Meschede. Der Täter (29) muss lange ins Gefängnis - aber der Prozess um den Toten im Maisfeld bei Meschede endet als Justizkrimi und einer Überraschung.

Im Fall des Toten im Maisfeld von Schüren gibt es ein Urteil: Das Landgericht Arnsberg sieht einen 29 Jahre alten Mann als Haupttäter an. Es ist ein Justizkrimi. Denn im Urteil am Donnerstag gibt es eine Überraschung: Das Gericht geht in seinen Schlussfolgerungen über die Bluttat viel weiter als die Staatsanwaltschaft.

Urteil: Siebeneinhalb Jahre Haft

Das Opfer war ein 45-jähriger Ukrainer, einer der Hausbewohner in einer Unterkunft osteuropäischer Bauarbeiter in Meschede-Voßwinkel. Am 24. August 2019 kam es abends unter ihnen zu einer letztlich tödlichen Auseinandersetzung. Die Leiche des Ukrainers wurde von den Tätern in einem Maisfeld bei Schüren versteckt und nur zufällig am 1. September entdeckt.

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Haupttäter ist nach Überzeugung der Richter der Vierten Großen Strafkammer einer der Mitbewohner, ein 29 Jahre alter Pole. Wegen Totschlags muss er für siebeneinhalb Jahre ins Gefängnis. Vorsitzender Richter Petja Pagel machte klar, dass es an seiner Schuld für das Schwurgericht keinerlei Zweifel gebe. Demnach hat der 29-Jährige auf sein Opfer mit einem Axtstiel eingeschlagen – das löste die tödlichen Verletzungen aus.

Allerdings ist das Gericht auch von einer ganz neuen Variante überzeugt: Demnach war ein Mann, gegen ihn bislang noch gar nicht ermittelt wurde, ein Mittäter.

Der Tatort in Meschede-Voßwinkel: Sie diente osteuropäischen Bauarbeitern als Unterkunft.  
Der Tatort in Meschede-Voßwinkel: Sie diente osteuropäischen Bauarbeitern als Unterkunft.   © Jürgen Kortmann

Das Gericht sprach in seinem Urteil von einem „gemeinsamen Tatplan“: Denn dieser Mittäter habe ebenfalls mit dem Stiel auf den Ukrainer eingeschlagen. Bei dem Mann handelt es sich um einen 45 Jahre alten Polen, der so etwas wie der Chef in der Unterkunft war. Welcher der Schläge von ihnen letztlich der tödliche war, ist nicht zu klären. Das Opfer erlitt 13 Knochenbrüche am Kopf. Der 45-Jährige war in dem Prozess auch als Zeuge gehört worden, wies aber jede Verwicklung von sich. Inzwischen ist er in Polen verschollen.

„Sagenhafte Gefühlskälte“

Ob gegen den 45-Jährigen nun auch ermittelt wird, wollte Staatsanwalt Klaus Neulken nach Ende dieses Verfahrens noch nicht kommentieren. Das würde einen weiteren Prozess bedeuten. Über den zweiten Mann sagt Richter Pagel: „Er muss offenbar doch eine wesentliche Rolle gespielt haben.“ Damit steht er im Gegensatz zum Staatsanwalt: Neulken erklärte in seinem Plädoyer, „der Mann hatte mit dieser Auseinandersetzung rein gar nichts zu tun“. Neulken sagte über den Angeklagten, er habe den Ukrainer „mit sagenhafter Gefühlskälte und Rohheit erschlagen“. Er forderte eine Haftstrafe von sieben Jahren und elf Monaten.

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In seinem Urteil stützt sich das Gericht auf die Aussagen des Hauptbelastungszeugen: Das ist ein 39-jähriger Pole, ebenfalls ein Hausbewohner. „Letztlich hat die Kammer an den Angaben des Belastungszeugen keine Zweifel“, so Richter Pagel. Dieser 39-Jährige (inzwischen wegen Delikten dort in Polen in Haft) war in dem ersten Prozess angeklagt, mangels Beweisen wurde er aber freigesprochen.

