Siegerland. Die Wohnsituation in der Pandemie kann belastend sein. Lärm, Enge und Müll sorgen für erhöhtes Konfliktpotenzial. Viele Siegener sind unzufrieden

Die eigenen vier Wände sind ein wichtiger Faktor für das Glück. In der Coronakrise ist die Wohnung wichtiger denn je geworden. Sie muss Büro und Schule ersetzen, und auch für die Freizeitgestaltung kommt dem trauten Heim in Zeiten von Ausgangssperre und Lockdown eine gesteigerte Bedeutung zu. Doch das gelingt nicht immer. In Siegen möchten überdurchschnittlich viele Menschen etwas an ihrer Wohnsituation ändern, das ist eines der Ergebnisse des Corona-Checks dieser Zeitung. Mehr als jeder Fünfte in der Krönchenstadt ist unzufrieden, im Umland dagegen sind es deutlich weniger. Diesen Eindruck bestätigt auch Marco Karsten, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbundes Siegerland und Umgebung.

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21,6 Prozent der Menschen in Siegen würde ihre Wohnsituation gerne verändern – ausdrücklich wegen der Coronakrise. Im gesamten Verbreitungsgebiet dieser Zeitung möchten das nur 11,78 Prozent der Befragten. In den umliegenden Kommunen – also in Burbach, Hilchenbach, Kreuztal, Neunkirchen, Netphen und Wilnsdorf – wünschen sich sogar nur 10,55 Prozent einen Wohnungswechsel.

Defizite der Wohnungen in Siegen fallen in der Pandemie stärker auf

Das hängt damit zusammen, dass die Wohnsituation in der Stadt gedrängter ist als in ländlicheren Gebieten, vermutet Marco Karsten. Im städtischen Umfeld herrschten ganz andere Bedingungen als auf dem Land, die Menschen hätten dort weniger Platz – sowohl in den Wohnungen als auch im Umfeld. Auch beim Mieterbund gab es vermehrt Anfragen von Mietern, die über einen Umzug nachdachten.

Die grundlegende Wohnsituation sei von den geänderten Bedingungen stark betroffen, sagt Marco Karsten. „Offensichtlich fallen den Mietern Defizite an der eigenen Wohnung eher auf, die zuvor nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.“ Viele Mieter verbrachten im Lockdown generell mehr Zeit in der Wohnung und das auch zu anderen Uhrzeiten. Außerdem entstanden andere Anforderungen, vor allem durch die Arbeit im Home-Office. „Einige unserer Mitglieder gaben an, einen Wohnungswechsel anzustreben, weil in der gegenwärtigen Wohnung ein Arbeiten im Home-Office nicht vernünftig zu bewerkstelligen ist. Es fehlen häufig schlicht die Räumlichkeiten für einen hinreichend ausgestatteten Arbeitsplatz“, erklärt Karsten.

Mehr Lärm, Streit und Hausmüll in der Coronakrise

Ein weiteres Thema ist der Lärm. Dieser sei wiederum vor allem im Home-Office als störend empfunden worden, während er vor der Pandemie nicht besonders ins Gewicht gefallen sei. Wenn mehr Menschen zuhause sind, in der eigenen oder den angrenzenden Wohnungen, führt das logischerweise zu mehr Lärm. Auch die Umgebungsgeräusche einer Straße seien am Tag deutlich lauter als nach Feierabend.

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Auch zu sozialen Konflikten innerhalb der Mieterschaft sei es vermehrt gekommen, berichtet Karsten. „Die Reibereien innerhalb der Häuser haben zugenommen.“ Er vermutet ein höheres Konfliktpotenzial durch den längeren Aufenthalt und die gestiegene Personenzahl während der Lockdowns. In diesen Fällen sehe der Mieterbund oft keine andere Lösung, als zu einem Umzug zu raten.

Das bestätigt auch Daniel Aktas, Geschäftsführer der Kreiswohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft Siegen (KSG). Viele Mieter hätten sich direkt an die KSG gewandt, statt die Probleme selbst zu lösen. In der Zeit des Lockdowns habe außerdem der Hausmüll deutlich zugenommen, so Aktas.

Senioren im Umland von Siegen sind zufrieden

In der ersten Welle habe es deutlich weniger Kündigungen gegeben, dies habe sich danach aber bereits wieder ausgeglichen, berichtet Aktas. Lediglich die Senioren seien weiterhin zurückhaltend mit Kündigungen, zwischenzeitlich habe es sogar bei den sonst stark nachgefragten seniorengerechten Wohnungen Leerstände gegeben, sagt Aktas.

Ältere Menschen möchten ihre Wohnsituation weniger oft ändern, auch das ist ein Ergebnis des Corona-Checks. Nur 5,67 Prozent der Über-60-Jährigen im Verbreitungsgebiet dieser Zeitung möchten wegen der Krise umziehen. Die Unterschiede zwischen Siegen und dem Umland sind auch hier deutlich: In Siegen möchten 12,12 Prozent der Senioren ihre Wohnsituation ändern, im Umland nur 1,47 Prozent.

Der Unterschied liegt vor allem darin begründet, dass in der Stadt mehr ältere Menschen alleine leben und in der Krise isoliert sind, während es im Umland mehr Wohnraum mit Familienanschluss gibt, vermutet Sabine Böhmer-Merz von der Wohnberatung Siegen-Wittgenstein. Ziel der Wohnberatung ist es, älteren Menschen geeigneten Wohnraum zu vermitteln. Dabei kommt es vor allem auf Barrierefreiheit an, erklärt Böhmer-Merz. Viele Senioren machen sich heute schon früh Gedanken über ihren Wohnraum und haben genaue Vorstellungen davon, was sie brauchen. Die frühzeitige Vorbereitung, bei der die Wohnberatung die Senioren unterstützt, sorgt auch dafür, dass sich die Menschen dann in ihren Wohnungen wohlfühlen, so Böhmer-Merz.

Zunehmender Wohnungsmangel in Siegen

Insgesamt gebe es zu wenige Wohnungen, moniert Marco Karsten. „Der Trend ist generell da, seit Jahren.“ Während das Problem bis vor einigen Jahren hauptsächlich in Großstädten wie Hamburg oder München auftrat, seien nun auch mittelgroße Städte wie Siegen betroffen. Dies führe wiederum zu steigenden Mieten, so Karsten.

Mietrechtliche Probleme habe es in Zusammenhang mit Corona eher weniger gegeben. Bei Stadtwohnungen könne sich der Mieter beispielsweise nicht über Straßenlärm beschweren. „Die Frage ist immer, ob sich die Wohnung im vertragsgemäßen Zustand befindet“, erklärt Karsten. Er habe Fälle gehabt, bei denen mitten im Lockdown massive Bauarbeiten im Haus stattfanden und zu unangemessenem Lärm führten. Dies sei dann schon ein Mangel im Sinne des Mietrechts.

Eine rechtliche Frage trat in der Pandemie indes häufig auf, nämlich ob Mieter Besichtigungsterminen zustimmen mussten. Grundsätzlich seien Besichtigungen nicht untersagt, so Karsten, selbstverständlich seien aber die geltenden Hygiene-Vorschriften zu beachten.

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