Listerscheid. Einst stand das Gut Nierhof an der L539 bei Listerscheid. Heute erinnert nur noch eine kleine Plakette an das Anwesen – die fast jeder übersieht.

Fast nichts mehr erinnert zwischen den Atterndorner Ortschaften Listerscheid und Albringhausen an das geschichtsträchtige Gut Nierhof, das hier jahrhundertelang gestanden hat. Die letzten verfallenen Gebäudeteile wurden 1995 abgerissen. An der Landstraße 539 ist nur noch eine grüne Wiese zu sehen, wie an so vielen Stellen im Sauerland. Nur die Plakette auf einem großen Stein am Straßenrand, der von den allermeisten Verkehrsteilnehmern nicht beachtet wird, beschreibt die Bedeutung des ehemaligen Gutes. Gestiftet hat die Plakette die Familie von Walter Viegener, dem bekannten Attendorner Unternehmer gehört das Gelände.

Die Inschrift lautet: „Hier stand bis 1995 der bekannte Nierhof, auch Herberge und Umspannstation der Fuhrleute. 1794 nach alter Überlieferung für eine Nacht Zufluchtsstätte der Reliquien der Heiligen Drei Könige, als sie vor Napoleon aus dem Hohen Dom zu Köln in Sicherheit gebracht werden mussten.“ Das Gut Nierhof stand an der Heidenstraße, dem jahrhundertealten Heer- und Handelsweg von Leipzig nach Köln, sowie im Mittelalter auch Pilgerweg nach Santiago De Compostela.

Nur noch diese Plakette aus dem Jahr 2005 auf einem großen Stein erinnert an das Gut Nierhof, das jahrhundertelang wenige Meter entfernt gestanden hat.
Nur noch diese Plakette aus dem Jahr 2005 auf einem großen Stein erinnert an das Gut Nierhof, das jahrhundertelang wenige Meter entfernt gestanden hat. © Martin Droste

Das alles und noch viel mehr wussten ich und meine Freunde von den Wagenbauern des SV 04 Attendorn aber nicht, als wir Ende der 1970er-Jahre unsere ersten Karnevalswagen für den Veilchendienstagszug in einer halb verfallenen, zugigen Scheune des Gut Nierhof gebaut haben. Im Winter war es damals oft so kalt, dass der Kleister für die aus Papier und Karnickeldraht gebauten Figuren gefror und die Farben nicht lange hielten. Für jede fehlende Schraube, jedes vergessene Werkzeug und jede Flasche Bier mussten wir wieder nach Hause fahren. Wenigstens waren die Getränke immer kalt.

Unser Karnevalswagen von 1978 stand unter dem Motto „Der Schienenbus fährt bald nicht mehr, dann segeln wir durchs Biggemeer“ und spielte auf die Einstellung der charakteristischen roten Personenzüge an. Den kantigen Figuren auf unseren damaligen Motivwagen waren die widrigen Arbeitsbedingungen – klirrende Kälte, schlechte Beleuchtung, weite Anfahrt – anzusehen. Kein Vergleich zu den Jahren danach, als die Attendorner Wagenbauer in die erste Halle der KG in Biggen umziehen konnten.

Gut Nierhof war auch ein riesiger Abenteuerspielplatz

Für uns junge Leute war das Gut Nierhof auch ein riesiger Abenteuerspielplatz. Natürlich haben wir nach und nach den großen Komplex erkundet, obwohl wir das gar nicht durften. Ich meine, dass wir durch ein Kellerfenster eingestiegen sind und dann Schritt für Schritt auf Entdeckungstour gegangen sind. Zu unserer Überraschung waren im verfallenen Gebäude neue Heizungskörper installiert worden. Bauarbeiter und Handwerker haben wir aber nie gesehen. Nach und nach verschwanden die Heizungen, damit hatten wir aber nichts zu tun.

Wo viele Jahre lang das geschichtsträchtige Gut Nierhof gestanden hat, ist nur noch grüne Wiese zu sehen.
Wo viele Jahre lang das geschichtsträchtige Gut Nierhof gestanden hat, ist nur noch grüne Wiese zu sehen. © Martin Droste

Mit den in der Kälte und Dunkelheit im Gut Nierhof gebauten Karnevalswagen sind wir dann Rosenmontag zu unserem Bauhof in der Stesse gefahren und haben den Wagen dort zwischengeparkt. Am Morgen von Veilchendienstag haben wir uns dann auf den Weg zum Aufstellplatz in der Stadt gemacht und erst dort die meisten andere Motivwagen und Fußgruppen gesehen. Heute einfach unvorstellbar.

