Attendorn. Die Ärzte entdecken bei Andreas Ufer im März Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zum ersten Mal verspürt der Attendorner Angst. Das ist seine Geschichte.
Andreas Ufer (64) hatte Angst. Große Angst. „Ich bin mir gar nicht sicher, ob vor dem Sterben oder vor dem Tod“, sagt der Pensionär aus Attendorn. Mittlerweile hat der verheiratete Familienvater zweier Töchter gelernt, mit seiner Angst umzugehen. Dank seiner Gabe, sich dem Schicksal zu stellen und seiner schwerwiegenden Erkrankung mit einer Prise bösartigem Humor zu begegnen. Ende März wird bei dem 64-jährigen, ehemaligen Mitarbeiter der Barmer-Krankenkasse Bauchspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert. Gut ein halbes Jahr und zwölf Chemo-Therapien später ist Ufers Körper frei von Metastasen.
Die Symptome
Es gibt verschiedenartige Warnzeichen für den Bauchspeicheldrüsenkrebs, der grundsätzlich im frühen Stadium nur selten Beschwerden macht. Deswegen lassen die Symptome die Betroffene nicht direkt an eine schlimme Krebserkrankung denken. Typische Warnzeichen für eine solche Krebserkrankung sind laut dem Onko-Internetportal Gewichtsverluste, Schmerzen im Bauch oder Rücken, Gelbsucht, Appetitverlust oder Übelkeit. Deswegen gilt: Wer über solche Beschwerden verfügt, sollte einen Arzt aufsuchen.
Es ist Ende März, als sich Ufer mit einem unwohlen Gefühl zum Hausarzt begibt. Alterstypische Beschwerden, denkt der passionierte Radsportler und Triathlet und ahnt zunächst nichts Böses. Doch sein Hausarzt schaltet sofort, als er Ufer untersucht und schickt ihn ins Krankenhaus, zunächst nach Attendorn, dann nach Olpe. In der Kreisstadt überbringt ihm die Oberärztin die schlimme Diagnose: Andreas Ufer, der Vollblut-Sportler, der Macher, der Lebemensch, hat Krebs. „In diesem Moment sind Tränen geflossen“, erinnert er sich. Sein Leben ändert sich innerhalb weniger Augenblicke. Ihm wird der Boden unter den Füßen weggezogen.
Dank an die vielen Unterstützer
Aus seiner beruflichen Vergangenheit bei der Krankenkasse kennt der Buiterling, der seit 1993 in der Hansestadt lebt, viele dieser Schicksale. Das Kopfkino beginnt, denn: „Ich habe niemanden erlebt, der diesen Krebs überlebt hat.“ Sein erster Gedanke auf dem Krankenbett: Erlebe ich noch die Geburt meines zweiten Enkelkindes, das im September zur Welt kommt? Er wird es schaffen. Dank der frühen Diagnose, der erfolgreichen Operation in der Uni-Klinik Gießen, seiner positiven Einstellung und der unglaublichen Unterstützung von Familie und Freunden. Eigentlich, sagt Ufer, habe seine Krankheit nichts in der Öffentlichkeit zu suchen, sie sei eine intime Angelegenheit. Trotzdem spricht er mit dieser Redaktion. Warum? Seine Antwort: „In diesem Jahr habe ich viel Zuspruch und viele Umarmungen von so vielen netten Menschen bekommen. Auf diesem Weg habe ich die Möglichkeit, Danke zu sagen. Ihr habt mir geholfen und Mut gemacht.“
Zurück zu dem Tag, an dem sich alles verändert hat. Als Ufer von seiner Frau und seiner Tochter im Olper Krankenhaus besucht wird und seine Liebsten von der Krebs-Diagnose erfahren, herrscht eine ungläubige Atmosphäre. Ufer erinnert sich: „Es fühlte sich an, als wären wir im falschen Film. Als hätte sich der Arzt im Zimmer vertan, wir konnten doch gar nicht gemeint sein.“ Doch der Mediziner hatte sich nicht geirrt. Andreas Ufer hat Krebs. In diesem Moment, der so ewig lang erschien, fragte sich der heute 64-Jährige, was wohl aus seiner geliebten Familie werde, wenn er nicht mehr da sei. Was müsse er noch erledigen, bevor er auf immer Lebewohl sage? Ein unbeschreibliches, auffressendes Gefühl.
