Fröndenberg. In Zeiten der Angst um die eigene Existenz hilft ein offenes Ohr: die Notfallseelsorge. Was nach der Katastrophe jetzt für Betroffene wichtig ist

Durch die Starkregenereignisse der vergangenen Wochen stehen auch in Fröndenberg zahlreiche Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. Die plötzliche Überflutung durch die Wassermassen hat bei einigen ein Trauma hinterlassen, das sie selbst teilweise noch nicht begreifen können. Und genau hier hilft die Notfallseelsorge. Worauf es in Zeiten der Krise ankommt, erklärt Pfarrer Willi Wohlfeil.

Existenz einfach weggespült

Seit 2005 ist Wohlfeil der Koordinator der Notfallseelsorge im Kreis. In all den Jahren hat er bereits vielen Menschen zur Seite stehen können. Doch die Starkregenereignisse der vergangenen Wochen, die auch die Ruhrstadt massiv trafen, sind auch für erfahrene Seelsorger eine neue Situation. „Wir haben natürlich auch in Fröndenberg versucht, zu begleiten und zu unterstützen“, erklärt Wohlfeil. Doch gerade in den ersten Tagen nach der Katastrophe waren die meisten Ruhrstädter damit beschäftigt, die sichtbaren Schäden an Hab und Gut aufzuarbeiten. Die seelischen Hilfen seien daher erst mit einer gewissen Verzögerung angelaufen. Allerdings zeigt sich dabei: Die Traumata sind oftmals gar nicht auf den ersten Blick sichtbar – Betroffene selbst merken es ebensowenig. Viele stünden vor den Trümmern ihrer Existenz. „Da ist zunächst einmal das ganze Leben weg und die Menschen stellen sich die Frage: ,Wie kann ich sicher sein, dass so etwas nicht noch einmal passiert?’“

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Und genau hier setzt die Arbeit der Notfallseelsorge ein. Es geht darum, die Perspektive zu ändern, einen Ausweg aus der Krise aufzuzeigen und einfach zuzuhören. Denn im Strudel aus Leid und Existenzängsten werden diese Ängste auch auf die eigene Zukunft projiziert. Solche Traumata führten daher oft dazu, in einen negativen Kreislauf zu geraten. Das Leben, die Existenz ist – in manchen Fällen – binnen weniger Minuten vor den eigenen Augen weggespült worden. Zwar seien solche Ereignisse in Zeiten des Klimawandels nicht hundertprozentig vorherzusehen, gleichwohl müsse man nicht damit rechnen, „dass es morgen wieder passiert“, so Wohlfeil. Diese Unsicherheit lähme die Menschen. „Man kann keinen Schritt mehr nach vorne machen.“ Der Notfallseelsorger hat dafür eine Analogie: „Wenn ich Angst vor Unfällen habe, fahre ich auch kein Auto. Es geht daher darum, den Blick zu weiten; auf die Hilfe und den Beistand durch andere und auch, dass solche Dinge nicht jeden Tag passieren.“

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Die seelischen und emotionalen Folgen treten allerdings erst nach und nach zutage. Und genau das macht die Arbeit der Notfallseelsorger – nicht nur unmittelbar nach der Katastrophe – so wichtig. „Man muss genau hinschauen“, sagt Willi Wohlfeil. Die Traumata äußerten sich etwa dadurch, dass Betroffene dasselbe wieder und wieder erzählen oder in Unterhaltungen einfach aus dem Zusammenhang aussteigen. „Betroffene selbst würden das aber so nie als Trauma bezeichnen.“ Das liege vor allem daran, dass Betroffene zunächst mit der Aufarbeitung der sichtbaren Schäden an Hab und Gut beschäftigt sind. „Sie sind in ihrer Bubble gefangen.“ Hier gehe es zunächst nicht um große Gesten, sondern einfach darum so etwas wie der „Kummerkasten“ zu sein. Zuhören. Hinschauen. Trost spenden.

Ein sehr plötzliches Ereignis

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Das bedürfe vor allem eines „Fingerspitzengefühls für Menschen“. Jedes Schicksal ist unterschiedlich. Der Vergleich mit anderen Betroffenen hilft nicht. Es geht um den Menschen, der den Seelsorgern sprichwörtlich sein Herz ausschüttet. Und genau so ist es landauf, landab derzeit zu beobachten. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel im nordrhein-westfälischen Bad Münstereifel über die Katastrophe spricht, sind die Anwohner im Hintergrund damit beschäftigt, die Trümmer, die die Überschwemmungen hinterlassen haben, zu beseitigen. Das Zeichen, das Betroffene laut Wohlfeil hier benötigen: „Ihr seid in Sicherheit.“ Straßen müssten wieder aufgebaut, Häuser renoviert werden. Wichtig aber: „Man muss die Perspektive dafür öffnen, dass dieser Aufbau nicht von Heute auf Morgen geht“, sagt der Notfallseelsorger.

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Der Kamener Pfarrer ist seit 2005 Koordinator für die Notfallseelsorge im Kreis. Vergleichbare Ereignisse habe es Wohlfeil zufolge in seiner Zeit noch nicht gegeben. „Das Elbe-Hochwasser war zum Beispiel ganz anders, weil man sich darauf vorbereiten konnte.“ Das Besondere diesmal sei das plötzliche Auftreten. „Man bekommt die Meldung: Es regnet. Das hat man schon hunderttausend Mal erlebt. Doch binnen weniger Minuten steht der Keller unter Wasser oder das ganze Haus ist weg – von einer Sekunde auf die andere.“ Genau so berichten es Betroffene wenige Tage später gleichermaßen. Dass aber ganze Straßenzüge dem Erdboden gleich gemacht sind und Ortsteile – oder gar Städte – betroffen sind, „das ist besonders“, sagt Wohlfeil.