Vormwald/Siegen. Vieles rund um die brutale Tötung eines 74-Jährigen in Hilchenbach-Vormwald bleibt vor dem Landgericht Siegen weiterhin mehr als rätselhaft.

Gut sechs Stunden sind es am dritten Verhandlungstag, Donnerstag, 4. März, die sich die 2. Große Strafkammer Zeit genommen hat, um mehr über jenen jungen Hilchenbacher zu erfahren, der am 23. August 2020 einen 74-jährigen Senior erstochen haben soll. Was am Ende bleibt, sind zwei Momente, die dabei helfen können, die Tat zeitlich ein wenig einzugrenzen. Dazu kommen viele Puzzleteile zur Persönlichkeit des mutmaßlichen Täters, die trotz aller Mühe des Gerichts noch immer kein konkretes Bild ergeben.

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Eine Zeugin, die schräg über dem Haus des Getöteten nahe dem Forsthaus in Hilchenbach-Vormwald lebt, hat an jenem Sonntagnachmittag kurz nach 16 Uhr zwei Hilferufe gehört, die ganz aus der Nähe gekommen sein müssten. Den ersten Schrei schreibt sie einer etwas brüchigen männlichen Stimme zu. Der zweite sei nur wenig später zu hören gewesen, in der Intensität bereits abfallend. Sie sei auf die Straße gelaufen, habe in beide Richtungen geschaut, aber nichts sehen können. Sie habe selbst „Hallo“ gerufen, aber keine Antwort bekommen.

Mit Fahrrad aus Einfahrt geschossen, Autofahrer zu Vollbremsung gezwungen

Abends gegen 21 Uhr kam ein anderer Zeuge aus seinem Jagdrevier, als ein Fahrrad aus einer Einfahrt in der Nähe des Forsthauses schoss und ihn zu einer Vollbremsung zwang. Er holte das Zweirad kurz vor dem Kreisel in Hilchenbach wieder ein, erkannte einen Fahrer mit „kurzrasierter Kopfseite“, der weder schlank, noch korpulent gewesen sei. Im kräftig gebauten Beschuldigten erkennt er den Mann allerdings am Donnerstag nicht wieder: „Das ist etwas zu viel.“

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Der 20-Jährige lässt die Verhandlung unbewegt, in fast stoischer Ruhe über sich ergehen. Er wird nur lebendig, wenn er in den Unterbrechungen kurz Kontakt mit seiner Schwester aufnehmen kann. Ansonsten reagiert er zumindest äußerlich nicht auf die Momente, wenn die Vorsitzende von den Zeugen wissen will, wie er sich denn so verhalten und verändert habe, dabei mancher für ihn schwierige Satz ausgesprochen wird.

Was in Hilchenbach gesprochen wurde: „Der ist krank und muss weg“

„Der ist krank und muss weg“, sagt einer seiner Bekannten auf die Frage von Richterin Sabine Metz-Horst, was denn so in Hilchenbach über den Beschuldigten gesprochen werde. So unterhalte er sich mit seinem Vater, ergänzt dieser Zeuge. Er gehört zu einer Gruppe, die sich regelmäßig auf der Hilchenbacher Gerichtswiese versammelt hat, „für Feierabendbierchen und eine Zigarette“, wie die jungen Männer übereinstimmend erzählen.

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Da ist der Beschuldigte irgendwann am Montag nach der Tat aufgelaufen, mit einer dicken Hand samt Schnittverletzung, einer Wunde am Knie und weiteren Abschürfungen. Er soll von einem harten Wochenende gesprochen haben, holte mit dem E-Bike eines der Anwesenden Zigaretten, stürzte damit vor den Augen seiner Bekannten und wurde notdürftig am Knie mit einer Binde versorgt, die er unvermittelt aus der Tasche geholt habe. Zeitlich eingrenzen können die Zeugen das kaum präzise.

