Siegen. Mehr als 20 Straftaten gehen auf das Konto des Angeklagten. Auch die Mutter seiner kleinen Tochter hat er misshandelt. Jetzt steht er vor Gericht

Gut 20 Straftaten werden dem Angeklagten (29) vorgeworfen, sozusagen „einmal quer durch das StGB“, wie es Richterin Elfriede Dreisbach am Donnerstag, 28. November, im Siegener Landgericht formuliert: Er hat gestohlen und geraubt, Menschen bedroht und misshandelt, darunter auch seine eigene Lebensgefährtin, in Gegenwart der gemeinsamen kleinen Tochter.

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Dabei liebe er beide über alles, wolle ein guter Vater sein, düstere Erfahrungen der eigenen Kindheit ersparen, sagt eine Sozialarbeiterin. Das Verfahren läuft bereits seit Oktober. Zentraler Anklagepunkt ist der brutale Überfall auf eine 24-Jährige im März im Bereich Achenbacher Furt. Der Angeklagte nahm ihr die Handtasche weg, schlug sie brutal nieder, sie erlitt heftige Verletzungen im Gesicht und leidet nach wie vor unter der Tat.

Jobcenter-Mitarbeiter in Siegen körperlich angegangen

Immer wieder rastete der Mann bei seinen Taten völlig aus, etwa im November 2017, als er im Siegener Jobcenter für sich und seine Freundin die Kostenübernahme für einen Hotelaufenthalt verlangte. Diese werde Obdachlosen gewährt, die Leistungen bezögen, erklärt der zuständige Sachbearbeiter, der die Zuständigkeit an die Stadt Siegen übergab.

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Dorthin verwies der Zeuge damals die Freundin des Mannes, der kurz darauf auftauchte, „mich in mein Büro schob und die Tür schloss“. Mit der Hand auf dem Rücken habe ihm der Angeklagte gedroht, so der Sachbearbeiter, der eine Waffe vermutete. Er habe ihm ein altes Formular gegeben, dann sei er freundlich gegangen, habe ihm sogar noch die Hand gegeben. An verbale Drohungen erinnert sich der Mann nicht.

„Ich war sieben Jahre im Knast, ich fürchte mich vor nichts“

Ein anderer Mitarbeiter liest allerdings direkt im Anschluss aus einem am Tattag gefertigten Vermerk vor. Er war aus Sorge um den Kollegen in dessen Büro gekommen und hörte direkt ein „Ich mach Dich kalt!“. Er habe ähnliches gehört. „Ich war sieben Jahre im Knast, ich fürchte mich vor nichts“, habe der Angeklagte gesagt, der sich bei den Männern entschuldigt. Er habe nichts gegen sie persönlich gehabt und „viel Scheiß gebaut“ in seinem Leben.

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Das wird zum geflügelten Wort. Der Mann berichtet von ständigen Streitereien zwischen den Eltern, die sich schließlich trennten und ihn früh in schlechte Gesellschaft geraten ließen. Die ersten Straftaten gab es mit zehn, zeitweise lebte die Familie in der Erler-Siedlung: „Das war damals eine bunte Welt. Jungen meines Alters konnten sich nach Einbruch der Dunkelheit eigentlich nicht mehr auf der Straße sehen lassen.“ Das sei faszinierend gewesen, er habe sich mit älteren Russen und einem Marokkaner angefreundet: „Das waren Arschlöcher, aber die haben sich um mich gekümmert!“

Angst um die Geborgenheit bei den falschen Leuten

Die Sozialarbeiterin macht das als Problem aus. Der Angeklagte habe nach erfolgreicher Drogentherapie die Chance auf ein bürgerliches Leben gehabt und gewollt. Zugleich habe er Angst um diese Geborgenheit bei den falschen Leuten gehabt. Der Vater sei ein Alkoholiker und brutaler Schläger gewesen.

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Beim Gedanken an Freundin und Tochter bricht der Angeklagte in Tränen aus. Er habe ihr immer helfen wollen, sie habe Missbrauch und anderes erlebt, sagt er über die Frau, die er selbst immer wieder geschlagen hat: „Sie triggert immer gewisse Sachen bei mir.“

Dissoziale Persönlichkeitsstörung plus Drogenmissbrauch wirkt wie Schizophrenie

Psychiater Dr. Thomas Schlömer bescheinigt ihm eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, die zusammen mit vielfachem Drogenmissbrauch ähnlich einer Schizophrenie wirke. Der Angeklagte habe wenig Empathie, wenn er andere Menschen verletze oder bedrohe, was den Gefühlen für Freundin und Kind aber nicht widersprechen müsse. Die Krankheit führe zu einer heftigen Fragmentierung der Persönlichkeit, in Momenten des Zorns könne er nicht mehr an Positives denken: Dann gebe es nur noch Wut und Hass.

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Für die angeklagten Fälle sieht der Gutachter nur sechs, bei denen eine eingeschränkte Schuldfähigkeit in Betracht kommt. Dennoch hält er eine Unterbringung zum Zweck einer stationären Drogentherapie für geboten und auch durchaus erfolgversprechend. Ohne eine solche Behandlung seien weitere Straftaten unbedingt zu erwarten. Am Dienstag, 3. Dezember, soll plädiert werden.

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