Werthenbach. Eine wochenlange Reise ist für einen Schwertransport von Sachsen-Anhalt nach Siegen-Wittgenstein nötig. Das Problem sind die schlechten Straßen.
Am 26. November 2019 wird das erste von vier Teilen zu Wasser gelassen. In Aken an der Elbe. Das ist in Sachsen-Anhalt, in der Nähe Aschersleben. Dort ist die bei Gräbener Maschinentechnik in Werthenbach konstruierte Rohrbiegepresse zusammengeschweißt worden. Warum hier und nicht in Werthenbach, erzählen wir gleich. Jedenfalls: Jetzt beginnt die Reise in den Westen.
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1. Planung: 2018 Genehmigungsantrag von Aschersleben nach Siegen-Wittgenstein
Ludger Dax, Prokurist und Einkaufschef bei Gräbener, würde die Geschichte viel früher beginnen. Ende 2018 etwa, als sie einen ersten Genehmigungsantrag gestellt haben für den Transport der zwei 245 Tonnen schweren Traversen von Aschersleben zu den Eisenwerken nach Erndtebrück. Den Werthenbachern war klar, dass das nicht mehr so einfach gehen würde wie noch 2003, als eine Presse für Korea nach sechs Wochen auf die Reise gehen konnte.
Und klar war auch, dass die Autobahnen inzwischen für schwerste Lasten tabu sind. Und dass die vor neun Jahren ersonnene „Schwerlastroute“ über Nebenstraßen aus dem Siegerland zu den Binnenhäfen auf 299 Tonnen limitiert ist. „Der Antrag wurde sofort abgelehnt“, berichtet Dax. Denn die Statik für 18 Brücken nachzurechnen, jede für bis zu 5000 Euro, „das war kostentechnisch nicht mehr tragbar.“
Vorgeschichten: Große Teile müssen im Siegerland zerlegt werden – wegen der Straßen
„Wir hatten sogar hier mal ein eigenes Rohrwerk“, erinnert Gräbener-Geschäftsführer Fabian Kapp, „heute sind wir mehr oder weniger ein großes Ingenieurbüro mit angehängter Montage.“ Der Sondermaschinenbau ist heute das Thema von Gräbener Maschinentechnik: Aggregate für Schiffe, für Öl- und Gas-Pipelines, für die Hersteller von Windkraftanlagen. Die Teile sind groß, ihre Herstellung braucht Zeit, so dass ein eigener Maschinenpark kaum ausgelastet wäre – abgesehen von dem Problem, dass der Transport der voluminösen Teile nun einmal schwierig ist.
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Die Rohrbiegepresse für Erndtebrück sieht inzwischen anders aus: Sie wird in vier Teile zerlegt, je zwei 130 und 115 Tonnen schwere Traversenteile mit 15 bis 16 Metern Länge und bis zu dreieinhalb Metern Breite. Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen, schüttelt den Kopf: Das sei „an Absurdität nicht zu überbieten. Es kann doch nicht sein, dass ein Unternehmen danach konstruiert, was Straßen und Brücken hergeben.“
Mängel in Infrastruktur
10.000 Arbeitsplätze in der Region, schätzt IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener, hängen davon ab, dass die Transportinfrastruktur funktioniert.
14.000 Schwertransporte gehen jährlich in Siegen-Wittgenstein und Olpe auf die Strecke, umgerechnet mehr als 38 pro Tag und Nacht.
2011 war es, als Heinrich Weiss, Eigentümer der Hilchenbacher SMS group, sich mit dem Hilferuf zum gleichen Thema an die Verkehrsminister von Bund und Land wendete. Seitdem gibt es Erleichterungen bei der Transportbegleitung, für die nicht mehr unbedingt die Polizei anrücken muss, und vor allem gibt es die Schwerlastroute, die inzwischen – so schätzt Gräbener – zu 95 Prozent passierbar ist. Kreuztal dürfte eine der letzten Baustellen sein. „Das alles dauert zu lang, ist zu umständlich und viel zu teuer.“
2. Genehmigungen: 20.000 Euro fürs Aufstellen Halteverbotsschilder
261 Seiten stark ist die Transportgenehmigung, die Ludger Dax nach einem Jahr auf dem Tisch hat. 261 Seiten für die beiden 130-Tonner, und noch einmal 261 Seiten für die 115-Tonner. Ein Jahr hat es gedauert, um grünes Licht von allen Kreispolizeibehörden an der Strecke zu bekommen.
Jede Kreuzung, jede Beschilderung, jede erforderliche Straßensperrung für den Schwertransport bekommt eine eigene Planzeichnung. Von den 120.000 Euro Transportkosten entfällt etwa die Hälfte auf diese Nebenkosten. „Allein 20.000 Euro für das Aufstellen von Halteverbotsschildern.“ Diesen Preis hat sich Fabian Kapp gemerkt.
3. Abfahrt: Von Mittellandkanal nach Siegen-Wittgenstein
Die Reise der Rohrbiegepresse kann beginnen. Erst in Aken, für folgende Fuhren in Vahldorf am Mittellandkanal, als die Elbe im Dezember zu wenig Wasser führte. In Gelsenkirchen gehen die Traversen an Land, die letzten zwei Nächte auf der Straße brechen an.
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Die erste führt bis nach Meinerzhagen, die zweite bis ans Ziel zur Firma Jung Großmechanik in Bad Laasphe, wo die Pressenteile noch einmal mechanisch bearbeitet werden. Hinter ihnen liegt eine Siegerlandrundfahrt durchs Heestal und über Kaan und Deuz, um alle Bau-, Eng- und Schwachstellen zu umgehen.
Kritik der IHK Siegen: Wirtschaftliche Leistung geht dem Siegerland verloren
IHK-Geschäftsführer Hans-Peter Langer spricht von einer „unglaublichen Bürokratie“, die sogar ein Vorabbefliegen von Streckenteilen mit Drohnen verlangt. „Helfen könnte ein digitalisiertes Genehmigungsverfahren. Aber davon sind wir weit entfernt.“
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Lustig ist das alles ganz und gar nicht. Schon jetzt findet viel Fertigung außerhalb der Region statt: „Diese wirtschaftliche Leistung geht dem Siegerland verloren“, warnt Dieter Kapp, geschäftsführender Gesellschafter bei Gräbener Maschinentechnik.
4. Am Ziel: Kürzeste Straßenentfernung 340 Kilometer
Am 6. Dezember ist die Fracht vom 26. November in Bad Laasphe angekommen, am 23. Dezember dann bei den Eisenwerken in Erndtebrück. Die kürzeste Entfernung auf der Straße beträgt 320 Kilometer. Mit dem Auto wäre sie laut Routenplaner in knapp vier Stunden zu schaffen.
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