Hilchenbach. Zum Abschied ein Gespräch mit Werner Otto: Wíe Klärschlamm das Klima schützt und eine Firmenpleite der Gartenerde gut tut.
Werner Otto legt Wert auf ein Foto mit den Bioreaktoren. Der Rest vom Kompost, der aus dem Klärschlamm gewonnen wird, kommt auch mit drauf. Er hat ja Recht: Ohne sie, die Bioreaktoren und den Kompost, wäre seine Geschichte mit der Stadt Hilchenbach nicht zu erzählen. Und zwar jetzt: Keine drei Monate vor seinem 66. Geburtstag geht der Chef der Hilchenbacher Stadtwerke in Rente.
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Das Klärwerk
Die Stelle, auf die er sich 1987 bewarb, war Werner Otto wie auf den Leib geschrieben. Der gebürtige Oberdielfer brachte eine Ausbildung als Maschinenschlosser und – von der Uni Gießen – ein Studium als Umweltverfahrenstechniker mit, für die Diplom-Arbeit hatte er sich mit dem Thema Klärschlamm befasst. Alles Sachen, die in Hilchenbach nicht funktionierten: Die Klärschlammkompostierung war Ende der 1970er Jahre sowieso weit und breit ein Unikum, aus der Not geboren, weil das Hilchenbacher Abwasser mit Chrom und anderen Lasten von Leder- und Leimindustrie verschmutzt und der davon übrig bleibende Klärschlamm nicht auf die herkömmliche Weise faulbar war. Die Fördertechnik fiel immer wieder aus, vor allem aber: Es stank.
„Das waren die Anfänge“, erinnert Werner Otto. Die Klärschlammkompostierung auf Vordermann bringen, die Anlage um eine chemische Reinigungsstufe erweitern – „hier wurde ziemlich viel Geld bewegt“. Bis eines Tages, gegen Anfang der 1990er Jahre, das Klärwerk aus den negativen Schlagzeilen heraus war und über Hilchenbacher Kompost nur noch lobend berichtet wurde, weil er mittlerweile mit Gütesiegel in Siegerländer Gärten ausgebracht werden konnte. Wozu nicht nur die Stadt, sondern auch die Lederwerke beitrugen. Mit ihrer Pleite.
Nicht nur Klärwerk
Als Sachbearbeiter im Tiefbauamt fing er an, wurde Amtsleiter und wechselte als Betriebsleiter zu den Stadtwerken, als die zusätzlich zur Wasserversorgung auch die Abwasserbeseitigung übernahmen. „Die Politik wollte einen transparenten Eigenbetrieb.“ Und der habe so wirtschaften können, „dass man die Gebühren relativ stabil halten konnte“. Die Themen entwickelten sich derweil weiter:
Wasserleitungen: Die Guss- und die ersten PVC-Rohre kommen in die Jahre, das Erneuerungsprogramm ist längst angelaufen. Voriges Jahr wurden in nur zwei Monaten Bauzeit die Transportleitung des Wasserverbandes und die parallel verlaufende städtische Versorgungsleitung zwischen dem Hochbehälter Witschenberg und der Müsener Poststraße erneuert, mittels „Berstlining“: die neuen Rohre werden durch die alten Rohre gezogen und sprengen diese dabei buchstäblich weg. „Im konventionellen Verfahren hätte das anderthalb Jahre gedauert“, schätzt Werner Otto. Und teurer geworden wäre es auch.
