Siegen. Nachhaltigkeit bedeutet für viele oft Verzicht: Weniger Fleisch etwa. Motto für Siegener Stadtgärten: „Zusammen Spaß haben, schöne Sachen machen“

Ein Agrarstandort ist Siegen eher nicht. „Hier wächst nix“, heißt es oft; man ernte mehr Steine als Kartoffeln. „Gewusst wie“, sagt dagegen Lea Burwitz. „Man erntet auch hier tolle Tomaten.“ Oder Knoblauch, „wächst super im Siegerland“, sagt die Agrarwissenschaftlerin.

Sie ist angetreten, um die urbanen Stadtgärten in der Region zu vernetzen und zu professionalisieren. „Urban Gardening“ heißt die Bewegung, durch die in immer mehr Städten, auch in Siegen, öffentliche Gemeinschafts-Stadtgärten entstehen. Das soll nun intensiviert werden, auch kreisweit.

Der erste urbane Garten in Siegen ist eingeschlafen – bis jetzt

2013 wurde der erste Gemeinschafts-Stadtgarten am Effertsufer ins Leben gerufen. Vor allem Studierende engagierten sich, aber irgendwann kam das Projekt zum Erliegen – auch, weil der Garten immer wieder Opfer von Vandalismus-Attacken wurde. Seit einiger Zeit entstehen neue Projekte rund um die Themen Gemeinschaftsgarten, Nachhaltigkeit, Lebensmittel, dezentral im ganzen Stadtgebiet. Lea Burwitz möchte diese Initiativen bündeln, vernetzen.

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Es lohne sich, Ressourcen und Wissen zu teilen, sich gegenseitig bei der Arbeit zu unterstützen. Ganz banal: Manche Spezialwerkzeuge werden in jedem Garten irgendwann benötigt – es lohnt der gemeinsame Kauf. Begleitend soll es verstärkt Bildungsangebote geben, eine Kooperation mit den Klimawelten Hilchenbach gibt es bereits, Kontakte zur VHS auch.

Urban Gardening in Siegen: Wertschätzung für regionale Lebensmittel

Mit Urban Gardening soll eine Kultur der Wertschätzung gegenüber (regionalen) Lebensmitteln etabliert, Wissen zum Anbau erhalten oder (wieder) geschaffen, Gemeinschaft gestärkt werden. „Nachhaltigkeit ist stärker verankert im Bewusstsein der Menschen“, hat Burwitz beobachtet. Viele würden gern gärtnern, aber der Anbau von Nutzpflanzen für den Eigenbedarf spielte seit Jahrzehnten kaum noch eine Rolle. Es war ja auch kaum nötig. Das ändert sich derzeit, aber es werde auch eine große Wissenslücke offenbar, sagt die Expertin. „Wir lernen aus Büchern oder Videos, aber nur selten von anderen.“ Dabei gebe es gerade viele alte Menschen, die noch Techniken kennen, selbst Erfahrungen haben rund um den Garten. „Es wäre toll, wenn wir mehr Senioren in die Projekte integrieren können“, betont Burwitz.

Zur Person: Lea Burwitz

Die Siegenerin hat Agrarwissenschaften studiert, in einer Biogärtnerei gearbeitet, reiste durch die Welt. Als Burwitz zurückkehrte, war vieles entstanden „und ist weiter in Bewegung“, sagt sie.

Ihre Stelle hat sie sich im Grunde selbst geschaffen. Angesiedelt ist die beim Verein für Soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS), wird für zwei Jahre gefördert von der Stiftung Umwelt und Entwicklung. „Ich wollte ursprünglich in die Entwicklungszusammenarbeit“, sagt Burwitz – „aber in Siegen kann man noch viel machen.“

Nachhaltigkeit sei lange über Verzicht transportiert worden – weniger Fleisch, weniger Flugreisen. Der Ansatz dagegen von Urban Gardening: „Zusammen Spaß haben und schöne Sachen machen“. Das trifft den Nerv, sagt Burwitz: „Alle wollen mehr davon, keiner sagt ‘Gärtnern ist doof’ oder ‘Gemeinschaft ist doof’.“ Gleichzeitig gebe es eine große Informationsflut, das überfordere die Menschen schnell.

