Siegen. Bürokratie, Personalknappheit: 11 Millionen Euro Investitionen können 2021 nicht ausgegeben werden, Siegen kommt mit Abarbeitung nicht hinterher.

Die Stadt kommt mit der Umsetzung und Abarbeitung von Projekten kaum noch hinterher. Fast 11 Millionen Euro werden ins nächste Haushaltsjahr übertragen, weil die Maßnahmen nicht wie geplant umgesetzt werden konnten. Zum einen, weil Projekte oft teurer werden als zunächst angenommen und zum anderen, weil die Ressourcen der Verwaltung begrenzt sind. „Alles zeitgleich geht nicht“, sagte Kämmerer Wolfgang Cavelius im Haupt- und Finanzausschuss.

Hintergrund ist auch die Struktur der Kommunalfinanzen. Aus eigenen Mitteln sind die meisten Infrastrukturprojekte für Städte und Gemeinden kaum zu leisten. Sie beantragen daher Fördermittel aus verschiedenen Töpfen von Bund und Land, die dann große Anteile der nötigen Summen zuschießen. Ausgangsbasis ist unter anderem eine Schätzung, was das Projekt kosten wird. Erfahrungsgemäß werden Bauvorhaben in den meisten Fällen aber teurer als gedacht und die Anträge auf Fördermittel sind so umfang- und detailreich, dass sie enorm aufwendig zu erstellen sind.

Das Grundproblem ist das Geflecht aus Förderbürokratie und Fachkräftemangel

Die sogenannte Ermächtigungsübertragung bedeutet, dass Haushaltsmittel, die nicht in Anspruch genommen wurden, in den nächsten Haushalt verschoben werden können, bis das Projekt tatsächlich umgesetzt ist.

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Aktuell kommt die überhitzte Baukonjunktur hinzu – Unternehmen haben volle Auftragsbücher, gleichzeitig kommt es immer häufiger zu Lieferschwierigkeiten wegen Engpässen bei Baumaterialien. Immer öfter erhält die Stadt zu teure Angebote, die den Kostenrahmen weiter aufweiten würden. Vergabeverfahren sind ohnehin aufwendig und langwierig und mussten in der Vergangenheit aus diesem Grund mehrfach aufgehoben werden – wirtschaftliche Angebote gebe es oft nur, wenn die Fristen deutlich verlängert werden. Weitere Bauverzögerungen sind die Folge.

Im Haushalt der Stadt Siegen gibt es eine Bugwelle von 59 Millionen Euro

„Im Haushaltsjahr 2022 werden wir uns bei Investitionen zurückhalten müssen“, sagte Kämmerer Cavelius. Insgesamt mehr als 59 Millionen Euro gelte es umzusetzen – auch in den Vorjahren konnten nicht alle Investitionsmittel ausgegeben werden, die „Bugwelle“, die die Stadt vor sich herschiebt, wird größer. Die Mittel dafür ausgeben, wofür sie gedacht sind, müsse Priorität haben – und könne auch im Jahr 2021 wohl nicht mehr vollständig gelingen.

Wo das Geld übrig ist

Im Bereich Hochbau wurden Bauunterhaltungsmittel von insgesamt 6,3 Millionen Euro übertragen. Davon entfallen rund 3,7 Millionen auf Maßnahmen der Förderprogramme „Gute Schule“ und „Kommunalinvest“ sowie 950.000 Euro auf umfangreiche Sanierungsmaßnahmen im Bereich der Hallenverwaltung.

Bauunterhaltungsmittel im Bereich Straßenbau wurden in Höhe von insgesamt 1,8 Millionen Euro übertragen, um die Finanzierung laufender Unterhaltungsmaßnahmen sicherzustellen.

Ohne diese Sondereffekte, so Cavelius, läge die Höhe der Übertragungen bei lediglich etwa 2,8 Millionen Euro.

Zuschüsse seien zudem gedeckelt, so Cavelius – also bekommt die Stadt erhebliche Probleme damit, bereits angeschobene Projekte nachzufinanzieren. „Wir bekommen das nicht so umgesetzt, wie wir das gern hätten“, so der Kämmerer mit Blick auf die „überbordende Bürokratie“, das erlebe die Stadt tagtäglich nicht nur in der Kämmerei. Für anstehende Projekte in Siegen bedeutet das, dass Investitionen „auf der Zeitachse gestreckt werden“, wie es Cavelius formulierte.

Gerade in der Bauverwaltung der Stadt Siegen sind die Personalressourcen knapp

Cavelius zitierte sinngemäß einen Oberbürgermeister aus Rheinland-Pfalz: Der wolle überhaupt keine Zuschüsse mehr beantragen, weil seine Verwaltung nicht mit dem Abarbeiten der Projekte hinterherkomme. Seit längerem kritisieren die Kommunen nicht nur in NRW die Finanzausstattung und Überbürokratisierung bei Zuschüssen, für die umfangreiche Antragswerke erstellt werden müssen. Gerade in der Bauverwaltung sind die personellen Grenzen erreicht, aber nicht nur dort. Fachleute in diesem Bereich werden derzeit auf dem Arbeitsmarkt händeringend gesucht, die Stadt hat bereits seit einiger Zeit Probleme, Stellen zu besetzen.

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Auch Stadtbaurat Henrik Schumann verwies erneut auf knappe personellen Ressourcen der Verwaltung. Wenn es zum Beispiel um die Erweiterung einer Grundschule gehe, die bis zur eigentlichen Erweiterung um eine Container-Übergangslösung ergänzt wird, dann könne er einen Mitarbeiter in Vollzeit ein Jahr lang an die Umsetzung dieser Containerlösung setzen, „in der Hoffnung, dass der Hersteller liefert. Der Markt verändert sich.“ Erst dann stehe der betreffende Mitarbeiter der Arbeitsgruppe dann wieder für die Planung der eigentlichen Grundschul-Erweiterung zur Verfügung. Und an die Politik gerichtet: „Wenn Sie dann nicht andere Projekte haben, die Ihnen unter den Nägeln brennen.“

Teile der Siegener Politik wollen sich mit Arbeitsaufträgen an Verwaltung mäßigen

„Ein ernstes Problem“, sagte Joachim Boller (Grüne). Die Politik beschließe ein Umsetzungsprogramm, dann hänge es vom Zufall oder guten Willen der Verwaltung ab, was tatsächlich geschehe. „Ein sehr unbefriedigender Zustand.“ Es gelte, Investitionen seriös zu veranschlagen. „Wir produzieren seit Jahren investive Luftnummern“, sagte UWG-Fraktionsvorsitzender Hans Günter Bertelmann. „Wir setzen die Verwaltung unter Druck und schüren Erwartungen in der Bevölkerung bei Projekten, von denen wir wissen, dass wir sie nicht umsetzen können.“ Man müsse sich auf eine realisierbare Basis verständigen.

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Er gehöre in der Verwaltung zu denen, die mit am meisten bremsen, wenn es um Investitionen gehe, betonte Wolfgang Cavelius; werbe regelmäßig dafür, Investitionen zu verschieben. „Wenn wir die Mittel im Haushalt veranschlagen, versprechen wir: Es wird gemacht. Und am Ende des Tages ist es nicht gemacht, dennoch ist das Geld im Haushalt.“ Er befürwortete die Ansicht aus der Politik, genauer zu planen: Wenn am Ende festgestellt werde, dass ein Vorhaben nicht umgesetzt wurde, sei die Enttäuschung seiner Ansicht nach größer, als wenn man es von vornherein verschoben hätte.

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