Mit ein bisschen Zeitverzug werden die Wasserhochbehälter folgen, die in den 1970er und 1980er Jahren errichtet wurden: „Die halten ja auch nicht ewig.“ Und sie sie sind zu groß. „Hier ist eine Infrastruktur für 20.000 Einwohner.“ Der Verbrauch sinkt aber mit der Einwohnerzahl, das Wasser steht länger in den Speichern. „Dabei verliert es an Qualität.“
Abwasserabgabe: David Hilchenbach gegen Goliath, das Land Nordrhein-Westfalen. Fünf Mal hat Hilchenbach geklagt, konkret gegen die Festsetzung der „Jahresschmutzwassermenge“, nach der die Abgabe berechnet wird. Gestritten wird immer darüber, wie viele Tage nach dem Regen oder dem Schneefall es eigentlich noch Niederschlagswasser ist, das ins Klärwerk nachläuft, und eben kein Schmutzwasser. Der „dicke sechsstellige Betrag“, den Werner Otto insgesamt schon erstritten hat, fließt nicht, denn das Land bemüht sich stets um Revisionsverfahren. Einmal hat die Stadt allerdings auch schon beim Oberverwaltungsgericht gewonnen.
Die Frage, was überhaupt Abwasser ist, wird immer strenger beantwortet. Bis Mitte der 1990er Jahre ging das Sickerwasser der Herzhausener Deponie noch einfach in Netphen in den Kanal, erst seitdem wird es über eine eigene Leitung über den Berg nach Kredenbach gepumpt. Heute bekommt sogar die Allenbacher Talbrücke für ihr Regenwasser eine eigene Vorbehandlungsanlage. Und in Zukunft könnte die eine oder andere Kläranlage auch noch eine vierte Reinigungsstufe benötigen, um Reste von Hormonen und Medikamenten aus dem Abwasser zu holen.
Kanäle: Deren Sanierung ist ein Dauerthema seit den 1990er Jahren, die in dieser Zeit gebauten Regenüberlaufbecken werden als Sanierungsfälle folgen. Alle zehn Jahre fährt die Kamera zur Kontrolle durch jedes Rohr. Ein bis zwei Kilometer Sanierung pro Jahr schaffen die Stadtwerke – 160 Kilometer lang ist das Netz. Eine besondere Episode zu rot-grünen Regierungszeiten war die Pflicht zur Dichtheitsprüfung für private Hausanschlüsse. „Das war ein großes Thema“, erinnert Werner Otto, der die Dramatik der Debatte aber nicht nachvollziehen kann: „Jeder, der einen eigenen Kanal hat, wird erhebliches Interesse daran haben, diesen Kanal abzudichten.“
Generationswechsel
22 Frauen und Männer gehören zum Team der Stadtwerke, an deren Spitze nun ein Wechsel vollzogen wird.
Nachfolger von Werner Otto wird sein bisheriger Stellvertreter Heiner Wetz. Das Amt des Wassermeisters hat bereits Stefan Klein von Bernd Rühl übernommen. Die Betriebsleitung der Kläranlage geht von Roland Syring, der ebenfalls in Rente geht, an Sascha Neumann über.
Noch mal Klärwerk
Der Komposthügel vor dem Bioreaktor ist geschrumpft – seit 2017, als ein Bodengutachten Voraussetzung für die Verwendung wurde, sind die privaten Gartenbesitzer als Abnehmer raus. Ein Teil des Klärschlamms muss nun in Verbrennungsanlagen entsorgt werden. „Es wäre sehr schade, wenn Klärschlamm nicht mehr als Dünger verwendet werden dürfte. Der Recyclinggedanke geht so ein bisschen unter.“ Werner Otto kann mit wenigen Worten den Bogen spannen von endlichen Phosphor-Vorräten über verarmende Böden bis zu vermehrter Freisetzung von CO2, wenn Kohlenstoff nicht mehr im Erdreich gebunden ist – einen passenderen Hausgenossen als die Stadtwerke hätten sich die Klimawelten in der alten Stadtschule am Kirchweg nicht wünschen können.
Nebenan, auf der Wiese, produzieren Sonnenkollektoren jedes Jahr 200.000 Kilowattstunden Strom. Wenn es nach Werner Otto gegangen wäre und nicht nach den Windstärken, würde sich sogar ein Windrad oben auf einem der Bioreaktoren drehen. Das reichte dann aber doch nicht. Ansonsten aber: „Es hat immer Spaß gemacht.“ Und nun? Impfen lassen und auf Reisen gehen.
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