Schwitten. Seit seiner Corona-Infektion braucht der Mendener Dieter Schutzeichel zu Hause ein Sauerstoffgerät. Doch er lässt sich nicht unterkriegen.

Aus Geselligkeit wurde Einsamkeit, aus selbstverständlichem Alltag wurde das Ringen um Gesundheit. Corona hat das Leben von Dieter und Monika Schutzeichel nachhaltig verändert.

Im vergangenen September erlitt Dieter Schutzeichel einen schweren Herzinfarkt. „Das ist ein Erlebnis, das ich keinem Menschen wünschen würde“, sagt er nachdenklich. Nach dem Infarkt folgte eine Reha, „und dann habe ich auch noch eine Bauchspeicheldrüsenentzündung bekommen“, blickt der 59-Jährige auf schlimme Monate zurück. Als er – halbwegs genesen – wieder zu Hause war, erkrankte er im Dezember an Corona: „Ich weiß das noch genau. Ich saß an einem Freitag hier zu Hause am Tisch, ich hatte ganz dicke Füße, habe nur noch gezittert, hatte Schüttelfrost und war bewegungsunfähig.“

Keine Corona-typischen Symptome

Er habe keine Corona-typischen Symptome gehabt, habe seinen Zustand zunächst auf sein Herz geschoben. Als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, wurde bei Dieter Schutzeichel ein Corona-Test gemacht: „Und der war dann positiv.“ Im Hospital wurde der Mendener beatmet – „aber zum Glück nur mit einer Sauerstoffmaske, die ich mir auf die Nase gesetzt wurde“. Eine invasive Beatmung samt künstlichem Koma blieb ihm erspart.

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Die Lunge ist extrem angeschlagen

Dieter Schutzeichels Lunge ist seit der Infektion extrem angeschlagen: „Das merke ich bei jeder kleinen Anstrengung.“ 16 von 24 Stunden hängt der Mendener zu Hause an einem Sauerstoffgerät von der Größe eines kleinen Klimagerätes.

„Wenn ich mal mit dem Rollator rausgehe, kann ich da ein mobiles Sauerstoffgerät reinstellen und mitnehmen“, berichtet er. Das allerdings hält maximal eineinhalb Stunden. Die Wege indes, die Dieter Schutzeichel schafft, sind nicht mehr weit. „Einmal durch den Aldi laufen, das geht kaum noch. Alles, was weiter als hundert Meter ist, ist wahnsinnig anstrengend für mich.“

Alltag mit Sauerstoffgerät

Er hofft, die Stunden, die er am Sauerstoffgerät verbringen muss, irgendwann immer weiter reduzieren zu können. Dafür übt er regelmäßig. „Ab und zu komme ich mir vor wie ein Hund an der Leine“, sagt er nachdenklich. Im Moment ist ein Alltag ohne die brummende Maschine nicht denkbar: „Dann fühle ich mich wie ein Fisch auf dem Trockenen.“ Dass das Brummen auch seinen Schlaf begleitet, daran hat sich Dieter Schutzeichel längst gewöhnt. Seine Lunge, so berichtet er, sei immer noch von der Covid-Erkrankung gezeichnet.

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Mit seiner Frau lebt er in Schwitten im ersten Stock des Hauses seiner Schwiegermutter, die im Erdgeschoss wohnt. Wenn er in den Keller geht, „mache ich auf dem Rückweg bei meiner Schwiegermutter Pause, sonst schaffe ich das nicht“.

Nur Vermutungen, wo er sich infiziert hat

Wo er sich infiziert hat? Dieter Schutzeichel weiß es bis heute nicht: „Im Krankenhaus oder in der Reha nicht, das würde vom zeitlichen Ablauf nicht passen. Ich vermute, im Wartezimmer bei einem Arzt. Ich bin nach der Reha nur noch rausgegangen, wenn ich zu einem Arzt musste.“

Sein gesundheitlicher Zustand macht Dieter Schutzeichel zu schaffen. Dabei hatte das einstige Schwergewicht über Jahre von 160 Kilo Körpergewicht auf 114 Kilo abgenommen: „Ich esse seitdem nur noch, bis ich satt bin und nehme mir keinen Nachschlag mehr, nur weil es lecker ist.“ Seine Herzleistung, erzählt Dieter Schutzeichel, „liegt nur noch bei 25 Prozent“. Wie ist die Prognose? „Mein Arzt sagt immer: Gut Ding will Weile haben.“

Auch die Seele leidet

Doch auch die Seele leidet. Früher arbeitete Dieter Schutzeichel bei einem großen heimischen Unternehmen im Bereich Versand und Transport. Als er vor längerer Zeit nach 26 Jahren seinen Job verlor, „bin ich depressiv geworden“. Die Enttäuschung saß tief: „Wenn man im Dezember noch für 25 Jahre Firmenzugehörigkeit geehrt wird und im Juni entlassen wird, fragt man sich schon, wofür man sich all die Jahre so reingehängt hat.“

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Die Corona-Pandemie setzt ihm immens zu. Schon in der ersten Corona-Welle haben er und seine Frau Monika ihre Kontakte komplett herunterfahren: „Meine Schwiegermutter ist pflegebedürftig und wir wollten sie von Anfang an schützen.“

Selbstverständlichkeiten sind unmöglich geworden

Früher ist Dieter Schutzeichel gerne spazieren gegangen oder auch zum Angeln. Viele einstige Selbstverständlichkeiten sind unmöglich geworden. Aufgeben will Dieter Schutzeichel nicht, sagt aber auch: „Corona macht einsamer.“ Früher, vor Corona, haben er und seine Frau sich gerne mal mit Freunden oder Bekannten getroffen, „zum Grillen oder einfach um zu quatschen“. Jetzt steht das ganze Leben auf Pause.