Angeklagter tauchte mit blutverschmiertem Überweisungsträger in Sparkasse auf

Aber klar ist, dass der 20-Jährige kurz vor der Schließung der Sparkasse am Marktplatz um 16 Uhr dort versuchte, einen blutverschmierten Überweisungsträger abzugeben und Geld vom Konto des Toten abbuchen lassen wollte. Wie eine Mitarbeiterin sehr plastisch berichtet. Er habe plötzlich vor ihr gestanden, aus diversen Wunden blutend und alles verschmierend, mit lauter Musik aus dem Mobiltelefon, habe all das offensichtlich gar nicht richtig wahrgenommen.

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Hier setzt Richterin Sabine Metz-Horst denn auch immer wieder an. Wie haben die Menschen aus seinem Umfeld den Beschuldigten gesehen? Ein Jugendfreund beschreibt die Veränderungen über die Jahre, die mit Drogen verbunden gewesen seien. Beide kannten sich seit der dritten Klasse, hatten viel gemeinsam unternommen und auch die ersten Drogenerfahrungen zusammen gemacht. Der Beschuldigte habe immer mehr davon gewollt und sich letztlich von den anderen entfernt.

Zeuge: Angeklagter wurde immer wieder ausgenutzt, Ausfälle unter Drogeneinfluss

Während er völlig entsetzt und ungläubig von der mutmaßlichen Tat des alten Freundes erfuhr, sah ein Mitglied der „Gerichtswiesen“-Gruppe alte Befürchtungen eher bestätigt. „Ich war immer etwas auf Distanz“, betont dieser Zeuge (30). Der Beschuldigte sei grundsätzlich ein ruhiger und nette Mensch gewesen, bestätigt er die Aussagen anderer. Es habe aber auch ein anderes Gesicht gegeben, mit Aggressivität, das ihm immer etwas Sorge gemacht hätte. Dass der Beschuldigte psychische Probleme hatte, mit Aufenthalten in der „Geschlossenen“, sei durchaus bekannt gewesen.

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Großes Bedauern äußert der Cousin jenes Mannes, bei dem der Beschuldigte eine Zeit übernachtet hatte und der bei der Tat zumindest mit vor dem Haus des Opfers gewesen sein soll. Es habe schon im Vorfeld Gerüchte über Einbrüche gegeben, bei denen der junge Mann möglicherweise vorgeschickt und ausgenutzt worden sei. Möglicherweise steckten auch hinter dem Mord sein Verwandter und dessen Umfeld. Er habe den 20-Jährigen als Menschen erlebt, der nüchtern sehr anständig und hilfsbereit, zugleich auch immer wieder ausgenutzt worden sei. Unter Drogen habe er sich dagegen stark gefühlt und über keinerlei Folgen seines Handelns nachgedacht. Nach der Tat habe er davon erzählt, dass der alte Mann sich an Kindern vergangen und Drogen im Haus gehabt hätte. So etwas dürfe nicht sein.

Drogenplantage im Nachbarhaus in Hilchenbach wird noch behandelt

„Warum hast Du ihn nicht angezeigt“, will der Zeuge gefragt haben, „das war der richtige Weg!“ Der Wittgensteiner hat selbst eine lange Drogenkarriere hinter sich, führt inzwischen ein ruhigeres Leben und hat im Beschuldigten offenbar ein wenig seine eigenen Anfänge gespiegelt gesehen, diesem helfen wollen. Immer wieder habe er versucht, Ratschläge zu geben, den aus seiner Sicht vielversprechenden jungen Menschen zu kompetenten Anlaufstellen zu schicken: „Er hatte doch sein ganzes Leben noch vor sich!“

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Sein Verwandter habe diverse Probleme gehabt, sei angeblich ständig verprügelt worden, und sei wohl ziemlich dankbar gewesen, mit dem Beschuldigten eine Art von Leibwächter im Haus zu haben, nachdem dieser vom Vater vor die Tür gesetzt worden war.

Am 9. März geht es unter anderem mit Polizisten weiter. Die können möglicherweise auch mehr zur Drogenplantage berichten, die sich im Nachbarhaus des Getöteten befand, angeblich den Hells Angels gehörte und mutmaßlich in Zusammenhang mit der Tat ausgehoben wurde. Darum ging es bislang eher nebenbei.

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