OP verläuft erfolgreich
Mitte April wird er operiert. Die OP wird gut verlaufen, doch vorher jagen ihm die Ärzte ungewollt eine riesengroße Angst ein. Ufer hält den Aufklärungsbogen in der Hand und liest zum ersten Mal das Kleingedruckte. Die möglichen Komplikationen während der OP lassen ihn erschaudern. Von einer Verletzung der Bauchschlagader bis zur Blutvergiftung oder – noch schlimmer – der Erkenntnis, dass der Tumor inoperabel ist: Ufer weiß in diesem Moment nicht, in welchen Zustand er aus der Narkose erwachen wird. Später wird er von den Ärzten erfahren, dass alles raus ist, was der Krebs befallen hat. Eine gute Nachricht. Eine Nachricht, die Mut und Hoffnung macht. Es ist ein befreiender Moment.
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Und dennoch: Andreas Ufers Leben ist jetzt ein anderes. „Mein Seelenleben hat sich verändert“, gesteht der Attendorner. Er entdeckt Seiten an sich, die er zuvor nicht kannte. Wenn er allein ist, fließen die Tränen, Emotionen übermannen ihn. „Das kannte ich vorher nicht von mir. Die Krankheit hat mir sogar ein Stück weit geholfen, mich zu öffnen.“ Anfang Mai beginnt der Chemo-Marathon. Zwölf Therapien im Abstand von 14 Tagen. Erst im Oktober wird Andreas Ufer das Ziel dieses Marathons erreichen. In einem abgekämpften Zustand. „Ich habe gelebt wie in einem Hamsterrad. Nach der Chemo war ich körperlich restlos am Ende und mir ging es mindestens drei Tage lang elendig schlecht.“ Doch jedes Mal berappelt er sich wieder, wie ein Maulwurf gräbt er sich zum Licht. Solange, bis die nächste Sitzung bevorsteht – und alles wieder von vorne losgeht.
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Vor diesen wiederkehrenden Momenten hatte Andreas Ufer Angst. „Ich habe mir eingebildet zu spüren, wie sich die Medikamente in meinen Gefäßen verteilt haben, wie dieses Zeug in mir unterwegs war. Mir lief der Schauer kalt den Rücken herunter, wenn ich daran dachte, dass die nächste Chemo bevorsteht.“ Doch mit der Zeit lernt der Pensionär, mit der Angst umzugehen. Er weiß, dass er hochkompetente Ärzte an seiner Seite hat, die ihm ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Er weiß, dass sich die Medizin und die Behandlung von Krebs in den letzten Jahrzehnten verbessert hat. Er weiß, dass er nicht allein ist, dass seine Familie und seine Freunde bei ihm sind. Die Gedanken an den Tod schiebt er beiseite, zumindest emotional. „Ich bin ein Stück weit in Aktionismus verfallen“, sagt Ufer und muss dabei grinsen. Seinen Töchtern etwa gehe er jetzt mit der Frage auf die Nerven, ob sie schon eine Vorsorgevollmacht ausgefüllt hätten. Heute ist er für solche Themen sensibilisiert.
Nach den vielen Tiefs, die Andreas Ufer durchleiden muss, folgt ein Moment, den er niemals vergessen wird. Die Chemotherapien hat er weitgehend hinter sich, als sein zweites Enkelkind in der Nacht auf den 25. September gesund und munter das Licht der Welt erblickt. Diesen Moment wollte er unbedingt erleben. Es mag eine glückliche Fügung des Schicksals sein, dass die Kleine ausgerechnet an dem Tag geboren wurde, an dem Ufers letztes Jahr verstorbene Mutter 90 Jahre alt geworden wäre. „Ich werde zeit meines Lebens am 25. September einen Familiengeburtstag feiern können“, ist der heute krebsfreie Attendorner unendlich froh und dankbar.
Was ihn seine Leidensgeschichte gelehrt hat? Andreas Ufer will bewusster mit sich und seiner Zukunft umgehen. „Ich habe mir vorgenommen, nichts mehr auf die lange Bank zu schieben, sondern mein Leben im Hier und Jetzt zu genießen. Ich werde nächstes Jahr 65 und will noch viele schöne Momente erleben. Wenn man wie ich ein Mal so tief in den Abgrund geschaut hat, nimmt man die Welt anders wahr.“ Dabei helfen ihm nicht nur seine engsten Vertrauten, sondern auch sein Naturell: „In mir lebt ein gewisser Aktionismus, der mir hilft, meine Angst in Aktivität umzuwandeln. Ich warte nicht wie das Kaninchen auf die Schlange“, sagt Ufer. Sein Sport soll ihm dabei helfen, ein neues Rad hat die ersten Kilometer mit ihm schon absolviert. Und dennoch: Komplett abschütteln wird er seine Angst nicht. Dafür hat ihm das Schicksal eine viel zu große Aufgabe, das Überleben, beschert.