Netphen. . Am Tag nach den Festnahmen im Siegerland herrscht Fassungslosigkeit in der Nachbarschaft. Die Terrorverdächtigen waren vorher nicht negativ aufgefallen, auch wenn ein Mann von Observationen der Polizei erzählt. Ein Verwandter nimmt die festgenommenen Männer in Schutz. Es seien “normale Männer“.

Die hellen Spitzengardinen sind zugezogen. Eine pinkfarbene Orchidee blüht auf der Fensterbank, daneben steht ein dürres Drachenbäumchen. Wie auf so vielen Fensterbrettern in dieser Straße. Kleinwagen mit Kindersitzen parken vor den Mehrfamilienhäusern, hier im Schatten des Bombardier-Werks. Die Wohnungsbaugenossenschaft Netphen ließ die Häuser vor einigen Jahren sanieren, bunt streichen. Die Umgebung wirkt weiter trist. In einer der Wohnungen lebt seit vielen Jahren die Familie B. O.

Vier Söhne von zehn Kindern

Vier Söhne der zehn Kinder sind am Mittwoch nach einer Razzia in den frühen Morgenstunden festgenommen worden. Kais B. O. (31), er lebt in Köln, wurde einem Haftrichter des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe vorgeführt. Auf die Initiative des 31-Jährigen sollen mindestens drei Männer aus Deutschland für den terroristischen Dschihad nach Syrien geschleust worden sein.

Drei Brüder verdächtigt die ermittelnde Staatsanwaltschaft Köln, in Schulen und Kirchen in Siegen und Köln eingebrochen zu sein. Die Staatsanwaltschaft prüft zudem, ob so Geld für den IS-Terror beschafft werden sollte. Laut Generalbundesanwalt und Staatsanwaltschaft Köln war die Razzia ein großer Schlag gegen ein „dschihadistischen Unterstützernetzwerk“ mit salafistischem Hintergrund. Und das zwischen Spitzengardinen und Orchideen.

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Nein, von einer Razzia habe sie nichts mitbekommen, sagt eine Nachbarin. Als das Wort „Terror“ fällt, zuckt sie erschreckt zusammen. „Normale Männer“, wiederholt sie. „In Jeans. Modisch gekleidet.“ Freundlich, man grüßt sich, wenn man sich auf der Straße trifft. Einmal klingelte es nachts noch, erzählt sie, draußen einer der Brüder: Sie habe ihren Kofferraum nicht zugemacht, im Auto lag noch Gepäck. Sie kann es kaum glauben, dass ihre Nachbarn verdächtigt werden, Raubzüge begangen zu haben. Von der Unterstützung eines dschihadistischen Terrornetzwerks ganz zu schweigen.

„Alle abschieben“

„Das sind normale Männer“, sagt ein enger Verwandter der Familie B. O. „Kein bisschen böse. Sonst müsste ich ja auch Angst haben.“ Auf die Berichte in der Presse reagiert er jedoch ungehalten. Die Namen! Die Fotos vom Haus! Müsse das denn sein? Die Eltern der vier Festgenommenen seien schon alt. „Sie haben Angst, vor der Rache der Jesiden, der Kurden.“ Jeder wisse doch jetzt Bescheid.

Zwei Männer in dunklen Anoraks stehen an der Bushalte und reden über die Razzia. Zwischen zwei Zigarettenzügen sagt einer mit kehliger Stimme: „Alle abschieben.“ Der andere nickt. Die Brüder B. O., zwischen 22 und 35 Jahren, haben alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Der Vater stammt aus Tunesien, die Mutter ist Kroatin.

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Die Ermittler geben an, die Brüder und weitere Männer aus dem Siegerland schon seit 2013 zu beobachten, das bestätigt auch ein Mann, der in der Nähe arbeitet. „Aus dem Haus hat die Polizei doch schon vor ein paar Jahren Computer rausgetragen“, erzählt er. Dort sei immer was los. Auch Polizisten in Zivil hätten dort schon observiert.

Und bevor der Bus kommt ,zieht eine Frau noch schnell ein Buch aus der Jutetasche. „Das Ende der Sicherheit – Warum die Polizei uns nicht mehr schützen kann“, steht auf dem roten Umschlag aus dem Kopp-Verlag. „Wie passend, oder?“, sagt sie, ohne eine Frage stellen zu wollen.

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