Menden. Der Überfall auf einen Mendener an der Galbreite-Unterführung wirft Fragen über Freundschaft, Diebstahl und falsch verstandene Liebe auf.
Es ist der erste von zwei Verhandlungstagen gegen zwei junge Brüder am Mendener Amtsgericht – und der fördert in einem Überfall an der Galbreite Erstaunliches zutage. Am Ende entkommt eine Zeugin nur knapp einer Falschaussage und ein Angeklagter legt ein überraschendes Geständnis ab.
Der traumatische Überfall im Dezember 2021
Es ist kurz vor Silvester 2021: An der Galbreite-Unterführung lauern laut Polizei zwei Männer einem damals 19-Jährigen auf, prügeln mit einem Baseballschläger auf ihn ein und treten das Opfer, als es schon auf dem Boden liegt. Anschließend sollen die beiden Täter ihrem Kontrahenten das Handy, die EC-Karte und den Führerschein abgenommen haben. Und obwohl der Überfall inzwischen etwas mehr als ein Jahr zurückliegt, mache dem heute 20-jährigen Opfer das Erlebte noch immer zu schaffen. „Das war schon hinterhältig“, so das Opfer vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Menden.
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Alles habe mit einem Anruf begonnen. Einer der beiden Angeklagten, mit dem er zum Tatzeitpunkt noch befreundet war, habe ihn zur Galbreite bestellt. „Dann ging’s Schlag auf Schlag und ich hab’ was mit dem Baseballschläger abbekommen“, erinnert sich der 20-Jährige. Im Laufe der Attacke sei er wohl auch bewusstlos geworden, „und bin plötzlich zwei, drei Meter weiter wieder zu mir gekommen. Eigentlich möchte ich mich ungern zurückerinnern“, sagt der junge Mann. Doch für Richter Martin Jung reicht das nicht. Er will dem Überfall auf den Grund gehen – und dazu gehöre nun mal auch eine detaillierte Aussage.
Der jüngere der beiden angeklagten Brüder – heute 19 Jahre alt – habe in der Unterführung bereits auf das Opfer gewartet. Worüber zunächst gesprochen wurde, daran könne sich das Opfer, das auch als Nebenkläger auftritt, nicht mehr erinnern. Für Richter Jung zu schwammig: „Damit komme ich hier nicht klar. Dazu war das alles zu außergewöhnlich.“ Vor dem Hintergrund, dass sich Täter und Opfer kannten, sei es für Jung unverständlich, „dass man aus heiterem Himmel zusammengeschlagen“ wird. Streitgrund soll laut Richter ein Handy gewesen sein. Das, so heißt es, habe das Opfer dem älteren der beiden Brüder (21) vor dem Überfall gestohlen. „Natürlich hab’ ich kein Handy geklaut“, betont das Opfer auf Nachfrage.
Richter Jung bohrt nach. Denn bei der Polizei habe das Opfer noch herumgedruckst „und auf gezielte Fragen keine Angaben gemacht“. Gerade vor dem Hintergrund einer psychologischen Betreuung nach dem Überfall sei es für Martin Jung normal, „dass man die Gründe aufarbeitet“ oder mit seinen Eltern spricht. Der behandelnde Arzt hat dem Opfer eine posttraumatische Belastungsstörung attestiert. „Den Tatablauf kann ich nachvollziehen. Aber was dahintersteckt, krieg’ ich nicht zusammen“, betont Jung. Ob der Angriff auch mit Drogengeschäften zu tun haben könnte, will der Richter wissen. Am Tag vor dem Überfall habe er Kokain genommen, gibt das Opfer auf Nachfrage zu. Doch an der Galbreite hätten Drogen keine Rolle gespielt.
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Nach einem Zwischenruf aus den Zuschauerreihen zitiert Richter Martin Jung dann auch den Vater des Opfers in den Zeugenstand. „Seit der Tat ist er ein komplett anderer Junge“, erklärt der Vater. Sein Sohn habe unheimliche Angst vor den beiden Angeklagten – und zudem Angst, dass es Übergriffe auf seine Familie geben könnte. „Wie es in ihm aussieht, kann ich aber nicht sagen. Wir sprechen nicht über die Tat“, so der Vater weiter.
