Menden. Zehn Jahre Stadtwerke-Chef: Am Monatsende wechselt Bernd Reichelt in den hohen Norden. Ein Rückblick auf bewegte Zeiten in Menden.

Ein Mal, ein einziges Mal hat Bernd Reichelt in Menden tatsächlich Anzug, Schlips und Krawatte getragen. „Das war im Frühjahr 2013, bei seiner allerersten Vorstellung“, lacht der Aufsichtsratsvorsitzende Sebastian Schmidt. Schon damals habe Reichelt seine künftigen Chefs überzeugt, „menschlich, vom Knowhow her und mit seinen Ideen für die Zukunft.“ Danach lernten nicht nur die Aufsichtsrats-Mitglieder der Stadtwerke Menden, sondern die gesamte Bevölkerung den Neuen beim heimischen Energieversorger als betont locker gekleideten passionierten Radfahrer kennen. Mit Ablauf dieses Monats wechselt Reichelt nach zehn Jahren zu den kommunalen Stadtwerken SH nach Schleswig-Holstein.

Lockerheit als Programm: „Mein Kleiderschrank ist extrem überschaubar“

„Also, mein Kleiderschrank ist wirklich extrem überschaubar“, gibt Reichelt schmunzelnd zu. Meist T-Shirt und Jeans, mal ein Rollkragenpulli, ganz gelegentlich ein Blazer, auf jeden Fall stets der Fahrradhelm: Das reicht ihm, auch bei offiziellen Anlässen. „Das ist mein Selbstverständnis, aber das ist zum Glück auch ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur hier geworden: Sei, wie du bist.“

Kommunikation, Mobilität, Energiewende: Bei den Stadtwerken vieles angeschoben

In seinen zehn Jahren hat Bernd Reichelt die Stadtwerke Menden mindestens so stark geprägt wie seine Vorgänger Helmut Heidenbluth und Ott-Heinrich Plote, die als starke Persönlichkeiten noch Einzelkämpfer an der Spitze waren. „Und ich habe auch 2013 schon ein starkes Unternehmen übernommen“, betont Reichelt, der beileibe nicht nur die neue Kleiderordnung mitbrachte. Unter seiner Aegide entstanden die Geschäftsbereiche Kommunikation und Mobilität, viele Projekte zu Zukunftsideen, und die Stadtwerke bewältigen die aufwändige Umstellung Mendens von L- auf H-Gas. Zuletzt erhielt auch die Energiewende hier ein eigenes Team (die WP berichtete).

Geschäftsleitung erweitert – und Kulturwandel im Unternehmen eingeleitet

Die Tops und Flops aus Reichelts Sicht

Wer Bernd Reichelt fragt, auf welche seiner Leistungen in Menden er besonders stolz ist, erntet grundsätzlich immer den Verweis auf die Mannschaft. Erst auf Nachfrage bestätigt er, dass ihn persönlich die erfolgte Gründung der Mendener Digitalgesellschaft „Mendigital“ um Geschäftsführer Robin Eisbach und der Standort Südwall besonders gefreut hätten. Mendigital ist ein ungewöhnliches Digital-Joint-Venture, das Stadt und Stadtwerke je zur Hälfte gehört.

Als das größte Manko seiner Amtszeit sieht Reichelt heute an, dass es nicht gelungen sei, im Stadtgebiet eine eigene Energieerzeugung in größerem Maßstab zu etablieren. Das Scheitern der Windkraft in Ostsümmern sei eine Niederlage gewesen. Allerdings gebe es neue Pläne mit Photovoltaik.