Jede und jeder sind in den Siegener Gemeinschaftsgärten willkommen

Hier will das Projekt ansetzen. „Ich muss bei den Menschen keine Türen einrennen, die stehen schon offen, gerade auch in Siegen“, sagt die Projektkoordinatorin. Vorschriften für die konkrete Arbeit gibt es nicht. „Was tatsächlich passiert, hängt von den Menschen ab, die sich regelmäßig engagieren wollen“, so Burwitz. Jeder urbane Garten ist anders organisiert, setzt andere Schwerpunkte. Die einen haben regelmäßige Termine, die anderen eher spontan-privaten Charakter.

Lea Burwitz, Mit-Gärtner Fabian Bartsch und Johannes Stolf im Garten am Lebendigen Haus: Die erste Sonnenblume blüht.
Lea Burwitz, Mit-Gärtner Fabian Bartsch und Johannes Stolf im Garten am Lebendigen Haus: Die erste Sonnenblume blüht. © Hendrik Schulz

Allen gemein: Jeder ist willkommen mit seinen Erfahrungen und Interessen; zum Kochen, Gärtnern, Reparieren, Bauen. Zum Beispiel auch Menschen mit kreativen Fähigkeiten, fürs Design von Webseiten oder Flyern. Oder die, die einen Kuchen für die anderen Ehrenamtlichen backen. „Die Menschen sollen sich selbst verwirklichen können“, betont Lea Burwitz. Das ganze Vorhaben lebt davon, andere zu begeistern, zu motivieren. Ohne Gemeinschaft undenkbar.

Diese urbanen Gärten gibt es bereits in Siegen – und es werden immer mehr

Lebendiges Haus: Noch ist manches Baustelle auf dem Grundstück am Häusling, aber eine ziemlich grüne. Es wächst und gedeiht schon. „Es soll ein Begegnungsort werden, für die Bewohner des Lebendigen Hauses und für alle anderen, die sich gern im Garten treffen möchten“, sagt Lea Burwitz, die in dem Mehrgenerationenwohnen-Haus lebt. Das Grundstück gehört dem Kleingärtnerverein, als der Vorsitzende fragte, ob man nicht einen Gemeinschaftsgarten anlegen wolle, von und für die Menschen in der Umgebung, zögerten Burwitz und ihre Mitstreiter nicht.

KIQ: Die Initiative „Siegen isst bunt“ startete vor einiger Zeit das Projekt „Gemüse sucht ein Zuhause“. 50 pflegeleichte Chili-Pflanzen wurden an „Pflegeeltern“ weitergegeben, die sich vernetzten und austauschten, ernteten und wiederum Samen weitergaben. Nun sollen Tomaten folgen. An der früheren Hammerhütter Schule gibt es inzwischen einige Hochbeete; Jüngst wurde der eingetragene Verein „Lebensmittel teilen“ als eine Art „institutioneller Arm“ der Initiative gegründet.

Vom Reallabor der Uni Siegen bis zum Unverpacktladen in Weidenau

Heimatverein Achenbach: Zusammen mit der Uni wurde im Reallabor unter anderem ein Garten angelegt, wo mit den Menschen im Stadtteil Lebensmittel angepflanzt und Bildungsarbeit geleistet werden.

Effertsufer: Das städtische Grünflächenamt stellt die Fläche, die wegen des Zugangs zur Sieg nicht bebaut werden darf, zur Verfügung und unterstützt das Projekt. Das geht maßgeblich von den Anwohnern aus, der Nachbarschaft, die sich wieder einen Gemeinschaftsgarten im Quartier Hammerhütte wünschen, die Projektkoordination begleitet und unterstützt. Auch die „Young Caritas“ ist mit im Boot.

Es gibt zahlreiche weitere Initiativen. Hochbeete und Kräuterspirale Am Erfahrungsfeld „Schön und Gut“ auf dem Fischbacherberg, Permakulturen in Oberholzklau, Hochbeete am Unverpackt-Laden in Weidenau, viele Kitas und Schulen haben großes Interesse, Gärten in ihre pädagogische Arbeit zu integrieren. Die Senioreneinrichtung Gilberghof hatte eine Chili-Pflanze von „Siegen isst bunt“ erhalten und inzwischen große Teile des Gartens in Gemüsebeete umgewandelt.

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