Meschede. Das sagen Behindertenvertreter und Gewerkschaft zum Tritt des Polizisten in Meschede.
„Polizeigewalt sieht anders aus“, davon ist Michael Frahling, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im HSK, überzeugt. „Da habe ich ganz andere Bilder im Kopf.“ Doch den letzten Tritt, den müsse der Kollege erklären.
Das Video, das einen Polizeibeamten in Meschede zeigt, der mehrmals so gegen das Fahrrad einer stadtbekannten Obdachlosen tritt, dass diese letztlich umfällt und auf dem Boden unter ihrem Rad vorerst liegen bleibt, beschäftigt Polizei und Bürger. Auch das Polizeipräsidium Dortmund ist mittlerweile eingeschaltet. Es hat die Ermittlungen aufgenommen. Im Anschluss ist die Staatsanwaltschaft Arnsberg zuständig. „Über mögliche Konsequenzen für den Kollegen wird jedoch letztlich die Justiz entscheiden“, so Frahling.
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Beamter im Innendienst
Doch intern sind bereits die ersten Entscheidungen getroffen. „Der Beamte ist bereits in den Innendienst versetzt“, erklärt Holger Glaremin, Pressesprecher der Polizei. Ein Disziplinarverfahren sei eingeleitet. Konsequenzen, die für den Beamten heftiger sein können, als ein Strafverfahren, weiß Frahling. Er will den Kollegen nicht in Schutz nehme, sagt aber auch: „Die Frau wird uns häufig als ,hilflose Person’ gemeldet.“ Vor Ort könnten die Kollegen dann meist wenig ausrichten. „Sie lässt sich nicht anfassen.“ Doch auch er gibt zu: „Das Video sieht nicht glücklich aus, dabei kommen wir als Polizei nicht gut weg.“
Frage nach dem letzten Tritt
Sven Brandes ist Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei im HSK. Er äußert sich nur vorsichtig, da er den kompletten Sachverhalt noch nicht kennt. Doch auch er gibt zu: „Das Video sieht unglücklich aus.“ Die Frau ist stadtbekannt. Immer wieder hätten Kollegen mit ihr zu tun, weil sie als hilfsbedürftige Person gemeldet werde, wenn sie stehend am Fahrrad schlafe. „Anfassen dürfen wir sie dann aber nicht, sie kratzt, beißt und schlägt um sich.“ Ein Polizist, der sich dann wehren würde, käme wahrscheinlich in der Öffentlichkeit auch nicht gut an. „Warum der Kollege sich in dieser Situation für Tritte gegen das Rad entschieden hat, muss er selbst beantworten.“
Polizei kritisiert üble Beschimpfungen und Vergleich mit den „Dritten Reich“
Am Donnerstagnachmitag nahm auch die Polizei noch einmal offiziell Stellung zu den Reaktionen im Netz. Auf allen Plattformen habe man ein vielfaches Echo auf das Video bekommen. Dabei werde das Verhalten des Beamten kritisiert. Ein rechtsstaatliches Verfahren sei eingeleitet, dafür müsse auch der Beamte Gelegenheit bekommen, sich zu äußern. Man bedauere den unprofessionell wirkenden Einsatz, der auch das Vertrauen in die Polizei beeinträchtig habe.
„Was wir nicht akzeptieren können“heißt es weiter, „sind die zum Teil üblen Drohungen und persönlichen Beleidigungen zum Nachteil des Polizeibeamten - auch gegenüber seiner Familie und der Polizei im HSK.“ Vergleiche mit dem „Dritten Reich“ seien vollkommen unangemessen und könnten rechtliche Konsequenzen haben. „Wenn Fehler passieren, muss alles dafür getan werden, dass diese aufgearbeitet werden und möglichst nicht mehr vorkommen.“ Dafür wolle man das Erforderliche tun.
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Behindertenbeauftragter zur Würde des Menschen
Bereits zuvor zu Wort gemeldet hatte sich der Behindertenbeauftragte des HSK, Heinz Arenhövel, der die Frau - wie viele Mescheder - aus dem Stadtbild kennt. Er sei „bestürzt“, weil er nicht damit gerechnet hat, „dass sowas auch in Meschede passiert.“ Er sieht die Würde der Frau verletzt. „Der Polizist hätte sich spätestens um sie kümmern müssen, als sie gefallen war.“ Doch auch dann, so zeigt es das Video, geht der Mann nur um die am Boden liegende Frau herum. Unverständlich ist Arenhövel auch, dass der Beamte überhaupt einschritt. „Sie stand auf dem Bürgersteig und hat niemanden behindert.“
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Dass sie so zusammengesunken über ihrem Fahrrad kauert, ist in der Stadt bekannt. Seit Jahren taucht sie immer wieder in Meschede auf. Auch unsere Zeitung hatte schon über sie berichtet. „Wenn der Polizist sie wecken wollte, um ein Lebenszeichen zu bekommen, hätte er das auch anders machen können“, sagt Arenhövel. Laut Informationen unsere Zeitung hat es in den vergangenen Jahren immer wieder über verschiedene Stellen Hilfsangebote für die Frau gegeben. „Alkohol, wie zum Teil vermutet wurde, ist nicht ihr Problem“, weiß auch Frahling. „Die Frau hat ein massives psychisches Problem.“ Nähe lässt sie nicht zu. Arenhövel ist es wichtig, zu betonen, dass jeder Mensch eine Würde hat und es ihm freigestellt sein müsse, so zu leben, wie er wolle.
Obdachlose mit Kameras verfolgt
Nach der ersten Berichterstattung hatten am Donnerstag offenbar auswärtige Reporter-Teams die Frau verfolgt und versucht, sie vor die Kamera zu zerren. Zeugen berichten: „Man konnte im Vorbeifahren die Not der Frau erkennen, als man ihr in dem Gedränge die Mikros vors Gesicht gehalten hat.“
Soester Beamte sammeln Geld
In Abgrenzung zu dem Mescheder Vorfall kursiert in den Sozialen Medien auch eine Presseinformation der Polizei aus dem Kreis Soest von Ende Oktober. Da hatten Beamte ebenfalls Kontakt zu der Obdachlosen, die regelmäßig über die Kreisgrenze fährt. Damals war die 54-Jährige mit gerissener Kette gestrandet. Die Beamten im Kreis Soest hatte daraufhin, Geld gesammelt und der Frau einen Gutschein zukommen lassen, damit ihr Fahrrad wieder fahrtüchtig wurde.