Lennestadt. Die 28-jährige Laura Deichmann aus Lennestadt hat in ihrem Leben, immer wieder mit Panikattacken zu kämpfen. So hält sie ihre Angst in Zaum.

„Angst kann ich gut“, sagt Laura Deichmann und muss dabei selbst ein bisschen lachen. Schon oft packte die junge Frau aus Lennestadt urplötzlich die Angst und dieses unangenehme Gefühl endete nicht selten in einer Panik. Aber die 28-Jährige aus Lennestadt hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. Dabei wurde ausgerechnet ein Bungee-Sprung zu einem Schlüsselerlebnis.

Mitte Oktober 2023 am Whistler-Mountain in Kanada. Ein Tag, den Laura Deichmann nicht vergessen wird. Der Tag, an dem sie sich ihrer Angst stellen will. Nicht wieder weglaufen oder kneifen wie damals auf dem Drei-Meter-Brett im Schwimmbad oder in der Achterbahn im Freizeitpark. Nicht wieder in Panik verfallen wie im Bus oder in der Bahn.

„Ich habe in jeder Situation, ob im Bus oder im Auto überlegt, was passiert, wenn ich mich jetzt übergeben müsste.“
Laura Deichmann muss mit ihrer Angst leben

Schon als Kind leidet sie an Angstanfällen. „Ich habe in jeder Situation, ob im Bus oder im Auto überlegt, was passiert, wenn ich mich jetzt übergeben müsste.“ Die Gründe dafür sind tiefgründiger. Es sei eine Angst vor Kontroll- und Sicherheitsverlust, lehrt sie ihre Psychologin. Erbrechen sei in diesem Fall wie ein Synonym, denn Erbrechen kann man nicht kontrollieren. Aus dem gleichen Grund hat die Lennestädterin auch Angst vorm Fliegen und Höhenangst und diese Angst war bisher wie ein Klotz in ihrem Leben.

Die WESTFALENPOST im Kreis Olpe ist auch bei WhatsApp. Jetzt hier abonnieren.

Folgen Sie uns auch auf Facebook.

Bestellen Sie hier unseren Newsletter aus dem Kreis Olpe.

Alle News aufs Handy? Jetzt die neue WP-App testen.

Die WP im Kreis Olpe ist jetzt auch bei Instagram.

Sogar ihren größten Jugendtraum, die Welt zu bereisen, schiebt sie deshalb immer wieder auf. Eigentlich wollte sie schon nach dem Abi weg, „aber die Angst vor der Reise ins Ungewisse hat mich damals abgeschreckt, es zu tun“.

Laura Deichmann lebt seit vier Jahren in Vancouver.
Laura Deichmann lebt seit vier Jahren in Vancouver. © WP | Privat

Erst 2019, nach ihrem Bachelor-Abschluss im Studiengang Literatur, Kultur, Medien an der Uni Siegen wird die Reisesehnsucht so groß, dass Laura endlich ihren Koffer packt. Es ist ein großer Schritt für sie. „Man ist plötzlich völlig auf sich allein gestellt, ich musste mich dadurch kämpfen“, blickt die junge Frau zurück auf die Zeit des Aufbruchs. Dann - sie ist gerade in Kanada - durchkreuzt Corona ihre Reisepläne. Sie bleibt in Vancouver und findet einen Job als PR- und Programmmanagerin für einen internationalen Reiseveranstalter für Studienreisen und Kulturaustausche. Vier Jahre bleibt sie in der Metropole am Pazifik, aber auch im reizvollen und lebenswerten Kanada bleibt die Angst.

„Ich hatte ja Zeit, mich darauf vorzubereiten und hab mir vorgestellt, dass es richtig toll wird und ganz schnell geht. Aber ich habe mir das nur schön geredet.
Die 28-jährige Lennestädterin hat sich den Sprung einfacher vorgestellt

Im Oktober bucht sie einen Bungee-Sprung in der Nähe des 2200 Meter hohen Whistler-Mountain. Eigentlich ist der Sprung mehr als Geburtstagsgeschenk für ihren Freund Camilo als ein Angstbewältigungs-Training gedacht. Zusammen mit Camilo und einem befreundeten Paar macht sie sich auf den Weg nach oben. „Ich hatte ja Zeit, mich darauf vorzubereiten und hab mir vorgestellt, dass es richtig toll wird und ganz schnell geht. Aber ich habe mir das nur schön geredet“, erzählt sie später.

