Alchen. Zwei Menschen sind bei der Explosion auf dem Alcher Backesfest gestorben. Ein Vorstandsmitglied des Heimatvereins soll die Verantwortung tragen.

Die Katastrophe beim Backesfest in Alchen wird wahrscheinlich vor Gericht aufgearbeitet: Die Staatsanwaltschaft Siegen ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen ein Vorstandsmitglied des Heimat-und Verschönerungsvereins Alchen.

„Nach dem schrecklichen Unglück hat die Staatsanwaltschaft Siegen umfangreiche Ermittlungen durchgeführt“, sagt Staatsanwalt Fabian Glöckner. Durch die Staatsanwaltschaft seien unabhängige Sachverständigenbüros mit der Begutachtung des eigengebauten Gasgrills beauftragt worden , der während des Festes explodiert war. Die Gutachten liegen vor und sind ausgewertet, heißt es in einer am Dienstagmorgen verbreiteten gemeinsamen Presseerklärung von Polizei und Staatsanwaltschaft.

Weitere Ermittlungen: Heimatverein Alchen äußert sich am Mittwoch zum Backesfest-Unfall

Gegenüber der Westfalenpost wollte sich der Vorsitzende des Heimat- und Verschönerungsvereins Alchen, Martin Lucke, am Dienstag nicht äußern. Er verwies in einem Gespräch auf einen gemeinsamen Termin mit Pfarrer Oliver Günther am Mittwoch, 17.30 Uhr, im Backes in Alchen. Da sollen offene Fragen geklärt werden.

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Pfarrer: Zusammenhalt hat die Dorfgemeinschaft Alchen so stark gemacht

Pfarrer Oliver Günther von der Kirchengemeinde Oberholzklau betreut auch die evangelischen Christen in Alchen. Das Unglück habe tiefe Wunden im Ort geschlagen, so der Pfarrer gegenüber dieser Redaktion. „Die Wunden waren dabei, langsam zu vernarben. Durch die Nachricht von den Ermittlungen gegen eine Einzelperson reißen sie wieder auf.“ Bislang sei man in Alchen von einem tragischen Unglücksfall ausgegangen. Dass sich jetzt die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ein einzelnes Vorstandsmitglied aus dem Dorf richteten, wühle die Menschen im Ort zutiefst auf, sagt er.

Der Pfarrer warnt vor einer Vorverurteilung des Vorstandsmitglieds: „Er wird derzeit als Beschuldigter geführt, noch nicht als Angeklagter. Ob der derzeitige Vorwurf am Ende überhaupt aufrechterhalten werden kann, müssen erst die weiteren Ermittlungen ergeben.“ Er steht nach eigenen Angaben dem Beschuldigten in diesen Tagen zur Seite. Auch den anderen Menschen in Alchen will er weiterhin sein Ohr schenken, wie er es ausdrückt. „Ich möchte die Dorfgemeinschaft zur Besonnenheit anhalten und sie beruhigen. Ich möchte sie dahingehend begleiten, dass sie sich darauf besinnt, was sie in der Krise seit dem Unglück so stark gemacht hat: der Zusammenhalt.“

Freudenberg: Wie mit zukünftigen Festen umgehen?

Im Telefonat mit dieser Redaktion sagt Freudenbergs Bürgermeisterin Nicole Reschke , dass sie die neuen Entwicklungen juristisch nicht bewerten wolle. „Ich nehme zur Kenntnis, dass es weitere Ermittlungen gibt, aber hoffe, dass es nicht zu einer Anklage kommt“, sagt sie.

In Gesprächen mit Ehrenamtlichen am Dienstag habe sie bemerkt, welche Bedeutung die weiteren Ermittlungen haben. „Die Meldung wird bei ihnen mit großem Schrecken aufgenommen“, so Reschke. Sie stellten sich die Frage, wie zukünftig Veranstaltungen organisiert werden sollten, damit so ein Unglück und die damit verbundenen juristischen Folgen nicht noch einmal passiere.

Bei der Stadt Freudenberg läuft es so: Wenn in städtischen Räumlichkeiten Veranstaltungen von Dritten stattfinden, wird vorher eine Checkliste ausgehändigt, mit Fragen unter anderem zur Besucherzahl, wie Flucht- und Rettungswege eingezeichnet sind oder wie das Gefahrenpotenzial eingeschätzt wird, so Bürgermeisterin Nicole Reschke. Dann könne es sein, dass die Veranstaltung entsprechende Auflagen bekäme, „um Sicherheit geben zu können“. Ein Freudenberg ohne das ehrenamtliche Engagement der Vereine wolle sie sich aber nicht vorstellen.

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Das Geschehen am 8. September 2019

Am Sonntag, 8. September 2019, war es während des Festes in Alchen zur Explosion einer gasbetriebenen übergroßen Bratpfanne gekommen. Eine 67-jährige und eine 31-jährige Frau, Mutter und Tochter, kamen dabei ums Leben. Insgesamt 14 Personen wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.

So kam es zu der Katastrophe

Bei der explodierten Pfanne handelte es sich um eine selbst gebaute Konstruktion, die bereits seit mehreren Jahrzehnten im Besitz des Heimat- und Verschönerungsvereins Alchen war. Auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wurde diese Pfanne durch Sachverständige untersucht, um die mögliche Ursache für die Explosion zu ermitteln. Das Gutachten der Sachverständigen liegt nun vor.

