Attendorn. Während der Krieg tobt, werden vor 80 Jahren Beate Frey, Anneliese Ebensperger, Ursula Becker und Edeltraud Schmitz in Attendorn eingeschult.
Am 1. September vor 80 Jahren wurden 171 Erstklässler in Attendorn eingeschult. Eine davon ist Beate Frey, geborene König (86). Sie gehörte zu den 49 Schulanfängerinnen, die in die Mädchenschule (heute Bereich Neumarkt) kamen. Der Attendornerin ist es ein besonderes Anliegen, diese schwierige, mit vielen Entbehrungen verbundene Zeit, in der der Zweite Weltkrieg tobte, Revue passieren zu lassen.
Drei Klassen wurden am 1. September 1943 gebildet. Neben den 49 Schülerinnen der Mädchenschule gab es eine Jungenklasse mit 61 Schülern und eine Mischklasse mit 61 Jungen und Mädchen, die beide in der Sonnenschule untergebracht wurden. Zu dieser Zeit waren die evangelischen und katholischen Erstklässler gemeinsam in den Klassen, denn die Nazis hielten nicht viel von der Religion, erzählt Beate Frey. Eine Schultüte hatte sie nicht. Die Wenigsten hätten vom Schulanfang Fotos. Fotoapparate gab es zwar, aber Filme waren in der Kriegszeit nicht zu bekommen.
Als Kleidung wurden gebrauchte Sachen von den älteren Geschwistern oder der Verwandtschaft getragen. Die erste Lehrerin der 49 Schülerinnen war Fräulein Krogmann. „Immer wenn Fliegeralarm war, wurde der Unterricht beendet und wir mussten nach Hause.“ So auch am 28. März 1945. Beate König lief in ihr Elternhaus am Kehlberg. Es war der Mittwoch in der Karwoche. In kurzen Abständen gingen zwei Bombenteppiche auf die Stadt nieder. Wie sich nachher herausstellte, gehörte die Mädchenschule zu den 74 total zerstörten Häusern. Beate König und ihre 48 Klassenkameradinnen verloren durch den Bombenangriff ihre Schule. Die Folge: ein halbes Jahr kein geregelter Unterricht.
Nur ein Lesebuch vorhanden
Damit überhaupt etwas lief, wurden die Schülerinnen der Mädchenschule aufgeteilt. Beate König kam mit drei weiteren Mädchen zu Fräulein Linnemann, die in der Ollerschott wohnte (heute Kölner Straße). Im Hausflur der Lehrerin erteilte diese – soweit das möglich war – Unterricht. Nur ein Lesebuch war für die vier Mädchen vorhanden.
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Die Mutter von Beate König war sehr verängstigt, hielt ihre Tochter außerhalb des Schulunterrichts zuhause. Nach der Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 durfte Beate wieder zum Spielen herausgehen. So erinnert sich die 86-Jährige, dass sie auf einem Schuttberg der ehemaligen Klosterkirche, die beim Munitionsunglück am 15. Juni 1945 eine Ruine wurde, gerne herumturnte. Die amerikanischen Soldaten fuhren mit ihren Panzern auch auf den Kehlberg und verteilten Kaugummi und Weißbrot.
Im Jahre 1946 stand die erste Heilige Kommunion an. Die Ursulinenschwestern Martina und Tadea bereiteten den kompletten Jahrgang auf die Kommunion vor. Damit am Tag ein bisschen mehr vorhanden war, konnten Beates Eltern – Otto und Maria König, die eine Bäckerei am Kehlberg (heute Haus Schmelter) besaßen – mit dem gebackenen Brot einiges verrechnen oder tauschen, um sich das ein oder andere für den Kommuniontag besorgen.
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Obwohl die Pfarrkirche beim Bombenangriff schwer getroffen wurde, fand die Heilige Messe für alle drei Klasse dort statt. Zelebrant war Attendorns damaliger Dechant Josef Köster. Es brannte eine Kommunionkerze für alle. Edeltraud Schmitz weiß von „ihrer“ Kommunion 1946, dass ihr Vater extra ein Kaninchen züchtete, dass für den Braten am Kommuniontag vorgesehen war. Doch ein paar Tage vor der großen kirchlichen Feier war der Stall leer und das Kaninchen gestohlen. Ihre Patentante schenkte ihr zur Kommunion ein Nähkästchen mit Inhalt – zwei Apfelsinen und ein Heiligenbildchen. Die Apfelsinen fanden durch die Amerikaner ihren Weg in die Hansestadt.
Zigarettenkippen sind begehrt
Die weggeschmissen Schalen der Soldaten lagen auf den Straßen Attendorns. Die Zigarettenkippen der Amerikaner waren begehrt. Edeltraud Schmitz erzählt, dass ihr Vater diese sammelte und neue Zigaretten daraus drehte. Das Nähkästchen hat sie heute noch und verwahrt darin ihre Knopfsammlung.
Ursula Becker war damals in der Mischklasse in der Sonnenschule und wurde von Rektor Schmitte und Lehrer Senger unterrichtet. „Ich hatte einen Tornister mit Tafelläppchen an der Seite“, erzählt sie voller Stolz. „Da meine Tante Schneiderin war, nähte sie mir das Kommunionkleidchen und ein ‘Stummel’ war meine Kommunionkerze. Ich hatte sogar einen weißen Mantel.“ Ab dem fünften Schuljahr ging Ursula Becker auf die höhere Schule der Ursulinen und ihre Eltern bezahlten 20 Reichsmark Schulgeld im Monat.
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Anneliese Ebensperger gehörte ebenfalls zur Mischklasse. Sie kam am ersten Schultag ohne Schultüte. Ihr Kommunionkleidchen war aus Fallschirmseide. Das war ein weißer Stoff, der normalerweise für Fallschirme eingesetzt wurde. An ihre dunkelblauen Kommunionschuhe kann sie sich noch bestens erinnern. „Sogenannte Jedermann-Schuhe waren das. Nichts Elegantes, aber es konnte sich eben jeder leisten.“ Beate Frey, Edeltraud Schmitz, Ursula Becker und Anneliese Ebensperger sind Schulfreundinnen bis heute. Sie treffen sich kontinuierlich einmal im Monat, um in Erinnerungen zu schwelgen und das Aktuelle auszutauschen. Für den heutigen Freitag ist der komplette Jahrgang 1936/37 angesprochen und eingeladen, sagt Beate Frey, die auf diesem Wege ihre Jahrgangskolleginnen und -Kollegen für 17 Uhr ins Benediktiner Wirtshaus (Alte Post) zum gemütlichen Umtrunk und netten Plausch bittet.