Freundschaftsdienste und eine Escort-Dame
Die übrigen Zeugen fördern später Erstaunliches zutage. Ein Bekannter des mutmaßlichen Täters habe den Angriff beobachtet und die Schreie im Rahmen der Auseinandersetzung gehört. „Ich wusste, dass es ein Problem zwischen den beiden gab“, gibt der Zeuge zu. Doch worum es genau ging, das habe er nicht gewusst. Nachdem der Zeuge versucht habe, die Auseinandersetzung zu beenden, sei er mit dem Täter dann davongefahren. Über einen Besuch in einem Fast-Food-Restaurant sei man dann schließlich in einem Hotel in Iserlohn gelandet. Allerdings habe sich der junge Mann dort nicht sonderlich wohl gefühlt; wohl auch weil ihn sein schlechtes Gewissen plagte. Erst einige Tage nach der Tat – aus Angst, er könne als Mittäter gesehen werden – macht der junge Mann seine Aussage bei der Polizei. Im Zuge der Befragung wird dann auch deutlich, dass der Mendener früher schon für den 21-jährigen mutmaßlichen Täter gearbeitet haben soll. Vornehmlich soll es dabei um Fahrdienste gegangen sein. „Das ist ein bisschen schwierig“, sagt der Zeuge. Der Richter bohrt abermals nach. Dann wird klar: Im Auftrag des älteren Bruders hat der Zeuge demnach eine Escort-Dame über mehrere Wochen zu Kunden gefahren und wieder abgeholt. Da der 21-jährige Angeklagte dem Vernehmen nach mit „kriminellen Leuten“ zu tun hatte, „hatte ich in der Zeit danach einfach Angst“. Vor der Verhandlung sei er allerdings nicht eingeschüchtert worden.
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Ein weiterer Bekannter des Opfers, der am Tatabend mit ihm unterwegs war, hat den Vorfall ebenfalls nur aus der Ferne mitbekommen. „Warum er zur Galbreite wollte, hat er nicht gesagt“, erinnert sich der Zeuge. Es sei lediglich darum gegangen, dort eine Zigarettenpause einzulegen. Dass sich sein Kumpel dort mit den beiden Angeklagten treffen wollte, sei nicht klar gewesen. „Ich bin zur Hilfe gekommen, als ich Schreie gehört habe“, so der Zeuge.
Spätes Geständnis eines Angeklagten
Etwas langwierig gestaltet sich die letzte Befragung des Verhandlungstages. Die Ex-Freundin des 21-jährigen Angeklagten ist geladen – sie war am 28. Dezember 2021 ebenfalls am Tatort. Allerdings rein zufällig, wie sie selbst sagt. An dem Abend habe sie auf eine Freundin gewartet, die bei Trinkgut einkaufen wollte. Als die 23-Jährige gegen 21.40 Uhr Schreie aus der Unterführung hörte, sei sie zwar kurz in die Richtung gegangen – habe es sich aber wieder anders überlegt und umgedreht. Außer dem Geschrei habe sie nicht viel mitbekommen von dem Überfall. „Ihr guter Bekannter ist ein paar Meter von Ihnen entfernt. Und Sie haben ihn nicht einmal gesehen? Das ist aber ein komischer Zufall“, wirft Richter Martin Jung ein. Erst nach der Tat habe die Hemeranerin ihren Ex-Freund in einem Fast-Food-Restaurant wiedergetroffen. „Ich habe nichts mitbekommen“, gibt die junge Frau zu Protokoll. Auf weitere Nachfragen reagiert die 23-Jährige ausweichend. Und genau das bringt Richter und Staatsanwaltschaft dann auch sprichwörtlich auf die Palme. „Der Laden war seit 20 Uhr geschlossen. Ich gebe Ihnen hier die letzte Chance, die Wahrheit zu sagen, ansonsten sehe ich mich gezwungen, gegen Sie ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage einzuleiten“, betont die Staatsanwältin. Und auch Richter Jung kauft der Hemeranerin ihre Geschichte nicht ab. In einer Pause werden Prozessbeobachter dann auf eine Diskussion zwischen der 23-Jährigen und einem der Angeklagten vor dem Amtsgericht aufmerksam. Der Verdacht: eine Absprache zwischen den beiden. Im Gerichtssaal hakt Martin Jung abermals nach. Und plötzlich scheint das auch bei der Zeugin angekommen zu sein. Sie soll am zweiten Prozesstag nochmals aussagen.
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Derweil legt der Hauptangeklagte – der ältere der beiden Brüder – im Anschluss ein Geständnis ab. Wohl auch, um seine einstige Freundin zu schützen und vor weiteren Repressalien zu bewahren. Er habe den Mendener attackiert, weil dieser ihm Wochen vor dem Überfall das Handy gestohlen haben soll. Dass die Situation derart eskaliert und das Opfer später mit mehreren Stichen am Kopf genäht werden musste – das habe ihn selbst auch erschüttert. „Ich hatte da einen Tunnelblickt“, gibt der 21-Jährige zu.
Im Rahmen des nächsten Verhandlungstages sollen das Geständnis des mutmaßlichen Täters und die Aussage der Ex-Freundin weiter beleuchtet werden.