Siegen. Der Mann, der in Suizidabsicht Feuer in einem Siegener Hotel gelegt haben soll, leidet offenbar unter Schlafstörungen und depressiven Tendenzen.

Es sind zwei Dinge, die den Angeklagten am meisten beschäftigen. Der Mann, der am 9. April 2020 ein Feuer im Gasthof Meier gelegt hatte, weil er sich umbringen wollte, möchte „nur nach Dortmund zurück“. Dort ist er seit Mai in einer LWL-Klinik untergebracht. Daneben „bin ich eigentlich nicht unglücklich. Von den Schlafstörungen mal abgesehen“, lässt er das Gericht wissen.

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Dass er nicht schlafen kann, hat der 56-jährige S. seit Prozessbeginn immer wieder betont und macht es auch an diesem Mittwoch mehrfach. Für Psychiater Dr. Thomas Schlömer ist „die Verengung auf das Schlafen“ ein typisches Symptom für die schwere Depression, an der S. aus seiner Sicht leidet, als Folge einer viele Jahre andauernden Alkoholsucht. Dass der Angeklagte allerdings immer wach sei, hält er für eine falsche Wahrnehmung. S. müsse schon zumindest für kurze Zeit schlafen. Etwas anderes sei gar nicht möglich.

Hotelbrand Siegen: Gutachter geht von eingeschränkter Steuerungsfähigkeit aus

Der Gutachter hat den in Haiger geborenen Mann im April und im Mai untersucht. Seither habe sich dessen Zustand zumindest leicht gebessert, stellt der Arzt aus Schmallenberg fest und widerspricht damit teilweise einem Bericht aus der Klinik. Dort sehen die Ärzte kaum einen Fortschritt beim Angeklagten, der antriebslos sei, praktisch in allen Belangen des Lebens Unterstützung benötige und sogar einen Anfall von sexueller Distanzlosigkeit gegen eine Mitarbeiterin gezeigt habe.

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Dr. Thomas Schlömer hat für den Brand im Frühjahr eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit diagnostiziert. S. habe ihm gegenüber zugegeben, das Feuer in suizidaler Absicht gelegt zu haben, könne sich aber nur bruchstückhaft erinnern. Der Mediziner glaubt, dass der Mann trotz Depression und durch den Alkohol ebenfalls bedingte Persönlichkeitsveränderungen in jener Nacht noch in der Lage hätte sein müssen, einen anderen Weg zu finden, sich das Leben zu nehmen. Bei anhaltendem Alkoholkonsum sieht er in S. auch künftig eine Gefahr für seine Mitmenschen.

Siegen: Gutachter im Hotelbrand-Prozess hält Therapie für möglich

Umgekehrt empfiehlt er keine Einweisung in die Psychiatrie. Dr. Schlömer ist vielmehr überzeugt, dass die anhaltende Depression im Rückgang sei, bei einer weiteren Remission und gleichzeitiger Abstinenz auch der Weg zu einer echten Therapie möglich sein könne. Er will den Mann in einer Entziehungseinrichtung unterbringen, als sanfteres Mittel.

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Gericht und Staatsanwaltschaft haben damit ihre Probleme. Vor allem, weil der Gutachter seine Schlüsse auf die Aussage des früheren Betreuers stützt. Der hat zuvor den Zustand des S. nach dem ersten Feuer im September 2019 in dessen Wohnung geschildert. Auch da hatte eine ähnlich teilnahmslose Haltung vorgelegen, ganz plötzlich aber sei ein Wandel spürbar geworden. „Ich hatte den Eindruck, er braucht meine Hilfe nicht mehr“, sagt der Zeuge, der am 13. April den Antrag auf Aufhebung seiner Tätigkeit stellte und am 20. April die Bestätigung bekam.

Siegen: Angeklagter will „lieber sterben“, als Schlaflosigkeit weiter zu ertragen

Genau an dieser Stelle wird Staatsanwalt Philipp Scharfenbaum stutzig. Einmal hat er ein Dokument gefunden, in dem der Betreuer noch am 21. April beantragt hat, den jetzigen Verteidiger des S. aus dem Verfahren zu entfernen. Ob das denn üblich sei, nach der Entbindung tätig zu werden, fragt der Anklagevertreter. Der Zeuge wird unruhig, bekommt aber Schützenhilfe von dem Mann, den er eigentlich loswerden wollte. Da habe es wohl eine zeitliche Überschneidung gegeben, „ich erinnere mich“, wirft Anwalt Ihsan Tanyolu ungerührt ein.

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Nachhaltiger ist für Scharfenbaum allerdings die Tatsache, dass der Betreuer im April die Besserung festgestellt haben will und dann vier Tage nach der angeklagten Tat den Antrag einreichte. „Eine Fehleinschätzung“ liege da für ihn vor, unterstreicht der Staatsanwalt. Und ausgerechnet darauf stütze der Gutachter seine Einschätzung. Zumal der Angeklagte wenige Minuten zuvor selbst angegeben habe, nach wie vor lieber sterben zu wollen, als die anhaltende Qual der Schlaflosigkeit zu ertragen.

Angeklagter will vor Gericht in Siegen nicht viel von sich preisgeben

Dr. Schlömer lässt sich nicht beirren. Er könne den Unterschied und Fortschritt zu seinen Untersuchungen im Frühjahr eindeutig erkennen. Dazu entspreche die Beschreibung des Betreuers durchaus der medizinischen Erfahrung, dass anhaltende Depressionen manchmal sehr unvermittelt Besserung zeigten. Das ändere nichts daran, dass S. nach wie vor latent suizidgefährdet sei.

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Der Angeklagte hat lange ein Tattoo-Studio betrieben. Den Job habe er sich selbst beigebracht. „Man hat sich dann eben selbstständig gemacht“, erzählt er dem Gericht. Anfangs hat er gar nichts über sein Leben sagen wollen: „Aaach, ich will nur ein Urteil!“ In endloser Geduld gelingt es Elfriede Dreisbach aber, ihn zu ein paar Antworten zu bewegen.

Alkoholproblem seit dem 20. Lebensjahr

Es entsteht das Bild eines Mannes, der seit seinem 20. Lebensjahr ein Alkoholproblem hat, zur Tatzeit trank er bis zu zwei Kästen Bier am Tag, der dennoch Jahrzehnte erfolgreich ein Studio betrieb, seinen Alltag im Griff hatte, in vielerlei Hinsicht ziemlich anspruchslos und unkonventionell lebte, aber gern Motorrad fuhr und mehrere Reisen mit Traditionsseglern unternahm. Da wolle er auch in zehn Jahren sein, in einem Segler auf dem Meer leben, hat er dem Sachverständigen gesagt. Der nun auch unter dem Eindruck dieser Antworten seine Einschätzungen noch einmal revidiert hat.

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Ein paar Vorstrafen wegen Körperverletzungen habe es auch gegeben, erinnert sich der Angeklagte dunkel. „Sind Sie nicht jedes Wochenende mit einem blauen Auge nach Hause gekommen“, fragt Elfriede Dreisbach. S. schüttelt lächelnd den Kopf. Und will eigentlich nur wieder schlafen. Am Freitag geht es weiter.

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