Gleichzeitig weiß das Ehepaar – die beiden sind Eltern eines Sohnes und einer Tochter – das Dorf-Leben in Schwitten umso mehr zu schätzen: „Das ist anders als in einer Großstadt“, sagen beide. „Die Nachbarn oder andere Bekannte fragen nach, wie es geht.“ Der Rückhalt sei groß. Auch in der Quarantäne, in die Monika Schutzeichel nach der Infektion ihres Mannes musste, kamen spontan viele Hilfsangebote. „Wenn nicht Corona wäre, würde ich am liebsten alle einladen“, sagt Dieter Schutzeichel.

Seine Frau Monika war früher „noch aktiver als ich“, sagt Dieter Schutzeichel. „Jetzt kann sie sich nur noch um uns kümmern, also um meine Schwiegermutter und mich.“

Arbeitslos nach 43 Jahren bei Karstadt

Auch Monika Schutzeichel hat die Pandemie zugesetzt. 43 Jahre hat sie bei Karstadt in Iserlohn gearbeitet – bis Oktober vergangenen Jahres: „Durch den Lockdown kam die Insolvenz und ich habe ich meine Arbeit verloren.“ Die 59-Jährige ist sich sicher, dass die Pandemie das Aus für Karstadt beschleunigt hat: „Wir haben alle gedacht, wir bleiben da bis zur Rente“, ist sie enttäuscht. Schon vor der Pandemie habe es der stationäre Einzelhandel nicht leicht gehabt, „aber Corona hat Karstadt den Todesstoß gegeben“.

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Das Ehepaar kennt sich seit 1980, ist seit 1984 verheiratet. Dieter Schutzeichel hat durch Corona seine Gesundheit verloren, seine Frau Monika ihre Arbeit. Und dennoch sagen beide: „Wir sind durch diese Erfahrungen mehr zusammengewachsen. Das hat unsere Beziehung gestärkt.“ Sie haben gespürt, wie schnell sich das Leben komplett verändern kann. Dieter Schutzeichel sagt nachdenklich: „Ich bin einfach dankbar, dass ich da heile rausgekommen bin.“

+++ CORONA-CHECK: Wie sehr belastet Sie die Corona-Krise persönlich? +++

Die stärkste Belastung durch die Corona-Krise empfinden in Menden die Unter-40-Jährigen. Im WP-Corona-Check liegt der Mittelwert dieser Altersgruppe bei der Frage „Wie sehr belastet Sie die Corona-Krise persönlich?“ bei 3,54 auf einer Antwortskala von 1 (gar nicht) bis 5 (sehr stark).

Im Vergleich zu den Gleichaltrigen anderer Städte in Südwestfalen zeigt sich, dass die Mendener in dieser Altersgruppe die Belastung durch die Pandemie ähnlich wie Bewohner anderer Städte empfinden. Der Mittelwert aller Städte im WP-Verbreitungsgebiet liegt bei 3,56.

Lässt man Alter und Geschlecht außer Acht, vergeben die Mendener Befragten in Mittelwert 3,38. Das ist eine minimal geringer empfundene Belastung als im Schnitt der anderen Städte (3,42).

Die Frauen in Menden fühlen sich durch die Corona-Krise persönlich stärker belastet als die Männer. Ihr Durchschnittswert liegt bei 3,45 (Männer: 3,24).

16,6 Prozent sehr stark belastet

Mit zunehmendem Alter sinkt in Menden die subjektive Belastung durch die Corona-Krise. Vergleicht man die empfundene Belastung innerhalb der Altersgruppen, so fühlen sich in Menden die Über-60-Jährigen am geringsten durch die Pandemie belastet. Hier liegt der Mittelwert bei 3,19.

Auf die Frage „Wie sehr belastet Sie die Corona-Krise persönlich?“ vergaben die meisten auf einer Skala von 1 (gar keine Belastung) bis 5 (sehr starke Belastung) eine 3, nämlich 35,2 Prozent. 28,0 Prozent wählten die 4. Die 2 und 5 sind in den Antworten in etwa gleichauf mit 17,0 und 16,6 Prozent. Die 1 (gar keine Belastung) wählten nur 3,2 Prozent als Antwortmöglichkeit. Insgesamt haben sich mehr als 800 Mendenerinnen und Mendener an der Corona-Check-Umfrage der Westfalenpost beteiligt.