Siegen. Virtuelle Vergewaltigung: Lange Zeit hat das 14-jährige Mädchen geglaubt, dass es die Chatpartner wirklich gibt.

Das habe sich „wie ein Roman“ entwickelt, beschreibt ein Polizeibeamter die Geschichte der virtuellen Vergewaltigung, die am Mittwochmorgen vor dem Siegener Landgericht weiterverhandelt wird. Die Beeinflussung des damals 14-jährigen Opfers durch die Erfindung dreier Charaktere, mit denen der Angeklagte sie im Internet-Chat förmlich in ein Netz aus Intrigen, Drohungen und sexueller Ergebenheit gewoben hatte – da müsse schon eine längere Strategie existiert haben, glaubt der Zeuge.

Der Siegener Polizist hat sowohl an der Durchsuchung am 20. Dezember 2018 teilgenommen, als auch den Angeklagten am Folgetag verhaftet und verhört. Anfangs sei es zu einem kleinen Zusammenbruch gekommen, insgesamt sei der Mann aber kooperativ gewesen „und hatte uns wohl auch schon erwartet“. Aufgefallen ist dem Zeugen, dass der Beschuldigte über längere Zeit sehr real von vier Beteiligten gesprochen habe, von seinen drei falschen Identitäten „in der dritten Person“. Erst nach der nachdrücklichen Erinnerung durch ihn daran, dass diese doch falsch seien, beschreibt der Beamte an eine Reaktion seines Gegenübers, als wäre dies erst in diesem Moment wirklich bewusst geworden.

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Einschlägige Vorstrafe

2012 war der Angeklagte vom Landgericht Rottweil für eine ziemlich ähnliche Sache zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Der große Unterschied: Der Lkw-Fahrer hatte sich mit der ebenfalls 14-Jährigen real an ihrem Wohnort getroffen, sie als angeblicher Vertreter der Russenmafia mit Drohungen mehrfach zum Geschlechtsverkehr in seinem Lkw genötigt.

Bei den Vernehmungen Ende 2018 habe der Mann versichert, auf keinen Fall wieder eine Begegnung gewollt zu haben. „Davor hatte er Angst“, ist sich der Beamte sicher. Im Laufe der Vernehmung sei dem Angeklagten nur langsam klar geworden, wie weit er trotz allem schon wieder in diese Richtung gegangen sei, „dass er Hilfe braucht“.

„Lieblingsschwager“

Der Verteidiger möchte gern noch einen Zeugen hören, der bis zum Tod der Ex-Frau seines Mandanten 2017 mit dieser zusammengelebt hatte. Es geht ihm um die Aussage der früheren Schwägerin des Angeklagten in der vergangenen Woche. Da hatte diese ihrem Ex-Schwager mehr oder weniger gewünscht, für immer im Gefängnis bleiben zu müssen. Aßhauer legt Briefe der Frau vor, die sie seinem Mandanten während der ersten Haft ins Gefängnis schrieb. Darin bezeichnet sie ihn als Lieblingsschwager.

Ein zweiter Beamter ist aus dem Landkreis Märkisch-Oderland angereist. Er wurde vor zwei Jahren ohne jede Vorbereitung losgeschickt, um das mutmaßliche Opfer zu vernehmen. Er stand zunächst einer völlig überraschten Mutter gegenüber, die extrem ärgerlich auf ihre Tochter gewesen sei, als sie von den Umständen seines Besuchs erfuhr. Das Mädchen habe sehr überrascht reagiert, dass sich hinter den drei Identitäten ein völlig anderer Mann verbarg. Danach sprach sie sehr lange mit dem Beamten, die Vernehmung hat von 17.55 bis 22.55 Uhr gedauert. Vor allem auch, weil das aus seiner Sicht für ihr Alter sehr weit entwickelte Mädchen alles sehr genau durchgelesen, korrigiert und diskutiert habe.

In Siegen schweigt das junge Opfer

Für die Kammer ist die Aussage und auch der Eindruck des Zeugen sehr wichtig. „Uns wollte sie nicht mal ihren Vornamen nennen, hat sich total verweigert“, bedauert die Vorsitzende Richterin Elfriede Dreisbach. Möglicherweise sei das Mädchen einfach überrumpelt gewesen, vermutet der Zeuge, oder auch verärgert, frustriert. Der Kriminalbeamte kann jedenfalls genau den Moment bestimmen, „wo ihr ein Licht aufging“. Er hat herausgehört, dass sie alle drei „Fake“-Identitäten bis zu jenem Tag für echt gehalten und diese vor allem auch gemocht hatte. Die Mutter sei vor allem sauer gewesen, weil es schon einmal einen Vorfall gab, bei dem die Tochter Fotos an einen älteren Mann geschickt und offenbar nichts daraus gelernt hätte.

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