Attendorn. Nachtwächter Dieter Auert sorgte über 25 Jahre während der „rauhen Nächte“ für Sicherheit – jetzt kommt es zum emotionalen Abschied.
Dieter Auert hat in seinen 89 Lebensjahren schon so manches gemacht. Der Attendorner ist gelernter Maler und Anstreicher, stand in der Kultkneipe „Jägerhaus“ als Gastwirt hinter der Theke, hat Möbel restauriert und Anzeigen verkauft. 25 Jahre lang ist der bekennende Karnevalist in die Rolle des Nachtwächters geschlüpft, hat unzählige Einheimische und Auswärtige durch die Gassen und Winkel der Hansestadt geführt und dabei viele Anekdoten erzählt. Vor allem die „rauhen Nächte“, die zwölf geheimnisvollen Nächte zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag am 6. Januar, haben es dem 89-Jährigen angetan.
Die letzte Ehrenrunde durch Attendorn
Am 27. und 28. Dezember ist es wieder so weit. Dann zieht Dieter Auert noch einmal das blaue Leinenhemd an und begrüßt als „de Karl“ die bis zu 400 Teilnehmer, die mit seinem Nachtwächter-Nachfolger Peter „Pittjes“ Höffer und den anderen Mitwirkenden der beliebten Stadtführung durch die „rauhen Nächte“ ziehen. Für Auert wird der 28. Dezember ein ganz besonderer Tag werden. Das Amt des Nachtwächters hat er schon vor ein paar Jahren seinem ehemaligen Lehrling Peter Höffer übergeben. An diesem Abend verabschiedet sich der heimatverbundene Attendorner auch von seiner Rolle als „de Karl“. Aber das Wort Abschied will Dieter Auert gar nicht in den Mund nehmen. „Das tut weh, ich nehme meinen Hut und ziehe mich zurück“, sagt der Mitbegründer der Plattdeutschen Runde und letztes Gründungsmitglied des Komitees ehemaliger Prinzen.
Vor rund 30 Jahren begann die Karriere von Dieter Auert als Nachtwächter und Stadtführer. Zuvor hatten bei den Altstadtfesten schon bekannte Attendorner wie Maiworms „Dolf“, Hubert Junker oder Paul „Lehmann“ Hundt historische Rollen übernommen. Die Kostüme wurden bei einem Karnevalsverleih in Korschenbroich besorgt. Irgendwann war die Idee des Nachtwächters geboren. „Wir wollten eine alte Tradition wieder aufleben lassen“, berichtet Dieter Auert. Zuerst ging es mit seinen Gästen im geliehenen Kostüm und in Begleitung der Dattoli-Brüder Raphael und Gregor in historischen Uniformen durch die Altstadt, nach und nach wurde die Ausrüstung professioneller.
Große Detailversessenheit beim Outfit
Sein Freund und Mitstreiter Klaus-Walter Hoberg besorgte Auert einen original Dreispitz als Hut. Das eigene Kostüm fertigte eine örtliche Schneiderei. Die Hellebarde und Lüchte kaufte sich Dieter Auert selbst, die mittelalterliche Waffe erwarb er für 100 D-Mark an einem Stand auf dem Altstadtfest. Die Stadtführungen als Nachtwächter dauerten eine bis eineinhalb Stunden und waren mit unterhaltsamen Dönekes gewürzt.
Dieter Auert war in seinem historischen Kostüm aber nicht nur in der Altstadt unterwegs. Einmal sollte er einer Damenrunde im Cafe Moses in Neu-Listernohl von der Attendorner Stadtgeschichte erzählen. Kurzfristig musste man wegen einer anderen Veranstaltung in die katholische Pfarrkirche des Golddorfes umziehen. Bevor Auert zu seinem lustigen Vortrag ansetzte, zu dem auch das eine oder andere Schunkellied auf seiner „Quetsche“ (Akkordeon) gehörte, holte er augenzwinkernd die Zustimmung vom lieben Gott ein. Die Damen waren begeistert. „So eine interessante Stadtführung haben wir noch nicht erlebt, dabei sind wir überhaupt nicht in der Stadt gewesen“, erinnert sich der heute 89-Jährige noch gut an die Reaktion der gutgelaunten Runde.
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Dieter Auert könnte noch viele Anekdoten und „Rippräppchen“ aus der guten, alten Zeit, die mitunter ja gar nicht so gut war, erzählen: über bekannte und nicht so bekannte Attendorner Bürger und deren Eigenarten. „Ich habe das immer gerne gemacht“, blickt der Nachtwächter im Ruhestand auf die 25 Jahre in dieser Rolle zurück.
Unendlich viele Anekdoten und Geschichten
Unzählige Kinder durften in das Horn blasen und wurden zu Nachtwächtergehilfen befördert. In der evangelischen Erlöserkirche hat Auert an der Krippe auf seiner „Quetsche“ weihnachtliche Lieder gespielt. Mit seinem kleinen Akkordeon, auf dem Hunderte von Liedern gespeichert sind, will Dieter Auert auch künftig unterwegs sein. Im Sommer auf dem Alter Markt, wie er den Platz zwischen Sauerländer Dom und Südsauerlandmuseum nach dem Kölner Vorbild nennt, oder in einer der Attendorner Kneipen.
Böse Geister, wie in den „rauhen Nächten“, gilt es dabei nicht zu vertreiben. Der 89-Jährige will weiterhin für seine Heimatstadt im Einsatz sein, nach dem Motto: „Man muss nicht immer fragen, was tut die Stadt für mich. Man muss auch selbst etwas für die Stadt tun.“ Am 28. Dezember will Dieter Auert erst einmal allen „Danke sagen“, die ihn bei seinen Stadtführungen und Nachtwächter-Rundgängen durch die „rauhen Nächte“ begleitet haben.
Als Nachtwächter und Botschafter von Attendorn war Dieter Auert auf vielen Hansetagen in ganz Deutschland unterwegs. Begleitet wurde er dabei oft von Anna Schulte in der Rolle der Fürstin „Atta“, der Legende nach die Namensgeberin der Hansestadt. Schulte, die inzwischen von der Attendorner Stadtverwaltung beruflich nach Balve gewechselt ist, verdankt Auert auch ein „vorzeitiges Geburtstagsgeschenk“. Mit einer vom dortigen stellvertretenden Bürgermeister gesteuerten Rikscha ging es durch die Altstadt von Balve. „Das war ein schöner Tag“, hat Auert die Fahrt mit dem Fahrradtaxi und die Stadt im Märkischen Kreis gut gefallen.