Siegen. . Graue Anzüge, eine Mauer um Wittgenstein, ein Containerhafen in Müsen: Die Satirepartei will den etablierten Parteien den Spiegel vorhalten.
Es soll um den Kandidaten gehen, allein um den Kandidaten und nur um den Kandidaten. Der Kandidat hat seine Entourage dabei. Florian Kiel heißt der Mann, der in Siegen-Wittgenstein („Ich bin Siegen minus Wittgensteiner“) für die Partei Die PARTEI (Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative) antritt und der sicher ist, ab 25. September Mitglied des Bundestags zu sein.
Im grauen PARTEI-Anzug
Der Kandidat lädt an die neuen Ufer. Es gibt Dosenbier, die Damen und Herren tragen den grauen PARTEI-Anzug und rauchen Zigarren. Die schmecken grauenhaft: und so süßlich, dass sie Wespen anziehen, statt sie zu vertreiben.
Eine Mauer wollen sie um Wittgenstein bauen, sagt Kiel, Mauerbau sei ein Eckpfeiler der PARTEI – seit 2004 fordert sie, die Berliner Mauer wieder hochzuziehen. Man sehe sich in der Tradition der chinesischen Mauer, dem Limes, der Mauer von Westeros aus der Serie „Game of Thrones“ – und Donald Trumps: „Wir lassen die Witschis selber dafür blechen.“
Natürlich ist das alles Show. Die PARTEI ist eine Satirepartei, das würden ihre Mitglieder aber abstreiten. Ihren Slogan „JA zur Politik, NEIN zur Politik“ oder Forderungen wie eine Bierpreisbremse kann man albern und skandalös finden – oder witzig. Satire darf alles? Dann darf sie auch Politik.
Was soll es sonst in der Region sein? „Es gibt deutlich zu wenig Kneipen“, sagt Kiel. „Studenten gehen nicht mehr feiern, sondern lieber in Vorlesungen. Der einfache Mann verdient nicht genug, der Hartz-IV-Satz ist zu niedrig – wir brauchen eine Kneipenquote.“ Die Uni soll in „Erzquell-Universität“ umbenannt werden, einen Uwe-Boll-Campus in Burbach bekommen. Außerdem fordern sie einen Containerhafen in Müsen, mit Direktanschluss an die Nordsee. „Das schafft Arbeitsplätze“, sagt Kiel.
Wer nach dem ernsten Kern sucht: Verschulung des Studiums, Prüfungsdruck, prekäre Beschäftigung, Agenda-2010-Kritik.
Shisha-Verbot diskriminiert
Gegen das Shisha-Verbot an den neuen Ufern wollen sie klagen, weil das Shishas diskriminiert – Zigarren, Zigaretten können den Beton auch verunstalten, sagt Kiel und schnippt die Asche vom Glimmstängel. „Das zeigt, wie Realpolitik in die Satire abdriften kann. Lächerlich. Der Versuch, populistisch Stimmen einzufangen. Als ob wir keine anderen Probleme haben.“ Der Zeitaufwand für Polizei und Ordnungsamt: „Die hätten andere Aufgaben.“
Einer der wenigen Momente, bei denen es Kiel ernst zu sein scheint. Nicht einfach zu deuten, sein Blick hinter der Pilotenbrille.
Den etablierten Parteien den Spiegel vorhalten: Wesenskern der Partei. „Realpolitik als Satire zu entlarven ist einer unserer Grundpfeiler“, man wolle mit anderen Mitteln auf Missstände aufmerksam machen. Kiel freut sich diebisch, wenn Politiker allergisch reagieren. „Manche sind so weit weg von der Realität. Sie mögen es nicht, wenn man sie mit ihren Unzulänglichkeiten konfrontiert.“
Persönliches gibt Kiel kaum preis. Der gebürtige Kreuztaler ist Angestellter („Ich habe einen richtigen Beruf, im Gegensatz zu Kandidaten anderer Parteien“), gerade ist er 37 geworden (Gratulation!), wohnt in Siegen („Ich kenne die Sorgen und Nöte der Siegerländer“). Seine Lebensgefährtin hat ein Amt: First Lady. Eigentlich haben alle Ämter: Propagandaminister oder Beauftragter für irgendwas.
Stichwort Bundespolitik: „Ja zur Globalisierung, Nein zur Globalisierung“, antwortet Kiel – solange er selber profitiere, sei ihm alles recht. „Sollte ich gewählt werden, verspreche ich, mein Leben jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Darauf gebe ich mein Ehrenwort“, sagt Kiel und gibt sich kaum Mühe, das Grinsen zu unterdrücken.
Die Politik und ihre Ehrenworte.
Mundwinkel zucken
Der Wunsch, in die Politik zu gehen, bestehe schon lange: Um Einkommen und Macht zu maximieren, „fürs Nichtstun 9000 Euro Abgeordnetengehalt beziehen“, sagt er, die Mundwinkel zucken wieder. Die ersten 9000 Euro habe er in sicherer Erwartung des Direktmandats ausgegeben: Für graue Anzüge und Zigarren. Im Amt möchte er jeden Tag zwischen Berlin und Siegen pendeln, um so viel Steuergeld wie möglich zu verprassen. Die Zigarren schmecken wirklich furchtbar. Ein Polizist und ein Ordnungsamtsmitarbeiter schlendern die neuen Ufer entlang.
Die Mechanismen der Politik, wie Entscheidungen zustande kommen, wie Politiker ihre Erfolge oder Misserfolge verkaufen, haben sie ziemlich gut analysiert. „Mindestens doppelt so viel soziale Gerechtigkeit wie die SPD“ fordert die PARTEI, „vor allem für mich“, fordert Florian Kiel. Er hat gelesen, dass FDP-Chef Christian Lindner – „Vorbild in Sachen Selbstdarstellung“ – den Personenwahlkampf anderer Parteien kritisiert habe. Das amüsiert ihn. Ausgiebig. Im Grunde sind sie doch brave Demokraten. Sie wollen halt ein bisschen Spaß dabei haben.
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