehe – jede Beleidigung wird zur Anzeige gebracht. „Der respektvolle Umgang in der Gesellschaft fehlt leider immer öfter“, sagt sie. „Hinter jeder Uniform steht ein Mensch. Das ist nicht nur der Beruf.“