Bernd Reichelt erweiterte die Geschäftsleitung, weil sie für den Teamplayer mehr sein sollte als eine Ein-Mann-Show. Mit seinem heutigen Nachfolger Matthias Lürbke als Netz-Chef, mit Alexander Nickel als Marketingleiter und Wolfgang Mewes als Finanzmanager bildete er lange die Chefetage, bis Mewes in den Ruhestand ging und aus dem eigenen Haus durch Vera Alwart ersetzt wurde. In der Belegschaft des Mendener Versorgers förderte der gläubige Christ ein wertschätzendes Miteinander: Reichelt schaffte mit den heute rund 150 Beschäftigten auch nach Einschätzung seiner Mitstreiter einen Kulturwandel – hin zu mehr Verantwortung für jeden einzelnen. „Vertrauen und Transparenz statt Misstrauen und Kontrolle“, das ist sein Programm. Was sich auch daran zeigt, dass in Menden heute unterhalb der Chefetage ganze 22 Teamleitungen etabliert sind, die ihre Arbeit und ihre Belange selbstständig vertreten, auch gegenüber der Öffentlichkeit.

Guter Ruf als Pioniere: Stadtwerke Menden weit geöffnet für Unis und Verbände

Dass Bernd Reichelt die Stadtwerke Menden „auch nach außen weit geöffnet hat“, bescheinigt ihm Alexander Nickel im WP-Gespräch. Ob es andere Stadtwerke sind, Verbände oder Hochschulen: „Wir stehen heute im regen Austausch und gelten auch durchaus als Pioniere“, sagt Nickel. „2015 haben wir hier das erste Car-Sharing-Auto an die Stromtankstelle gestellt, da hatten andere das noch lange nicht.“ Zudem habe Reichelt darauf geachtet, dass die Gewinne im Unternehmen blieben.

Vertragsverlängerung in Menden aus 2019 kommt nicht mehr zum Tragen

Ernste Miene: Den Mendener Stadtrat klärte Reichelt nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs zwei Mal über die Energielage in der Hönnestadt auf - coronabedingt via Teams. 
Ernste Miene: Den Mendener Stadtrat klärte Reichelt nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs zwei Mal über die Energielage in der Hönnestadt auf - coronabedingt via Teams.  © WP | Thomas Hagemann

Der gelungene Umbau zeigte Wirkung – auch im Aufsichtsrat der 100-prozentigen Stadt-Tochter: Im Jahr 2019 wurde Reichelts Vertrag in Menden vorzeitig um fünf Jahre bis 2028 verlängert. Doch was angesichts seiner damals 53 Lenze als Lebensentscheidung gedacht war, endet jetzt doch vorzeitig mit dem Ablauf dieses Monats: Im Mai wechselt Reichelt auf eigenen Wunsch zu den Stadtwerken Schleswig-Holstein. Zu sehr hat es ihn gejuckt, doch noch einmal etwas Neues zu wagen: „Die Konstellation dort ist einmalig in Deutschland“, bittet er in Menden um Verständnis. Die Stadtwerke SH bestehen erst seit 2019 als Zusammenschluss der Stadtwerke Rendsburg, Eckernförde und Schleswig – und zählen rund 500 Beschäftigte.

Von Lions bis Karneval: Tief in die Mendener Stadtgesellschaft eingetaucht

Für jeden Spaß zu haben: Bernd Reichelt (Zweiter von links) auf der  Einweihung des Museums auf Gut Rödinghausen in Anzug und Frack der Revolutions- und Empiremode.
Für jeden Spaß zu haben: Bernd Reichelt (Zweiter von links) auf der Einweihung des Museums auf Gut Rödinghausen in Anzug und Frack der Revolutions- und Empiremode. © WP | Lena Kley

Ob es ihm im hohen Norden nochmals gelingen wird, so tief ins gesellschaftliche Leben der Region einzutauchen wie in Menden, muss sich zeigen. In Menden brachte Reichelt das Kunststück fertig, als Heimschläfer aus Paderborn tief in die Stadtgesellschaft seines Arbeitsortes einzutauchen. Er ist aktiv im Initiativkreis Mendener Wirtschaft, als Mitglied im Lions-Club, Mitbegründer des Krankenhaus-Fördervereins und Chorsänger im Karneval.

Zum Abschied ein großes Lob für die Hönnestadt

„Der hohe Organisationsgrad der Mendener“, sagt er zum Abschied, „ist ein Riesenpfund, mit dem die Stadt wuchern kann. Ich werde Menden und die Menschen hier wirklich sehr vermissen.“