Mit der Geschichte von Gut Nierhof habe ich mich erst viele Jahre später beschäftigt. Einige Jahre vor dem Abriss Mitte der 1990er-Jahre konnte ich als junger Journalist noch einige Schwarz-Weiß-Fotos machen, da war der Gebäudekomplex an der L 539 zwischen Listerscheid und Albringhausen in einem jämmerlichen Zustand.

+++ Lesen Sie hier: Schützen in Olpe – Major Peter Liese braucht einen Nachfolger +++

Bei der Recherche zu diesem Bericht über den Lost Place Gut Nierhof bin ich auf einen Wikipedia-Eintrag gestoßen. Das Online-Portal hat folgende Informationen aufgesammelt: „Im 17. Jahrhundert gab es in Albringhausen vier Güter: Franzes Tönneses Gut, Hillen Gut, Kremers Gut und das unterste Gut. Das Franzes Tönneses Gut war der oberste Hof im Dorf (Pächter bis 1678 Anton Fernholt) und galt 1829 als Gut 1. Klasse, Eigentümer war Franz Gertmann, Pächter die Familie Fernholt.

Der größte Hof war das Kremers Gut (Besitzer 1644 Degenhard Kremer), welches im Laufe des 18. Jahrhunderts vom Kloster Ewig erworben wurde. Pächter war die Familie Kranz, Besitzer später die Familie Schnütgen und durch Erbgang danach Familie Langenohl, die auch das vor Listerscheid liegende Gut Nierhof besaß. Als 1918 Gottfried Langenohl Konkurs anmelden musste, kaufte beide Güter der Lederfabrikant Richard Lütticke aus Olpe. Im Jahre 1925 verkaufte Lütticke wiederum die beiden Güter an die Eisenbahnbetriebskrankenkasse in Köln, die Gut Nierhof durch einen Neubau erweiterte und ein Genesungsheim einrichtete. Später auch als Lazarett, Fremdarbeiterunterkunft, Krankenhaus und ab 1953 als Schulungsheim der Eisenbahndirektion genutzt. Seit den 1970er Jahren standen die Gebäude leer und wurden dann 1995 abgerissen.“

Letzter Besitzer war Gottfried Langenohl

Der Schützenverein Listerscheid schreibt auf seiner Internetseite: „Vor 1600 ist in mehreren Urkunden das Franzes Gut zu Niederhof bezeugt. 1599 kaufte Joh. Reusche gen. Meyworm von dem minderjährigen Godert, Sohn des Franz zu Albringhausen, die 2. Hälfte des Niederhofes an, dessen andere Hälfte er schon vorher erworben hatte. Wahrscheinlich war Johann der Schwiegervater von Georg Langenohl, der 1648 als Besitzer des Erbgutes genannt ist. Er hatte dem Gogericht Attendorn für Bedde, Dienst- und Herrengeld 11 Kopstück, 9 olpische Viertel Hafer und 2 Hühner zu entrichten. Georgs Nachfolger wurde der Sohn Johann Langenohl. Letzter Besitzer des großen Gutes war Gottfried Langenohl, der gegen Ende des 1. Weltkrieges sich veranlaßt sah, das Gut zu veräußern. Neuer Erwerber wurde der Lederfabrikant Richard Lütticke in Olpe, der diesen Besitz 1925 an die Eisenbahnverwaltung veräußerte, die den Gutshof als Erholungs- und später als Schulungsheim verwandte.“

So sah das immer mehr verfallene Gut Nierhof zwischen Listerscheid und Albringhausen einige Jahre vor seinem endgültigen Abriss 1995 aus.
So sah das immer mehr verfallene Gut Nierhof zwischen Listerscheid und Albringhausen einige Jahre vor seinem endgültigen Abriss 1995 aus. © Martin Droste

Im Archiv für Stadtteilgeschichte Köln-Nippes ist zu lesen: „Das Eisenbahn-Ausbesserungswerk (EAW), jahrzehntelang der bedeutendste Arbeitgeber in Nippes … Das Werk hatte damals seine größte Ausdehnung. Es verfügte nicht nur über einen Sportplatz, eine Turnhalle und einen Schießstand (!), sondern es war auch beteiligt an einem Kinderheim und einem „Eisenbahner-Erholungsheim“ („Gut Nierhof“ im Sauerland) ...“

Das alles haben wir nicht gewusst, als wir Ende der 1970er-Jahre unsere ersten Karnevalswagen in einer verfallenen Scheune im Gut Nierhof gebaut haben. Übrigens: Das Motto unserer Gruppe für den Veilchendienstagszug 1979 hieß „Zur Landesliga seit Jahren bereit, doch jedes Jahr kommt die Karnevalszeit“. Das mit der Landesliga hat beim SV 04 in den letzten Jahren ja endlich geklappt.