Warum es zu dem Streit kam, ist ungeklärt. Der Ukrainer soll angeblich den 39-Jährigen beleidigt haben, daraus entwickelte sich eine Prügelei. Der 39-Jährige will einen Schlag vom Ukrainer erhalten haben, der ihn bewusstlos machte. Als er aufwachte, habe er gesehen, wie der 29-Jährige mit dem Axtstiel auf den Ukrainer einschlug. Dann habe der Jüngere den Haus-Chef geholt, der dann auch zuschlug. „Leg dich nicht mit den Polen an“, soll im Zuge der Auseinandersetzung gesagt worden sein.

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Der 29-Jährige bestritt, überhaupt an der Schlägerei beteiligt gewesen zu sen. Verteidiger Otto Entrup (Meschede) sagte: „Wir haben keinerlei objektivierbare Spuren gefunden, die auf den Angeklagten hindeuten.“ Die einzigen, forensisch sicheren Spuren im ganzen Fall sind Blutspuren an einem Vorschlaghammer – sie enthalten Blut und DNA des Toten und des 39-Jährigen. Im ersten Prozess war dies für die Staatsanwaltschaft auch die Tatwaffe.

Die Tatwaffe jetzt - ein Axtstiel, der verschwunden ist

Jetzt im zweiten Prozess glaubte sie dem Belastungszeugen, wonach der Angeklagte mit dem Axtstiel die tödlichen Schläge versetzte. Aber dieser Axtstiel soll danach verbrannt worden sein. Dazu gibt es überhaupt keine Spuren, nur die vage Aussage des 39-Jährigen, der Details dazu nicht beantworten konnte: Was war das für ein Stiel? Wie hat man ihn verbrannt? Axtstiele seien imprägniert, „die kann man nicht mit einem Streichholz oder Feuerzeug anzünden“, so Entrup. Überhaupt habe der Belastungszeuge, so Entrup, erstaunlich wenige Details geschildert – was nicht zu seiner Glaubwürdigkeit beitrage, meinte der Anwalt. Entrup kündigte noch am Donnerstag an, in Revision gegen das Urteil zu gehen.

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Die Richter glauben an den Axtstiel als Tatwaffe. Den Hammer hatte die Polizei sofort bei der Durchsuchung in einem Abstellraum gefunden: Es sei doch „unplausibel“, so Richter Pagel, dass der Vorschlaghammer von dem 39-Jährigen so offen platziert worden wäre, wenn er damit zugeschlagen hätte. Weitere Indizien, die gegen den Angeklagten sprechen: So hatte er unter anderem behauptet, der 39-Jährige und der 45-Jährige hätten ihn dazu gezwungen, ihnen dabei zu helfen, die Leiche nach Schüren zu bringen – aber warum, so die Richter, hätten sich die beiden damit einen Mitwisser an Bord holen sollen? Das Gericht folgte hier der Argumentation von Staatsanwalt Neulken.

Der Haus-Chef plauderte womöglich

Allerdings nahmen die Richter, anders als Neulken, nicht einmal eine verminderte Schuldfähigkeit an: Neulken hatte angenommen, alle Beteiligten an dem Streit seien hochgradig betrunken gewesen – so wurden an der Leiche noch 2,2 Promille gemessen. Die Richter sahen das anders. Der Angeklagte habe selber gesagt, er habe kaum etwas getrunken.

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In die Strafe fließt eine Mitverurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung ein. Denn kurz vor der Hausdurchsuchung durch die Polizei hatte der 29-Jährige auch den Haus-Chef noch mit Faustschlägen verletzt. Die räumte er auch im Prozess ein – seiner Aussage nach jedoch, weil dieser angeblich die Freundin des jungen Mannes bedrohte, falls er der Polizei etwas verrate. Tatsächlich aber glaubt das Gericht eher eine andere Variante: Der Haus-Chef soll leichtsinnigerweise anderen Bauarbeitern erzählt haben, was in seinem Haus wirklich vorgefallen sei.