Siegen. Wohlfahrtsverband „Der Paritätische“ appelliert: Beim Uni-Umzug auch an günstigen Wohnraum und soziale Infrastruktur in Siegen-Mitte denken.
Vor dem Hintergrund des weiteren Umzugs der Uni in die Stadt – Projekt „Siegen – Wissen verbindet“ – warnt der Sozialverband „Der Paritätische“ vor einer möglichen Gentrifizierung des Innenstadtbezirks. Laut des neuen Sozialmonitorings der Stadt Siegen sei der Stadtteil Siegen-Mitte der Bezirk mit dem zweithöchsten Armutsindex-Wert im Stadtgebiet. Ullrich Georgi und Horst Löwenberg, Kreisgruppenvorsitzender und Geschäftsführer des Paritätischen, appellieren an die Verantwortlichen, bei dem zunehmend Fahrt aufnehmenden Großprojekt (wir berichteten) die sozialen Folgen im Blick zu behalten.
Man sei keineswegs gegen das Vorhaben, für das sich zunehmend breite Unterstützung abzeichnet. „Der Paritätische ist nicht gegen Studierende in der Stadt – es geht uns um Ausgewogenheit und Balance im Interesse der Menschen, die auf günstigen Wohnraum und eine vernünftige soziale Infrastruktur angewiesen sind.“
Die (soziale) Infrastruktur in Siegen-Mitte: Viele Menschen in Grundsicherung
Wohnen: Der Armutsbericht weist laut Paritätischem in Siegen-Mitte eine hohe Zahl von Menschen aus, die Grundsicherung beziehen. Diese zumeist älteren Personen benötigten bezahlbaren Wohnraum und wohnortnah eine gute Infrastruktur für die tägliche Versorgung. Der Verband zweifelt aber, ob diese Gruppe „ausreichend im Blick ist“, heißt es weiter: Studentisches Wohnen, oft in WGs, könnte für viele Vermieter attraktiver sein und den Konkurrenzdruck in der ohnehin bereits stark nachgefragten Innenstadt erhöhen.
So soll’s nicht laufen
Gentrifizierung habe in anderen Städten mit der Ansiedlung eines studentischen Milieus begonnen, so der „Paritätische“. Im Lauf der Zeit sei die Infrastruktur angepasst worden. Nach dem Abschluss blieben einige ehemalige Studierende im Quartier, das „entwickelt sich zu einer ‘hippen’ Adresse“. Die Mieten würden weiter steigen und Menschen mit geringem Einkommen verdrängt.
Zumal der geförderte Mietwohnungsbau in Siegen-Mitte laut Wohnungsmarktanalyse des Kreises von 2019 stark abnehme. Der Paritätische bittet, darauf zu achten, dass Menschen in diesen Quartieren ihre günstigen Wohnungen nicht verlieren. Die Stadt solle die potenziell betroffenen Mietwohnungen ermitteln. Nach eigenen Schätzungen des Paritätischen liegen in den beiden Bereichen Häutebachweg und Friedrichstraße insgesamt knapp 500 Wohnungen, von denen aber nur ein Bruchteil von den Baumaßnahmen direkt betroffen sein wird. Laut der Siegener Stadtverwaltung handelt es sich dabei um 22 Mietwohnungen.
Zahlreiche soziale Einrichtungen im Umfeld des künftigen Campus
Sozialberatung: In der Siegener Innenstadt sind nicht zuletzt der guten Erreichbarkeit wegen zahlreiche Beratungsstellen und Angebote für ärmere Menschen angesiedelt – im Bereich Friedrichstraße, wo der Teilcampus Nord entstehen soll, unter anderem die Siegerländer Frauenhilfe mit ihrem Kleiderladen, die Sozialen Dienste der Diakonie, das katholische Jugendwerk Förderband, der Verein Brücke, der Verein für Soziale Arbeit und Kultur Südwestfalen (VAKS).
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Am Häutebachweg, Standort des künftigen Teilcampus Süd, sitzen der Sozialdienst katholischer Frauen (SKF) und die Caritas, die Malteser unterhalten dort unter anderem eine Praxis für Menschen ohne Krankenversicherung. „Es muss darauf geachtet werden, dass die Zentralität und Anbindung an den ÖPNV für die Beratungsdienste erhalten bleibt“, so Georgi und Löwenberg.
Die Uni Siegen beginnt in Kürze mit Arbeiten am Haus Wonnemann
Initiativen: Daneben haben sich weitere (ehrenamtliche) Initiativen im künftigen Campus-Umfeld angesiedelt, die teilweise auch im studentischen oder universitären Kontext entstanden sind und wo Hochschule und Stadtgesellschaft bereits verzahnt sind – eines der Hauptziele von „Siegen – Wissen verbindet“. So hat die Uni beispielsweise vorübergehend Teile des ehemaligen Möbelhauses Wonnemann unter anderem der Fahrradwerkstatt des Vereins „AlterAktiv“ zur Verfügung gestellt; Ehrenamtliche bereiten dort Fahrräder für Bedürftige auf und vermitteln Fahrten mit Rikscha-Fahrrädern für Senioren. Mittelfristig wird das Gebäude aber für Hochschulzwecke umgebaut – dass es sich in diesem Fall nur um eine Übergangslösung handeln könne, hatte die Universität auch von vornherein klargestellt.
„Wir haben Leuten mit Ideen Raum geboten, als wir den noch nicht brauchten“, hatte Uni-Kanzler Ulf Richter bei der Vorstellung des Projekt-Masterplans gesagt – demnächst stehe aber die Entkernung des Gebäudes an, der Bauantrag sei gestellt. An der Sandstraße soll das künftige „Student Service Center“ (SSC) entstehen.
Uni und Stadt planen für Campus vorwiegend mit nicht genutzten Flächen
Trotz der großen Flächen, die für das Projekt benötigt werden, steht laut den aktuellen Plänen die Vernichtung von Wohnraum in größerem Maßstab nicht zu befürchten. Zahlreiche Immobilien, die die Uni gekauft hat, stehen zu großen Teilen leer, das frühere Bekleidungshaus Hettlage etwa. Andere Grundstücke sind gar nicht bebaut oder nur mit einer „Hinterhofstruktur“ aus wenig bis gar nicht genutzten Gebäuden. Diese Flächen sollen im Zuge des Projekts aktiviert werden.
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Auch gezielte Angebote für studentisches Wohnen sind entstanden oder entstehen: Außer dem Wohnheim der KAG am Lohgraben beispielsweise richtet das Studierendenwerk eine Immobilie auf der Hammerhütte her.
„Wir stehen weiter Initiativen sehr offen gegenüber“, betonte Kanzler Richter. „Wo sich Möglichkeiten ergeben, werden wir sie auch einräumen.“ Stadtbaurat Henrik Schumann nannte beispielhaft als ebenfalls betroffene Einrichtung das Bruchwerk-Theater im Hettlage-Gebäude, wo „Menschen mit Pioniergeist“ in einer Zwischennutzung seien. Er sei optimistisch, dass auch solche Initiativen Flächen finden werden.