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Demnach führte eine Verkettung verschiedener Umstände zur Explosion: Die Eigenkonstruktion war so aufgebaut, dass durch externe Gasbrenner unter dem Boden der Pfanne Öl erwärmt wurde, um eine gleichmäßige Wärmeverteilung zu erzielen. Das Öl befand sich dabei im Hohlraum zwischen Pfannenboden und Deckel in einem geschlossenen System. Pfannenboden und Pfannendeckel waren durch Metallstreben miteinander verschweißt. Zum Druckausgleich war ein Ventil angebracht.

Dem Alter des Gasgrills entsprechend war das Öl ebenfalls gealtert und der Siedepunkt erheblich gesunken. Dadurch dehnte sich das Öl schon bereits bei geringerer Wärme stark aus. Das zur Druckentlastung angebrachte Ventil war geschlossen, so dass zum Explosionszeitpunkt kein Druckausgleich stattfinden konnte.

Durch die Ausdehnung des Öls und den fehlenden Druckausgleich stieg der Druck in dem geschlossenen System stark an, die Pfannenkonstruktion begann sich zu wölben. Dies führte dazu, dass die verschweißten Metallstege aus dem Pfannenboden gerissen wurden. Dabei entstanden mehrere Löcher im Boden.

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Durch diese Löcher spritze nun das heiße Öl - durch den herrschenden Druck sehr fein verteilt - auf die offenen Flammen der Gasbrenner. Ein sofortiges explosionsartiges Abbrennen mit enormer Stichflammenbildung und Verspritzen brennenden Öls war die Folge. Die sich in unmittelbarer Nähe befindlichen Personen unter dem Unterstand, in dem sich die Pfanne befand, erlitten lebensgefährliche bis tödliche Brandverletzungen.

Das wirft der Staatsanwalt dem Veranstalter vor

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Siegen und des Kriminalkommissariats 1 der Polizei Siegen-Wittgenstein ergaben den Verdacht, dass trotz Einweisung in die Handhabung des Gasgrills, die handelnden Personen überfordert waren. Die Beamten des Kriminalkommissariats 1 der Kripo in Siegen haben Zeugen und Geschädigte vernommen.

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Als der Grill anfing, sich zu überhitzen und zu wölben, wurde ein Verantwortlicher des Festes darauf hingewiesen. Dieser war mit der Funktionsweise des Grills vertraut und hatte die Einweisung in die Handhabung vorgenommen. Er reduzierte darauf die Energiezufuhr. Die Fehlfunktion selbst wurde nicht abgestellt und der Grill auch nicht aus dem Betrieb genommen. Kurze Zeit später kam es zur Explosion. Gegen diese Person richten sich nun die weiteren Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung.

So versuchte Alchen die Bewältigung des Unglücks

Kurz vor Weihnachten 2019 hatten sich Pfarrer Oliver Günther und Martin Lucke, Vorsitzender des Heimat- und Verschönerungsvereins Alchen, noch einmal öffentlich geäußert – auch, um für die Bekundungen von Solidarität und die bis dahin eingegangene Spendensumme von 53.000 Euro zu danken, die den Opfern der Katastrophe zugedacht ist.

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„Der Schock ging durchs ganze Dorf“, erinnerte Martin Lucke, der zwei Meter von der explodierenden Pfanne entfernt stand. „Es waren schwere, bedrückende Tage.“ Alle überlebenden Verletzten, ob leicht oder schwer, mit Brandblasen oder schweren Hautverbrennungen, konnten Weihnachten im Kreis ihrer Familie feiern. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Ursache der Tragödie liefen damals noch. „Sie hängen wie eine dunkle Wolke über dem Heimatverein“, sagt Martin Lucke.

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Eine Woche nach dem Unglück hielt Pfarrer Oliver Günther einen Gedenkgottesdienst, an dem rund 400 Menschen teilnahmen.„Die Erschütterung vom vergangenen Sonntag hat unsere Welt hier verändert“, sagte Günther in seiner Predigt„ wir sind andere geworden. Nichts ist mehr wie es war.“ Die evangelische Kirche hatte vom Moment des Unglücks an einen Raum für die betroffenen Menschen geboten; sie stand als Raum der Stille offen, anfangs wurden tägliche Andachten gehalten.

Das sind die Folgen über Alchen hinaus

Noch im November 2019 lud der Heimatbund Siegen-Wittgenstein die Heimatvereine ins Lyz eingeladen, um über Sicherheitskonzepte und Versicherungsschutz zu sprechen – gerade im Vorfeld der Märkte und anderer Veranstaltungen in der Vorweihnachtszeit. Auf dem Crombacher Weihnachtsmarkt am ersten Adventswochenende werden Spendenboxen für Alchen aufgestellt – auch in dem Kreuztaler Stadtteil ist die Betroffenheit nach wie vor groß: „Das kann überall passieren“, sagt Organisator Eckhard Fuhr.

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„Bürgerschaftliches Engagement in der Heimatarbeit muss sicher sein und darf nicht zum unkalkulierbaren Risiko werden“, forderte Dr. Silke Eilers, Geschäftsführerin des Westfälischen Heimatbundes. Eine Vereinshaftpflichtversicherung sei „für jeden Verein ein absolutes Muss“, sagte dort Gabriele Gahrmann-Arndt von der Provinzial-Versicherung.

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