Fünf, vier, drei: Bei Zwei lässt Laura Deichmann sich trotz ihrer Riesenangst in die Tiefe fallen.
Fünf, vier, drei: Bei Zwei lässt Laura Deichmann sich trotz ihrer Riesenangst in die Tiefe fallen. © WP | Privat

Auf dem Weg zur Stahlbrücke, 60 Meter über einem Flussbett, beginnt sie schon bald stark zu schwitzen. Da ist sie wieder – die Angst. Nur noch wenige Meter bis zur Sprung-Plattform. „Ich dachte nur noch, ich kann das nicht, ich habe gezittert und gekeucht.“ Sie krallt sich an dem Geländer fest - der übliche Reflex. „Es ging mir genauso wie damals auf dem Drei-Meter-Brett“, sagt sie. Der Betreuer an der Sprunganlage redet beruhigend auf sie ein, während er ihr das Sprunggeschirr anlegt. Diese Männer kennen sich mit solchen Situationen aus. Das Schlimmste, das Hinaufklettern, habe sie doch schon hinter sich, sagt er. „Du musst nur noch springen, dreh dich um und sieh mich an“, sagt der Mann. Der Trick funktioniert. „Fünf, vier, drei“, zählt der Mann. Laura nimmt ihren ganzen Mut zusammen, bei „Zwei“ lässt sie sich rückwärts in die Tiefe fallen. Das Gefühl, plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen zu haben, raubt ihr den Verstand. „Ich dachte, ich sterbe, ich habe nur noch schwarzgesehen und geschrien.“

Frauen doppelt so oft betroffen

Laura ist kein Einzelfall. Angst gehört zum Leben, sie ist ein wichtiges Signal, das vor Gefahren warnt und schützt.

Doch bei rund 15 Prozent der Bevölkerung gerät die Reaktion außer Kontrolle und wird sogar krankhaft. Angststörungen gehören in Deutschland zu den häufigsten psychischen Erkrankungen, hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. festgestellt.

Laut der Krankenkasse KKH sind Frauen doppelt so oft betroffen wie Männer.

Ihre Anspannung löst sich nur langsam. „Als es vorbei war, hing ich da unten in meinem Geschirr. Man ist dort ganz allein mit sich und seinen Gedanken. Viele fühlen dann, das war geil und voll gut. Bei mir war das anders, ich stand unter Schock, glaube ich. Ich hatte Angst, bis ich wieder oben war.“

Aber sie erholt sich schnell. „Ich musste das erstmal verarbeiten, aber dann war ich stolz und froh, dass ich das überhaupt gemacht habe. Im Endeffekt war ich richtig happy und habe mich gut gefühlt.“ Dann sei ihr bewusst geworden, wie sehr sie sich an ihre Angst klammere und nicht loslassen kann, „weil ich immer versuche, alles zu kontrollieren. Beim Bungee geht das aber nicht, da musst du dich fallen lassen.“

Man kann jetzt nicht sagen, mit einem Sprung ist die Angst vorbei. Aber ich glaube, dass es ein großer Schritt in die richtige Richtung war.
Laura Deichmann will weiter arbeiten, um mit ihrer Angst umzugehen

Heute, gut vier Wochen nach dem Sprung und auf Besuch in ihrer Heimatstadt Lennestadt, sagt sie: „Man kann jetzt nicht sagen, mit einem Sprung ist die Angst vorbei. Aber ich glaube, dass es ein großer Schritt in die richtige Richtung war und hilft, mit Angst besser klarzukommen. Eine solche Grenzerfahrung stärkt total dein Selbstbewusstsein.“

Entspannung  nach dem Sprung: Laura (rechts) mit Freundin Roberta Magalhae und Freund Camilo Villamizar
Entspannung nach dem Sprung: Laura (rechts) mit Freundin Roberta Magalhae und Freund Camilo Villamizar © Olpe | Privat

Es gehe nicht darum, Ängste hinter sich zu lassen, sondern darum, mit seiner Angst richtig umzugehen und leben zu können, hat sie gelernt. Und sagen zu können, ok, ich habe Angst, aber ich lasse mich dadurch nicht länger einschränken. Ich weiß, dass sie nur temporär ist und ich weiß, was ich dagegen tun kann. „Es ist in Ordnung, Angst zu haben und man muss auch keine verrückten Sachen machen, um sich seiner Angst zu stellen. Aber ich glaube, wenn man seine Komfortzone verlässt und sich in unbequeme Situationen begibt, kann man durch diese Erfahrungen seine Lebensqualität steigern. Ich werde hier weitermachen“, hat sie beschlossen.

Gelegenheit wird sie dazu vielleicht schon bald haben, im Dezember möchte sie mit ihrem Freund ihre Weltreise fortsetzen. Zunächst geht es nach Kolumbien, dann weiter nach Brasilien und durch die anderen Länder Südamerikas. Angst vor dieser Reise ins Ungewisse hat Laura Deichmann heute nicht mehr.

Weitere Themen