Siegen. . Beim Teilen geht es nicht nur ums Essen. Auch Gemeinschaftsgärten und solidarische Landwirtschaft sind Formen politischer Beteiligung.

Im Universitätsgebäude am Siegener Campus Herrengarten steht ein Kühlschrank, der es Studierenden und Mitarbeitern erlaubt, nicht mehr benötigte Lebensmittel untereinander zu tauschen. Der Kühlschrank dient als „Fairteiler“ — so jedenfalls nennen ihn die Initiatoren der Siegener Foodsharing-Gruppe, die das Verteilen mit Hilfe einer gleichnamigen Online-Plattform organisiert.

Diese und andere Fälle bürgerschaftlichen Engagements für einen nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln und eine sozial und ökologisch verträgliche Landwirtschaft untersucht das Teilprojekt „Going Public in medienkooperativen Engagementformen“ des Sonderforschungsbereichs (SFB) „Medien der Kooperation“ der Universität Siegen.

Die Beispiele

Die Forscher unter Leitung von Prof. Dr. Sigrid Baringhorst untersuchen Formen der Freiwilligenarbeit und des Online-Protests, die bisher kaum als politische Partizipation angesehen werden.

„Bei Foodsharing packen die Engagierten eigenhändig mit an und verstehen das Verteilen von Lebensmitteln durchaus auch als politischen Beitrag“, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin Lisa Villioth. Darüber hinaus erforschen die beteiligten Wissenschaftler Projekte des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft und Gemeinschaftsgärten. Interviews wurden in Siegen und Umgebung, aber auch im Umkreis von Berlin, Bremen und München geführt.

Sonderforschungsbereich seit 2016

Das Projekt ist eines von 16 Teilprojekten des Sonderforschungsbereichs „Medien der Kooperation“. Er wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und ist 2016 gestartet. Mehr als 60 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen erforschen digitale Medien und die durch sie hervorgerufenen gesellschaftlichen Veränderungen.


Bei Foodsharing sollen die vielen noch verwertbaren Lebensmittel, die der Groß- und Einzelhandel entsorgt, an Privatpersonen verteilt werden. Verwechselt werde es häufig mit den Geschäftsmodellen der Sharing Economy. Es geht aber um gemeinnützige Partizipation und Teilen von Lebensmitteln ganz ohne Gewinnabsichten.

Anders setzt das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft an. Hier soll das Problem fallender Marktpreise angegangen werden. Als Lösung versprechen die Aktivisten jedem, dass er Gemüsebauer oder-bäurin werden kann. Die Verbraucher finanzieren den Betrieb des Bauernhofs komplett vor und helfen auch aktiv auf dem Acker mit. Die Bauern werden so vom Preisdiktat an den Märkten entlastet und versorgen im Gegenzug die Verbraucher mit allem, was der Boden je nach Wetterlage und im Rahmen des ökologischen Landbaus hergibt.

Auch in der Siegener Umgebung kommt ein solches Projekt jetzt in Gang. „Uns interessiert, welche Rolle Medien, das Internet, aber auch Flyer oder die lokale Presse beim Aufbau und der öffentlichen Wahrnehmung solcher Projekte spielen. Schließlich gilt es, mit Verbrauchern und Bauern zwei sehr unterschiedliche Gruppen zur Zusammenarbeit zu bewegen, die sich sonst selten treffen und gemeinsam politisch aktiv werden“, erklärt die Projektleiterin Prof. Dr. Sigrid Baringhorst.

Um Gemüse geht es auch bei den Gemeinschaftsgärten (Urban Gardens), darüber hinaus um ein grundlegend anderes Zusammenleben jenseits von städtisch verwalteten Parks oder privat genutzten Schrebergärten. In Siegen existiert solch ein Garten am Effertsufer. „Viele wollen etwas Praktisches machen, etwas mit den Händen, wo der persönliche Einsatz schnell zu einem sichtbaren Erfolg wird“, erläutert der wissenschaftliche Mitarbeiter Dr. Mundo Yang.

Die Konsequenzen

Als wichtig erweist sich, dass Food­sharing-Aktive, Gemeinschaftsgärtner und Bauern in der solidarischen Landwirtschaft heute mit Hilfe von Smartphones einfach Bilder veröffentlichen können, worum es ihnen geht: nämlich zu zeigen, wie erstrebenswert es ist, sich zusammen mit Gleichgesinnten um Lebensmittel zu kümmern.

„Bekannt ist, dass Probleme in Landwirtschaft und Konsum in der Medienöffentlichkeit schon seit längerem intensiver diskutiert und skandalisiert werden“, sagt Lisa Villioth. „Die von uns untersuchten Projekte versuchen vorrangig durch konkretes Handeln vor Ort, Lösungen zu erproben und damit öffentlich als Alternative ins Spiel zu bringen.“ Das führe dazu, dass die vielen Protestkampagnen zu Fragen der Landwirtschaft anders betrachtet werden müssten.

Das Forschungsprojekt untersucht auch die Rolle von Online-Petitionen und Kampagnenorganisationen, die regelmäßig gegen Glyphosat oder Massentierhaltung mobilisieren. „Wenn man die Hintergründe genauer erforscht, sind diese Proteste keine reinen Klick-Phänomene, sondern breiter in einer Zivilgesellschaft vernetzt, die vor Ort Alternativen entwickelt“, sagt Sigrid Baringhorst.

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